Salzburger Nachrichten

„Warum habt ihr nichts getan?“

In „Die Blüte des Einklangs“lernt Juliette Binoche als Wissenscha­fterin einen Forstarbei­ter kennen und lieben.

- „Die Blüte des Einklangs“, Japan/Frankreich 2018. Regie: Naomi Kawase. Mit Juliette Binoche, Masatoshi Nagase. Ab Freitag im Kino.

WIEN. Eine französisc­he Biologin – gespielt von Juliette Binoche – reist nach Japan, um dort in einem unberührte­n Wald die Pflanze „Vision“zu finden, die nur alle 997 Jahre aufblüht: Naomi Kawases Film „Die Blüte des Einklangs“ist zugleich spirituell­er Liebesfilm, Meditation über die Vergänglic­hkeit und bildmächti­ge Naturbetra­chtung. Beim Filmfestiv­al in San Sebastián nahm Juliette Binoche das Interview zum Anlass, für ein grundsätzl­iches Umdenken zu werben. SN: Als Sie dieses Drehbuch bekommen haben, war da schon vorstellba­r, wie der Film am Ende aussehen würde? Juliette Binoche: Naomi Kawase und ich waren uns erst kurz zuvor in Cannes begegnet, nur um Hallo zu sagen und um ein Foto miteinande­r zu machen. In dem Jahr hatte ich die Goldene Palme zu übergeben, und ich habe in meiner Rede in zwölf verschiede­nen Sprachen den Satz gesagt: „Liebe ist Licht.“Sie hat mir gesagt, dass sie mich wegen dieses Satzes bei ihrem nächsten Film dabeihaben wolle. Wir haben dann über Skype immer wieder miteinande­r gesprochen, während sie am Drehbuch gesessen ist, aber als ich das Skript bekommen habe, war es noch nicht ganz fertig – und als sie beim ersten Drehblock im Sommer gesehen hat, wie intensiv mich der Aufenthalt im Wald bewegt, hat sie das Buch für den Novemberdr­eh umgeschrie­ben, weil sie meine Emotionen im Film haben wollte. SN: Wie ist es Ihnen gegangen zwischen den beiden Drehblöcke­n im August und im November, als Sie zurück nach Europa gekommen sind? Zwischen diesen beiden Blöcken hatte ich zwei andere Filme zu drehen, Claire Denis’ Film „High Life“, der sehr anders ist, und Olivier Assayas’ „Zwischen den Zeilen“, auch völlig anders, und dann war da auch noch meine Frankreich­tour als Sängerin. Ich hatte da also kein normales Leben, zu dem ich zurückgeke­hrt wäre, es ging nonstop nur um die Arbeit. Es ist ein verrücktes Leben, aber wenn’s nicht Spaß machte, würde ich es lassen. SN: Waren Sie im Wald so bewegt, weil das so ein Unterschie­d ist zu Ihrem sonstigen stressigen Leben? Ja, ich denke, das war, weil ich es so sehr vermisse, mich in der Natur aufzuhalte­n. Wir leben in Städten, ich bin so viel in Flugzeugen und Hotels, Autos und Zügen, ich bin immer in Bewegung und fern der Natur, ausschließ­lich umgeben von menschenge­machten Dingen und Gebäuden. Und wenn ich dann da auf einmal an einem Ort bin, der sich endlich anfühlt, als würde ich da wirklich hingehören, wird mir klar, wie sehr ich das vermisst habe. SN: Haben die Dreharbeit­en diese Ruhe auch zugelassen? Ja, und das war der große Unterschie­d zu jedem Dreh, den ich in der westlichen Welt bisher erlebt habe: Es gibt da eine Form von Hingabe, die Crew ist der Regisseuri­n richtiggeh­end ergeben, auf ihre Anweisunge­n wird gehört wie auf die einer Gottheit, alle arbeiten in absoluter Ruhe und dabei sehr schnell. Es wird viel improvisie­rt, aber da gibt es kein raues Herumgebrü­ll, „Bitte Ruhe! Action! Kamera läuft“, nichts von dem Bullshit. Wenn das Team in Bewegung ist, ist es, als würde sich ein Kollektivw­esen bewegen. Es gibt eine Form von Respekt für den Moment der Aufnahme, und eine besondere Stille. Das hat mich sehr beeindruck­t. SN: Die Filmindust­rie ist, was das Erzählen weiblicher Geschichte­n betrifft, in einem Wandel, allerdings oft mit wirtschaft­lichen Argumenten, etwa dass das weibliche Publikum mehr Geld im Kino ausgeben soll. Geht das in die richtige Richtung? Es ist viel in Bewegung, aber ich finde, wir sollten das noch viel grundsätzl­icher denken und unsere weibliche Seite mehr zulassen, und damit meine ich Männer und Frauen gleicherma­ßen: Nicht immer mehr wollen, erobern wollen, noch höher, weiter, schneller sein wollen. Dieser Erobererge­ist hat uns an diesen katastroph­alen Punkt gebracht, an dem unsere Umwelt sich jetzt befindet. Steigende Meeresspie­gel, Hitzewelle­n, Stürme, all das, was uns längst alle betrifft, ist das Ergebnis der menschlich­en Gier nach immer noch mehr. Wir sehen uns diese Katastroph­en an wie passive Zuschauer, als sei dieser kollektive Selbstmord unausweich­lich. Aber ich bin überzeugt, wir können etwas tun.

Es muss harte Sanktionen gegen jene Lobbys geben, die sich gegen diesen grundsätzl­ichen Wandel stemmen. Unsere Umwelt-, Transportu­nd Wirtschaft­sminister müssen zusammenar­beiten. Wir brauchen Umwelt-Premiermin­ister, Umwelt-Präsidente­n, das muss absolute Priorität werden. Ich will nicht, dass unsere Kinder uns fragen: Wo wart ihr? Warum habt ihr nichts getan? Film:

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BILD: SN/FILMLADEN Juliette Binoche spielt eine Biologin.

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