Gesten von Politikern sprechen Bände
In den kommenden Tagen beginnt der TV-Vorwahlkampf. Für die Sendungen bereiten Politiker nicht nur ihre Antworten vor: Welche Rolle Körpersprache in der Spitzenpolitik spielt. Und welche der Gesten auch im Büroalltag helfen können.
WIEN. Es ist eine der bekanntesten Gesten von Sebastian Kurz: Der ExBundeskanzler bewegt seine Hände so, dass es wirkt, als wolle er eine Schüssel auf den Boden stellen. Das mache er wohl bewusst, sagt Judith Kölblinger, Expertin für zwischenmenschliche Kommunikation. „Alles, was in Richtung Boden geht, suggeriert Nähe und Ehrlichkeit.“
Dieser Tage beginnt der TV-Vorwahlkampf: Donnerstagabend bittet Servus TV Sebastian Kurz und Herbert Kickl zu Einzelinterviews; in zehn Tagen startet der ORF seine „Sommergespräche“. Dabei werden die Politiker nicht nur darauf achten, was sie sagen, sondern auch darauf, welche nonverbalen Signale sie senden, also Gestik, Mimik, Haltung. „Körpersprache ist Teil der Sprache. Und es ist legitim, dass Politiker diese einsetzen, um Botschaften zu vermitteln“, beschreibt Judith Kölblinger. Kölblinger ist Gesellschafterin von Komunariko, einem Salzburger Unternehmen, das sich Organisationsberatung, Trainings und Coachings verschrieben hat. Bei der aktuellen Politikergeneration beobachtet sie ein deutlich stärkeres Bewusstsein für Körpersprache als noch vor Jahren. Ein jeder Politiker werde geschult. Deshalb könne man im Regelfall nicht von authentischer Körpersprache ausgehen. Aber: „Niemand kann etwa seine Mimik zu 100 Prozent unter Kontrolle bringen – zumindest nicht ohne Botox“, sagt Kölblinger mit einem Augenzwinkern.
Es gebe bestimmte körpersprachliche Regeln, an die sich ein jeder Politiker halte. „Wenn Sie Vertrauen erwecken wollen, gestikulieren Sie langsam – und fuchteln nicht herum.“Sebastian Kurz setze etwa darauf. Zudem beuge sich der ÖVPPolitiker bewusst zu Personen vor, wenn er mit ihnen spreche. Das schaffe Volksnähe. Dazu zitiert Kölblinger aus dem Buch „Leithammel sind auch nur Menschen“: „Kurz ist frühzeitig gealtert. Er macht selten jugendliche Bewegungen“– um ein Gefühl von Reife und Erhabenheit entstehen zu lassen. Eine weitere Regel: Politiker greifen sich nur selten in ihr Gesicht. Denn die Geste signalisiere Unsicherheit, wie auch Studien belegen.
Eine Studie, die solche und ähnliche Verhaltensmuster auf die Politik umlegt, kommt von Michael Leitner. Der 37-Jährige forscht als Postdoktorand am Fachbereich Psychologie der Uni Salzburg. Parallel lehrt der Salzburger – wie auch Judith Kölblinger – im Universitätslehrgang Interpersonelle Kommunikation. In seiner Masterarbeit hat Leitner ein Duell zwischen HeinzChristian Strache (FPÖ) und Alexander Van der Bellen (Grüne) im Vorfeld der Nationalratswahl 2008 analysiert. Strache habe sich damals sehr häufig mit der Hand an den Hals gefasst. „Und das meistens in Situationen, in denen er in der Defensive war.“Im Gegensatz zu solchen Beobachtungen beruhten andere Regeln primär auf Klischees. „Wenn eine Person das Bedürfnis hat, die Arme zu verschränken, muss das nicht bedeuten, dass sie defensiv ist.“Vielleicht suche sie die Position nur, um den Bewegungsapparat zu entlasten.
Ein Beispiel für Körpersprache, das Leitner in Erinnerung geblieben ist, ist der Auftritt von Sebastian Kurz nach dem Rücktritt von HeinzChristian Strache. „Ich glaube, das war einstudiert – ein jeder Satz, aber ebenso mimisch und gestisch.“Dies sei auch eine mögliche Erklärung, wieso Sebastian Kurz erst nach Stunden vor die Presse trat.
Ein anderes Beispiel: Bei einer Parlamentsdebatte sei Pamela Rendi-Wagner von einem ÖVP-Politiker für ihr Lächeln kritisiert worden. Und die SPÖ-Vorsitzende konnte damit nur schwer umgehen. Das habe gezeigt, dass die politische Quereinsteigerin wohl nicht so geschult sei wie einige ihrer Kollegen.
Um sein Gegenüber lesen zu können, reiche aber nicht nur ein Zeichen. „Körpersprache ist nie etwas Isoliertes.“Vielmehr gebe es sogenannte Signalketten. Und diese könne man erst dann festmachen, wenn man eine Person näher kennenlerne oder länger beobachte.
Doch nicht für Politiker, sondern für jeden, der vor anderen sprechen müsse, sei der körpersprachliche Auftritt eine Gratwanderung. Denn man müsse ebenso die Wirkung auf das eigene Befinden berücksichtigen. „Die Körpersprache steuert auch einen selbst“, sagt Leitner. Und Judith Kölblinger ergänzt ein Beispiel: Es sei belegt, dass jemand, der nach vorn gebeugt arbeite, weniger Ideen habe als einer, der den Körper aufrichte – oder aufstehe und einmal ums Haus gehe. „Dadurch entspannt sich der Körper, er bekommt mehr Luft.“Ähnliches gelte für Interaktion: „Einer, der sein Gegenüber gewinnen will, aber daherkommt wie ein geschlagener Hund, hat schon viel verloren.“
Aber kann man das alles auch mit fortgeschrittenem Alter lernen? Ja, sagt Kölblinger. „Es ist vergleichbar mit Gesangsunterricht: Bis zu einem gewissen Grad kann in jedem Alter die Stimme entwickelt werden – oder eben interpersonelle Kommunikation gelernt werden.“
„Talk im Hangar-7“Spezial mit Sebastian Kurz und Herbert Kickl, Donnerstag ab 21.15 Uhr auf Servus TV.
Der sechste Jahrgang des Universitätslehrgangs Interpersonelle Kommunikation startet im September. Weitere Infos auf INSTITUT-IPK.AT
„Körpersprache kann man lernen.“
Judith Kölblinger, Kommunikationscoach