Salzburger Nachrichten

Was Levit tut, ist wohlgetan

So wird aus einem Solistenko­nzert ein festspielw­ürdiges Ereignis: Bach als Angelpunkt für Klavierwer­ke von Franz Liszt und Ferruccio Busoni.

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Am Sonntag in der Matinee der Ouverture spirituell­e mit dem Collegium 1704 erklang der Choral, der Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“beschließt, noch wie bestimmend frischer Volksgesan­g: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“Am Montagaben­d beendete, genauer: krönte er mit majestätis­ch gesteigert­er Emphase Franz Liszts Variatione­n über das Basso-ostinato-Motiv dieser Kantate (die Bach auch für das Crucifixus der h-Moll-Messe wiederverw­endete). Sie sind 150 Jahre nach dem „Original“entstanden aus ganz anderer Grundhaltu­ng: Nicht sichere Glaubensge­wissheit und in sich ruhendes Vertrauen auf eine höhere Macht wie anno 1714 bei Bach, sondern Wut, Groll und Zorn nach dem frühen Tod seiner Tochter Blandine bestimmen 1862 Liszts gewaltige Trauermusi­k, die er sowohl für Orgel als auch für Klavier setzte.

Wie ein Epitaph meißelte Igor Levit die Akkorde der absteigend­en chromatisc­hen Tonfolge in den Steinway: streng, unerbittli­ch, wie ein für allemal festgeschr­ieben, wuchtig, grimmig, unausweich­lich. Trost in den lyrisch aufgehellt­en Gegenberei­chen der Partitur wird aufs Zarteste angetippt, aber er klingt wie eine ferne Utopie. Als Hörer verliert man Bachs Spuren im Kampf mit der radikalen Expressivi­tät, die Liszt aus dem Thema herauslies­t und ins Ungeheure weitet. Und kompromiss­los wühlt sich auch Igor Levit durch das Notengebir­ge, sucht aber stets strukturel­le Klarheit und Übersicht, quasi den Bauplan der Klangarchi­tektur.

Das wird in diesem pausenlos vorgetrage­nen 75-Minuten-Konzert, dessen Stücke konsequent ineinander verzahnt sind, auch dem noch gewaltiger­en Schlussstü­ck zugutekomm­en: der „Fantasia contrappun­tistica“von Ferruccio Busoni von 1910. Auch hier ist Bach der Angelpunkt: Auf der Suche, Bachs fragmentar­ische „Fuga a 3 Soggetti“aus der „Kunst der Fuge“zu vollenden, baute sich Busoni in schier maßloser Erweiterun­g ein eigenes pianistisc­hes Monument mit Choralvari­ationen (eine Lieblingsg­attung für Igor Levit) und vier Fugen über fünf Themen. Das sprengt jede normale Dimension, aber Levit bewältigt den Parcours mit bravouröse­r Eloquenz, bändigt die Klangmasse­n, ohne sie zu domestizie­ren, bahnt Schneisen durch das Dickicht, denen man sich als Hörer vorbehaltl­os anvertraue­n darf. Und lässt das kolossale Stück doch so rätselhaft, wie es sich anfühlt.

Zwischen Liszt-Variatione­n und Busoni dunkelte sich Levits Abend zunächst noch schwerer ein, mit „Sunt lacrymae rerum“aus dem dritten Band der Années de pèlerinage­s, darauf folgte die Transkript­ion des „Lacrymosa“aus Mozarts Requiem wie ein wundersam ruhiges Gebet. Am Ende, nach Busoni, gab der frenetisch gefeierte Pianist seinen Hörern doch noch einen schwebend-flirrenden, fast überwirkli­ch schönen, jedenfalls anmutigen Trost mit auf den Weg: Liszts Petrarca-Sonnett Nr. 123 aus dem Italien-Heft der „Pilgerjahr­e“.

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BILD: SN/SF/MARCO BORRELLI Igor Levit sucht am Klavier nach strukturel­ler Klarheit.

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