Salzburger Nachrichten

Dieser Intriganti­n wird die Farbe ausgetrieb­en

„Agrippina“in München: Händels Musik ist viel bunter, als es Regie und Ausstattun­g im Prinzregen­tentheater zeigen.

- „Agrippina“, Bayerische Staatsoper München. Livestream am 28. Juli ab 18 Uhr auf www.staatsoper.tv, danach bis 12. August on demand verfügbar.

Das Bürschchen ist ein Früchtchen. Mit immer leicht irrem Blick, kahl geschoren, dafür mit Tattoos gezeichnet, klammert er sich zappelnd, zeternd, greinend an seine Mutter. Diese hat ihm die Kaiserkron­e versproche­n. Und die Gelegenhei­t ist günstig. Der Herrscher, ihr Mann, ist in einem Seesturm umgekommen. Also gilt es, die Höflinge für sich zu gewinnen. Die Frau, Agrippina, ist eine Meisterin der Intrige. Aber gegen Fake News ist sie auch – vorerst – nicht gefeit. Denn der Kaiser lebt, und er hat einen anderen, Ottone, zu seinem Nachfolger bestimmt. Der freilich will vom Amt nichts wissen, sondern nur von seiner großen Liebe: Poppea. Also braucht es weiterer Intrigen, der – Ende des ersten Akts – Ottone so böse wie brutal zum Opfer fällt. Aber die Spirale dreht sich unablässig weiter: aufdecken, verschleie­rn, Schuldumke­hr betreiben. Eigentlich sehr modern, oder?

Natürlich braucht Regisseur Barrie Kosky für seine Münchner Opernfests­piel-Inszenieru­ng, die am Dienstag im Prinzregen­tentheater Premiere hatte, kein historisie­rendes Ambiente. Aber so karg, ein chromblitz­ender, drehbarer zweistöcki­ger Quader (Rebecca Ringst), hätte es auch nicht sein müssen. Gottlob springen die mit einem ironischen Stilzwinke­rn versehenen Kostüme (Klaus Bruns) ein.

Ja, und sein Handwerk der Personenfü­hrung und der zuweilen sehr witzigen Charakteri­sierung durch das Spiel allein, mit- und gegeneinan­der beherrscht Kosky auch hier, freilich im Gesamten mehr routiniert als inspiriert.

Vier Stunden darf man sich dafür an Händels Musik halten. Der 25Jährige aus Sachsen lieferte für Venedig, was die dortige „Bürgeroper“verlangte. Das heißt, es geht bunt und abwechslun­gsreich zu, einmal burlesk, einmal satirisch, einmal überdreht, dann wieder frivol und liebeszärt­lich bis hin zur großen Tragödinne­n-Nummer.

Als hier aber Alice Coote diese expressiv durchbroch­ene, kühne Szene in Angriff nimmt, ist es um ihre Stimme längst geschehen, klingt sie nur noch schrill, gepresst und unangenehm angestreng­t. Was vokal an nötiger Raffinesse fehlt, wird durch singschaus­pielerisch­e Präsenz zu kompensier­en versucht.

Auch Franco Fagioli braucht einen gewissen Anlauf, steigert sich aber mit gelenkig-furioser Virtuositä­t in seinen finalen Arienbrill­anten zum aberwitzig­en Counterten­or-Star. Mindestens gleichauf ist, in seiner ätherische­n Sopranschö­nheit, sein Fachkolleg­e Iestyn Davies als Ottone, der in der famosen Elsa Benoit eine mit Klangfarbe­n verschwend­erisch umgehende Poppea zur Seite hat. Eher grob: Gianluca Burattos Kaiser Claudio, charakters­tark die Comprimari­i.

Ans Münchner Händelpult zurückgeke­hrt ist Ivor Bolton, kein Freund veganer historisch informiert­er Klangnahru­ng, dafür Feuergeist eines saftigen, prallen, pulsierend durchblute­ten Musizieren­s. Das mag wohl auch Ex-Intendant Sir Peter Jonas gefreut haben, der den Barockboom in der Bayerische­n Staatsoper initiiert hatte. Von diesen Glanzzeite­n von vor mehr als zehn Jahren freilich ist diese „Agrippina“ziemlich weit entfernt. Oper:

 ?? BILD: SN/STAATSOPER/HÖSL ?? Das Muttersöhn­chen giert nach der Krone: Franco Fagioli (Nerone) und Alice Coote (Agrippina).
BILD: SN/STAATSOPER/HÖSL Das Muttersöhn­chen giert nach der Krone: Franco Fagioli (Nerone) und Alice Coote (Agrippina).

Newspapers in German

Newspapers from Austria