„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“
Die Musik des 76-jährigen brasilianischen Dichters und Liedermachers Caetano Veloso ist Grundlage eines Tanzstücks.
Sichtlich bewegt bedankte sich der brasilianische Choreograf und ImPulsTanz-Mitbegründer Ismael Ivo bei den Tänzern, seinem Mitstreiter Karl Regensburger und bei der Republik Österreich. In deren Namen verlieh der Leiter der Sektion Kunst und Kultur, Jürgen Meindl, Ivo das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
Ivo reformierte das Tanztheater, etablierte eine lebendige Szene in Wien; seine Arbeit „liegt in der Verbindung des Körperlichen mit dem Intellektuellen. Seine Kunst ist eine politische und keine, die nur auf technischer Perfektion des Ensembles beruht“, sagte Meindl. Gerührt dankte Ivo im Burgtheater: „It is possible to dream.“Die Veränderung der Gesellschaft ist sein deklariertes Ziel, auch der musikalisch präsente Held des Abends, Caetano Veloso, gilt als Kämpfer für politische und künstlerische Freiheit: Dem heute 76-jährigen brasilianischen Dichter und Liedermacher ist das Stück „Um Jeito de Corpo“(Ein Weg des Körpers) gewidmet.
Ismael Ivo, seit 2017 Leiter des Balé da Cidade de São Paulo, zeigt nun beim Festival ImPulsTanz in Wien das in der Choreografie der Pina-Bausch-Tänzerin Morena Nascimento entwickelte Stück, das sich als Hommage an die Kraft der Kunst und des Körpers versteht. Ein Porträt von Bausch wird wie eine Monstranz über die Bühne getragen, zehn Jahre nach ihrem Tod ehrt die Compagnie die Revolutionärin des zeitgenössischen Tanzes. Bauschs Worte „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“verbinden sich in „Um Jeito de Corpo“mit den Liedern von Veloso. Zu seiner wunderschönen, weichen Stimme zeigt das 33-köpfige Ensemble Aspekte seiner Biografie. Caetanos politische Überzeugungen brachten ihn unter der Militärdiktatur von Artur da Costa e Silva 1968 ins Gefängnis. Der damals 26-Jährige flüchtete nach mehrmonatiger Haft ins Exil nach London und konnte erst 1972 nach Brasilien zurückkehren.
Caetano Veloso revolutionierte die brasilianische Popmusik und den „Tropicalismo“als politischkulturelle Bewegung. Angesichts der aktuellen Regierung unter Jair Bolsonaro gewinnt diese Musik an beklemmender Brisanz. Unter der faschistischen Politik von Bolsonaro präsentiert sich das poetische Universum von Veloso als inspirierender Ansatz für eine offene und freie Gesellschaft.
In bunten Kostümen und in einer hochenergetischen Choreografie wird das kraftvolle Leben voller Erotik und körperbetonter Lust heraufbeschworen, zudem zeigt das Stück rasante Brüche, wenn etwa aus vorsichtiger Annäherung unvermutet sexuelle Übergriffe entstehen. Viele Szenen spielen auf politische Repression an, die mittels körperlicher Gewalt individuelle und gesellschaftliche Macht ausübt. Ähnlich wie die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues bietet Morena Nascimento Gegenwelten an, und so lässt sich „Um Jeito de Corpo“als Plädoyer für Solidarität und Selbstermächtigung verstehen.