„Warum habt ihr nichts getan?“
In „Die Blüte des Einklangs“lernt Juliette Binoche als Wissenschafterin einen Forstarbeiter kennen und lieben.
WIEN. Eine französische Biologin – gespielt von Juliette Binoche – reist nach Japan, um dort in einem unberührten Wald die Pflanze „Vision“zu finden, die nur alle 997 Jahre aufblüht: Naomi Kawases Film „Die Blüte des Einklangs“ist zugleich spiritueller Liebesfilm, Meditation über die Vergänglichkeit und bildmächtige Naturbetrachtung. Beim Filmfestival in San Sebastián nahm Juliette Binoche das Interview zum Anlass, für ein grundsätzliches Umdenken zu werben. SN: Als Sie dieses Drehbuch bekommen haben, war da schon vorstellbar, wie der Film am Ende aussehen würde? Juliette Binoche: Naomi Kawase und ich waren uns erst kurz zuvor in Cannes begegnet, nur um Hallo zu sagen und um ein Foto miteinander zu machen. In dem Jahr hatte ich die Goldene Palme zu übergeben, und ich habe in meiner Rede in zwölf verschiedenen Sprachen den Satz gesagt: „Liebe ist Licht.“Sie hat mir gesagt, dass sie mich wegen dieses Satzes bei ihrem nächsten Film dabeihaben wolle. Wir haben dann über Skype immer wieder miteinander gesprochen, während sie am Drehbuch gesessen ist, aber als ich das Skript bekommen habe, war es noch nicht ganz fertig – und als sie beim ersten Drehblock im Sommer gesehen hat, wie intensiv mich der Aufenthalt im Wald bewegt, hat sie das Buch für den Novemberdreh umgeschrieben, weil sie meine Emotionen im Film haben wollte. SN: Wie ist es Ihnen gegangen zwischen den beiden Drehblöcken im August und im November, als Sie zurück nach Europa gekommen sind? Zwischen diesen beiden Blöcken hatte ich zwei andere Filme zu drehen, Claire Denis’ Film „High Life“, der sehr anders ist, und Olivier Assayas’ „Zwischen den Zeilen“, auch völlig anders, und dann war da auch noch meine Frankreichtour als Sängerin. Ich hatte da also kein normales Leben, zu dem ich zurückgekehrt wäre, es ging nonstop nur um die Arbeit. Es ist ein verrücktes Leben, aber wenn’s nicht Spaß machte, würde ich es lassen. SN: Waren Sie im Wald so bewegt, weil das so ein Unterschied ist zu Ihrem sonstigen stressigen Leben? Ja, ich denke, das war, weil ich es so sehr vermisse, mich in der Natur aufzuhalten. Wir leben in Städten, ich bin so viel in Flugzeugen und Hotels, Autos und Zügen, ich bin immer in Bewegung und fern der Natur, ausschließlich umgeben von menschengemachten Dingen und Gebäuden. Und wenn ich dann da auf einmal an einem Ort bin, der sich endlich anfühlt, als würde ich da wirklich hingehören, wird mir klar, wie sehr ich das vermisst habe. SN: Haben die Dreharbeiten diese Ruhe auch zugelassen? Ja, und das war der große Unterschied zu jedem Dreh, den ich in der westlichen Welt bisher erlebt habe: Es gibt da eine Form von Hingabe, die Crew ist der Regisseurin richtiggehend ergeben, auf ihre Anweisungen wird gehört wie auf die einer Gottheit, alle arbeiten in absoluter Ruhe und dabei sehr schnell. Es wird viel improvisiert, aber da gibt es kein raues Herumgebrüll, „Bitte Ruhe! Action! Kamera läuft“, nichts von dem Bullshit. Wenn das Team in Bewegung ist, ist es, als würde sich ein Kollektivwesen bewegen. Es gibt eine Form von Respekt für den Moment der Aufnahme, und eine besondere Stille. Das hat mich sehr beeindruckt. SN: Die Filmindustrie ist, was das Erzählen weiblicher Geschichten betrifft, in einem Wandel, allerdings oft mit wirtschaftlichen Argumenten, etwa dass das weibliche Publikum mehr Geld im Kino ausgeben soll. Geht das in die richtige Richtung? Es ist viel in Bewegung, aber ich finde, wir sollten das noch viel grundsätzlicher denken und unsere weibliche Seite mehr zulassen, und damit meine ich Männer und Frauen gleichermaßen: Nicht immer mehr wollen, erobern wollen, noch höher, weiter, schneller sein wollen. Dieser Eroberergeist hat uns an diesen katastrophalen Punkt gebracht, an dem unsere Umwelt sich jetzt befindet. Steigende Meeresspiegel, Hitzewellen, Stürme, all das, was uns längst alle betrifft, ist das Ergebnis der menschlichen Gier nach immer noch mehr. Wir sehen uns diese Katastrophen an wie passive Zuschauer, als sei dieser kollektive Selbstmord unausweichlich. Aber ich bin überzeugt, wir können etwas tun.
Es muss harte Sanktionen gegen jene Lobbys geben, die sich gegen diesen grundsätzlichen Wandel stemmen. Unsere Umwelt-, Transportund Wirtschaftsminister müssen zusammenarbeiten. Wir brauchen Umwelt-Premierminister, Umwelt-Präsidenten, das muss absolute Priorität werden. Ich will nicht, dass unsere Kinder uns fragen: Wo wart ihr? Warum habt ihr nichts getan? Film: