Dieser Intrigantin wird die Farbe ausgetrieben
„Agrippina“in München: Händels Musik ist viel bunter, als es Regie und Ausstattung im Prinzregententheater zeigen.
Das Bürschchen ist ein Früchtchen. Mit immer leicht irrem Blick, kahl geschoren, dafür mit Tattoos gezeichnet, klammert er sich zappelnd, zeternd, greinend an seine Mutter. Diese hat ihm die Kaiserkrone versprochen. Und die Gelegenheit ist günstig. Der Herrscher, ihr Mann, ist in einem Seesturm umgekommen. Also gilt es, die Höflinge für sich zu gewinnen. Die Frau, Agrippina, ist eine Meisterin der Intrige. Aber gegen Fake News ist sie auch – vorerst – nicht gefeit. Denn der Kaiser lebt, und er hat einen anderen, Ottone, zu seinem Nachfolger bestimmt. Der freilich will vom Amt nichts wissen, sondern nur von seiner großen Liebe: Poppea. Also braucht es weiterer Intrigen, der – Ende des ersten Akts – Ottone so böse wie brutal zum Opfer fällt. Aber die Spirale dreht sich unablässig weiter: aufdecken, verschleiern, Schuldumkehr betreiben. Eigentlich sehr modern, oder?
Natürlich braucht Regisseur Barrie Kosky für seine Münchner Opernfestspiel-Inszenierung, die am Dienstag im Prinzregententheater Premiere hatte, kein historisierendes Ambiente. Aber so karg, ein chromblitzender, drehbarer zweistöckiger Quader (Rebecca Ringst), hätte es auch nicht sein müssen. Gottlob springen die mit einem ironischen Stilzwinkern versehenen Kostüme (Klaus Bruns) ein.
Ja, und sein Handwerk der Personenführung und der zuweilen sehr witzigen Charakterisierung durch das Spiel allein, mit- und gegeneinander beherrscht Kosky auch hier, freilich im Gesamten mehr routiniert als inspiriert.
Vier Stunden darf man sich dafür an Händels Musik halten. Der 25Jährige aus Sachsen lieferte für Venedig, was die dortige „Bürgeroper“verlangte. Das heißt, es geht bunt und abwechslungsreich zu, einmal burlesk, einmal satirisch, einmal überdreht, dann wieder frivol und liebeszärtlich bis hin zur großen Tragödinnen-Nummer.
Als hier aber Alice Coote diese expressiv durchbrochene, kühne Szene in Angriff nimmt, ist es um ihre Stimme längst geschehen, klingt sie nur noch schrill, gepresst und unangenehm angestrengt. Was vokal an nötiger Raffinesse fehlt, wird durch singschauspielerische Präsenz zu kompensieren versucht.
Auch Franco Fagioli braucht einen gewissen Anlauf, steigert sich aber mit gelenkig-furioser Virtuosität in seinen finalen Arienbrillanten zum aberwitzigen Countertenor-Star. Mindestens gleichauf ist, in seiner ätherischen Sopranschönheit, sein Fachkollege Iestyn Davies als Ottone, der in der famosen Elsa Benoit eine mit Klangfarben verschwenderisch umgehende Poppea zur Seite hat. Eher grob: Gianluca Burattos Kaiser Claudio, charakterstark die Comprimarii.
Ans Münchner Händelpult zurückgekehrt ist Ivor Bolton, kein Freund veganer historisch informierter Klangnahrung, dafür Feuergeist eines saftigen, prallen, pulsierend durchbluteten Musizierens. Das mag wohl auch Ex-Intendant Sir Peter Jonas gefreut haben, der den Barockboom in der Bayerischen Staatsoper initiiert hatte. Von diesen Glanzzeiten von vor mehr als zehn Jahren freilich ist diese „Agrippina“ziemlich weit entfernt. Oper: