Boris Johnsons Traum hat sich erfüllt
Die Flitterwochen sind vorüber. Ab sofort muss Boris Johnson erklären, wie er seine Versprechen erfüllen will – oder warum er es nicht kann.
LONDON. In jenem Moment, als sich sein Lebenstraum erfüllt, senkt der künftige Premier fast betreten den Blick. Auf seinem Gesicht deutet sich ein schüchternes Lächeln an, während im konservativen Publikum Beifall aufbrandet und der 55Jährige auf die Bühne springt. Handelt es sich um eine weitere Folge der großen Boris-Johnson-Show? Überrascht ist in dem Kongresszentrum in London ohnehin niemand über das Ergebnis. Zu sicher war der Sieg des Brexit-Hardliners im Rennen um die Nachfolge von Regierungschefin Theresa May.
Bei der innerparteilichen Wahl setzte sich Johnson mit zwei Drittel der Stimmen überwältigend durch. 92.153 Tory-Mitglieder stellten sich hinter ihn. Sein Konkurrent, der amtierende Außenminister Jeremy Hunt, kam nur auf 46.656 Stimmen.
Vielleicht erinnerte sich Johnson im Moment seines Triumphs auch daran, wie er einst scherzte, seine Chancen auf das Amt seien in etwa so groß, „wie Elvis Presley auf dem Mars zu finden oder als Olive wiedergeboren zu werden“. Das war in seiner typischen Manier nur so dahingesagt. Der schillernde Ex-Bürgermeister Londons hatte nie anderes im Blick, und so zieht Johnson, der Clown der Nation, in die Downing Street ein. Er bezeichnet die Wahl in seiner anschließenden Rede in aller Bescheidenheit als „historischen Moment“, auch wenn er eingesteht, dass seine Wahl nicht überall willkommen geheißen werde. Das dürfte die Untertreibung des Jahres sein. Johnson, der die Kampagne für den EU-Austritt 2016 angeführt hat, ist der wohl umstrittenste Politiker auf der Insel. Noch vor drei Jahren befand ihn selbst ein Teil seiner Partei als unfähig. Heute ist er Hoffnungsträger der verzweifelten Tories, denen die Wähler davonlaufen. Er soll den Rechtspopulisten Nigel Farage genauso in Schach halten wie den Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn – so wie damals, im Jahr 2003, als er London, die Hochburg der Sozialdemokraten, mit Charme, Tollpatschigkeit und Witz erobert hat.
„Wir werden den Brexit bis zum 31. Oktober umsetzen“, wiederholt er kämpferisch sein Mantra. Er wolle die Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach Selbstbestimmung verbinden. „Er hat das nötige Charisma und präsentiert sich positiv, das braucht das Land“, meinte die 21-jährige Elizabeth Dunkley, die es kaum erwarten kann, dass die Briten aus der EU austreten. „Er sollte zu Ende führen, was er begonnen hat.“
Auch Donald Trump zeigte sich erfreut: „Er wird großartig sein“, meinte er. Johnson lobte in seiner kurzen Ansprache ausgerechnet die scheidende Regierungschefin May, zu deren Fall er maßgeblich beigetragen hatte.
Er will alles besser machen, auch wenn er dem Land bislang Details schuldig blieb, wie. Nebulös betonte er nur immer wieder seine Absicht, den zwischen London und Brüssel vereinbarten Deal neu zu verhandeln und den von den ToryHardlinern verhassten Backstop aus dem Vertrag zu streichen, die Garantie für eine unbefestigte Grenze zwischen der Republik Irland und der Provinz Nordirland.
Um die EU unter Druck zu setzen, drohte er gar, die Ausstiegszahlung von 39 Milliarden Pfund zurückzuhalten.
Johnson wird am Mittwoch endlich erklären müssen, wie er regieren will. Es dürfte der Augenblick sein, in dem er beginnen muss, Versprechen zu brechen. Die Flitterwochen gehen zu Ende. Der Konservative hat allen alles versprochen und damit zu viel in Aussicht gestellt, als dass sich die Pläne umsetzen ließen. Eine Senkung der Einkommenssteuer und Milliardengeschenke gehören dabei noch zu den kleineren Dingen. Bei seiner Rede am Dienstag versprach er in einem einzigen Atemzug den Ausstieg aus der EU, die Einigung des nicht zuletzt durch seine Kampagnen tief gespaltenen Landes, eine bessere Infrastruktur, ein besseres Bildungswesen, mehr Polizei und den Sieg über die oppositionelle Labour-Partei.
Die am nächsten liegende Aufgabe heißt Brexit. Die Verhältnisse sind unverändert. Wie Theresa May wird auch Boris Johnson einer Minderheitsregierung vorstehen, die von der Duldung der nordirischen Nationalistenpartei DUP abhängt.
Der Exzentriker braucht alle Abgeordneten in den eigenen Reihen – die europaskeptischen Hardliner wie auch die EU-Freunde –, um nicht genauso zu scheitern wie seine Vorgängerin. Was plant Premierminister Boris Johnson? Befürchtet wird, dass dies nicht einmal Boris Johnson selbst weiß.
„Eine Parlamentswahl soll entscheiden, wer Premierminister ist.“Jeremy Corbyn, Oppositionschef