In stillem Zwist getrennt
Herbert von Karajan hat seine Auftritte in Bayreuth 1952 abrupt beendet. Der Grund dafür erhellt sein Wirken in Salzburg.
SALZBURG, BAYREUTH. Wie alle Jahre halten Salzburger und Bayreuther Festspiele einen Höflichkeitsabstand zueinander. Morgen, Donnerstag, beginnt’s auf dem Grünen Hügel mit „Tannhäuser“. Dem folgt am Samstag die Eröffnungspremiere von „Idomeneo“in Salzburg. Neben dieser terminlichen Abstimmung wird seit fast einem Jahrhundert noch eine Usance gepflegt: Die Salzburger Festspiele respektieren die Bayreuther Domäne und spielen nur selten Opern Richard Wagners.
Mitten in solchen Anzeichen der Freundschaft beider „Mütter aller Festspiele“entdeckte der einstige Salzburger Generalsekretär Franz Willnauer einen erstaunlichen Bruch: Warum hat Herbert von Karajan Anfang der 50er-Jahre plötzlich aufgehört, in Bayreuth zu dirigieren? Dabei haben die von ihm geleiteten Opern – „Meistersinger“1951 und „Tristan und Isolde“1952 – großen Erfolg gehabt, wie Franz Willnauer feststellt. Auch hätte Karajan gern in Bayreuth inszeniert.
Die Frage nach dem abrupten Ende von Karajans Auftritten in Bayreuth habe er 1985 dem dortigen Festspielleiter Wieland Wagner gestellt, berichtet Franz Willnauer. Da sei dieser zu einem Wandschrank gegangen und eine Leiter hinaufgeklettert. Oben habe er einen „uralten Ordner“herausgezogen, geblättert, ein Papier herausgenommen und beidseitig auf einen Kopierer gelegt. Diesen Brief habe er ihm mit den Worten in die Hand gedrückt: „Da ist die Antwort.“Den darin bloßgelegten Zwist habe Herbert von Karajan später in keinem Lebensrückblick erwähnt.
Wieland Wagner machte ihm am 21. Juli 1952 so heftige Vorwürfe, dass dies schwer verzeihlich gewesen sein dürfte. In der von Karajan dirigierten Generalprobe sei „jedes langsame Tempo überdehnt und damit völlig spannungslos“und „jedes schnelle Tempo überhetzt“gewesen, schrieb Wieland Wagner 1952. Zudem würden „die solistischen Leistungen erschreckend beeinträchtigt“, weil Karajan den Sängern keine Einsätze gebe. Das „überforcierte Piano“, das Karajan von einem Sänger verlange, sei „stumpf und ohne Klang“. Die Aussprache der Sänger sei so viel schlechter als zu Beginn der Proben, „sodass man über ganze Strecken kein Wort mehr feststellen kann“. Der Wortlaut dieses Briefs ist im kürzlich erschienenen SN-Magazin „Weltbühne – 100 Jahre Salzburger Festspiele“erstmals publiziert.
War Herbert von Karajan ein miserabler Wagner-Dirigent? Man möge dies auf den vielen CDs nachhörend prüfen. Und es gibt noch einen Beweis, dass Wieland Wagner doch nicht recht gehabt hat: den Erfolg der Osterfestspiele Salzburg, die Karajan 1967 mit dem „Ring des Nibelungen“in jenem Großen Festspielhaus begonnen hat, das nach seinen Plänen und Wünschen in Salzburg gebaut worden ist.
Auch er hat sich an die Trennung gehalten: Wagner in Bayreuth, aber nicht in Salzburg. Dessen Opern setzte er nur zu Ostern an, aber nie für die Sommerfestspiele, obwohl er ab 1956 deren künstlerische Leitung bestimmte. Nur ein Mal – zwei Jahre vor seinem Tod vor 30 Jahren – spielte er im Salzburger Sommer ein Wagner-Konzert: am 15. August 1987, mit Jessye Norman als Sopran.
Bis zum „Parsifal“1998 hat es seit der Gründung der Salzburger Festspiele nur sechs politisch brisante Jahre mit Wagner-Opern gegeben, beginnend mit Adolf Hitlers Machtergreifung in Deutschland und endend mit dem „Anschluss“, also von 1933 bis 1938 (siehe unten). Ab dann war wieder zu trennen: Bayreuth für Wagner, Salzburg für Mozart.
Warum beginnen heute noch die beiden Festspiele fast zeitgleich? Der Anfang ergebe sich wegen der Orchester, erläutert Franz Willnauer, der in Salzburg von 1986 bis 1991 Generalsekretär gewesen ist. In Salzburg spielen seit je die Wiener Philharmoniker die Eröffnungspremiere; und das Bayreuther Festspielorchester setzt sich aus Musikern renommierter Opernorchester zusammen, wie von Dresden, Hamburg, Leipzig und München. Weil in diesen Repertoirehäusern üblicherweise bis Ende Juni gespielt wird, die Musiker dann etwa drei Wochen auf Urlaub gehen und noch einige Tage letzte Festspielproben spielen, hat sich für die jeweiligen Eröffnungstage als Usance ergeben: 25. Juli für Bayreuth und 26. Juli für Salzburg.
Die Kooperation habe sich über die Künstler eingespielt, berichtet Franz Willnauer. So habe Karl Böhm viele Sommer an beiden Orten dirigiert – in Bayreuth profilierte er sich mit Wagner, in Salzburg hinterließ er das Renomée des großen MozartDirigenten. Auch einige Sänger, wie Theo Adam, seien oft bei beiden Festspielen aufgetreten. „Daher haben sich die Betriebsbüros abstimmen müssen“– für Aufführungstermine wie für Proben. Vor allem sei auf Neuproduktionen am jeweils anderen Ort Rücksicht genommen worden. Zudem sei ein gegenseitiger Fahrdienst organisiert worden. Wenn etwa Karl Böhms eigener Chauffeur, ein musikbegeisterter privater Freund, nicht konnte, sei ein Fahrer der Salzburger Festspiele oder einer aus Bayreuth eingesprungen. Auch bei spontanen Umbesetzungen habe man einander mit Vorschlägen und Fahrdiensten, so gut es ging, geholfen, berichtet Franz Willnauer. „Das war ein durchaus freundschaftliches, kameradschaftliches Verhältnis.“
Dafür, dass in Salzburg jahrzehntelang keine Wagner-Oper gespielt wurde, hat Franz Willnauer noch eine pragmatische Erklärung: „Bis 1960 hatte Wagner im Kleinen Festspielhaus keine Chance.“Die dortigen Bühnenmaße und Bühnentechnik seien zu beschränkt gewesen. SN-Magazin: „Weltbühne – 100 Jahre Salzburger Festspiele“, 268 Seiten. Erhältlich im Fachhandel sowie im Foyer der „Salzburger Nachrichten“(Karolingerstr. 40), online unter shop.SN.at und telefonisch unter +43 662/8373-222. Preis: 12 Euro (mit SN-Card 9 Euro), zzgl. 2,50 Euro Versandgebühr.
„Ein Brief enthält die Antwort.“Franz Willnauer, Ehem. Generalsekretär