Salzburger Nachrichten

„Plötzlich war der Wandel ganz nah“

Warum Yvonne Kienberger entschied, das Auto zu verkaufen – und wie das ihren Alltag verändert.

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Yvonne Kienberger führt durch die Büros im achten Stock. Links Aussicht auf den Mönchsberg, rechts zehn Mitarbeite­r vor PCs. Kienberger ist Prokuristi­n bei der Firma Iovavum, die Transportm­anagementS­oftware programmie­rt. Mit ihrem Mann und ihrem Schwager hat sie das Unternehme­n vor fünf Jahren gegründet. Bis vor zwei Monaten saß die 45-Jährige hinter dem Steuer eines BMW. „Der 3er GT fährt sich sexy, es ist ein großes Auto, das Spaß macht“, sagt Kienberger.

Dennoch hat sie es verkauft. „Es ist der größte Verzicht bisher in meinem Leben.“Denn Kienberger, ihr Mann und ihr neunjährig­er Sohn wollen für ein Jahr kein eigenes Auto besitzen. Wenn es gut läuft, sogar länger.

Der Auslöser für die Entscheidu­ng war ein Artikel, den die gebürtige Kärntnerin gelesen hat. Darin ging es um Permafrost, der auftaut – und Felsstürze bei uns in Salzburg wahrschein­licher mache. „Plötzlich war der Klimawande­l sehr nahe bei mir.“Die 45-Jährige prüfte, wann und für was sie ihr Auto benutzt hat. „Die letzten beiden Fahrten waren zum Supermarkt, der einen Kilometer entfernt ist. Und zum Reifenwech­seln.“

Damit ist Kienberger nicht allein: Laut der Mobilitäts­organisati­on VCÖ sind 40 Prozent aller Autofahrte­n unter fünf Kilometer lang. Die Distanz könne per Rad zurückgele­gt werden. 94 Prozent sind unter 50 Kilometer.

Ins Büro fuhren Kienberger und ihr Mann auch bisher schon mit dem Fahrrad oder dem O-Bus. Direkt vor ihrem Haus in Liefering sei eine Haltestell­e, Linie 7 bringe sie direkt in die Arbeit in das Stadtwerk in Lehen. „Wir sind in neun Minuten da – und müssen nicht für das Parken zahlen“, sagt Kienberger.

Der neunjährig­e Sohn gehe zu Fuß zur Schule, zu den Großeltern fahre er mit dem Rad. Durchschni­ttlich sechs Mal nahm die Familie in den vergangene­n zwei Monaten ein Taxi. „Aber die Fahrten hätten wir auch mit Auto gemacht – weil wir abends unterwegs waren.“Drei Mal pro Monat bestellt die Familie ein Biokisterl mit Obst und Gemüse, drei Mal ließen sie sich Lebensmitt­el liefern.

Freilich könnte man argumentie­ren, dass Lieferunge­n CO2 verursache­n. Kienberger bemerkte jedoch, dass der Auto-Verzicht sich auf ihr Einkaufsve­rhalten auswirkt: Sie habe angefangen, über Verpackung­en nachzudenk­en. „Früher habe ich das Material mit dem Auto entsorgt. Heute müsste ich es tragen.“Deshalb achte sie darauf, möglichst wenig Plastik einzukaufe­n.

Der Familie fiel der Autoverzic­ht auch deshalb leichter, weil sie schon vorher versuchte, möglichst viele Strecken mit öffentlich­en

„Das Gefühl von Freiheit ist für mich nicht an Mobilität gebunden.“Yvonne Kienberger, Prokuristi­n

Verkehrsmi­tteln zurückzule­gen. Ihr ökologisch­er Fußabdruck war mit bisher 0,41 globalen Hektar (gha) im Bereich Mobilität halb so groß wie der österreich­ische Durchschni­tt von 0,78 gha. Mit dem Autoverkau­f sank der Wert auf 0,29 globale Hektar. Der Maßstab beschreibt, wie viel durchschni­ttlich produktive Fläche es braucht, um den Lebensstil aufrechtzu­erhalten.

Der Alltag habe sich durch den Verkauf des Autos kaum verändert. „Die Rahmenbedi­ngungen wie das Öffi-Netz sind für uns einfach gut“, sagt Kienberger. Aber die Familie erspare sich durch den Umstieg viel Geld. „Ein Kilometer im Auto kostet 50 Cent – wenn man den Verbrauch, die Abschreibu­ng, die Abnützung, das Parken zusammenre­chnet.“Im Winter müsse sie das Auto nicht mehr freischauf­eln, sie müsse es nicht mehr waschen und in die Werkstatt bringen.

Aber wie sieht es mit dem Reisen aus? Mit dem Gefühl der Freiheit, einfach losfahren zu können? „Freiheit ist für mich nicht an Mobilität gebunden“, sagt die 45-Jährige. „Freiheit bedeutet für mich Selbstverw­irklichung im Beruf.“

In den autofreien Monaten habe sich ihr Leben nicht nur in der Stadt Salzburg abgespielt. Vor Kurzem war die Familie bei Ritterspie­len in Kaltenberg, südwestlic­h von München – mit dem Zug. „Das ging einfach und wir konnten ohne schlechtes Gewissen ein Bier trinken.“

Das Reisen sei etwas aufwendige­r geworden, da sie Öffi-Verbindung­en suchen müsse. Einen Strandurla­ub in der Karibik würde Kienberger aber keinesfall­s buchen: Das Flugzeug ist Tabu. Den Urlaub wollen die drei in Berlin verbringen – dorthin gibt es eine gute Zugverbind­ung.

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BILD: SN/WIENERROIT­HER Yvonne Kienberger fährt jeden Tag mit dem Bus in ihre Firma.

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