Die globale Ordnung ist ohne Hüter
„America First“proklamiert der US-Präsident und signalisiert so, dass sich sein Land ein Stück weit aus der internationalen Verantwortung zurückziehen soll. Auch China wird nicht die Rolle des Ordnungsstifters spielen.
Der Verdruss, immerzu den Weltpolizisten spielen zu müssen, ist schon unter Barack Obama zu spüren gewesen. Aber an dem Anspruch, dass die USA als Weltmacht unentbehrlich seien, hat dieser amerikanische Präsident festgehalten.
Seit dem Amtsantritt Donald Trumps jedoch ziehen sich die Vereinigten Staaten offensichtlich aus der Rolle eines „Hüters der globalen Ordnung“zurück. Das heißt: Sie bemühen sich nicht mehr vorrangig darum, globale Gemeingüter wie Handelssicherheit und internationale Rüstungsbegrenzung oder zentrale Werte wie die Achtung der Menschenrechte bereitzustellen. Vielmehr verfolgen sie unter dem Motto „America First“in erster Linie ihre eigenen Interessen.
Viele Analytiker nehmen an, dass die Vereinigten Staaten auch nach dem Ende von Trumps Präsidentschaft nicht in die gewohnte Rolle des „Hüters der globalen Ordnung“zurückkehren werden. Das hat vorrangig mit den Machtverschiebungen auf dem Globus zu tun. Die Ära der amerikanischen Dominanz geht augenscheinlich zu Ende. Stattdessen zieht ein Zeitalter herauf, dem China seinen Stempel aufdrücken will.
Zwar verstärkt die Volksrepublik zusehends ihr Engagement in den Vereinten Nationen und füllt damit eine Leerstelle, die Washington mit seiner Distanzhaltung zur UNO hinterlässt. Aber viele Beobachter zweifeln daran, dass China die Rolle des „Hüters der globalen Ordnung“übernehmen wird. Mit der Strategie der Neuen Seidenstraße etwa verfolgt Peking vielmehr zuvorderst eigene Interessen. Es agiert als Türsteher, der darüber entscheidet, wer Zugang zu diesem Klub der neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten bekommt.
Auch die Weltmacht USA hat immer wieder eigensüchtig gehandelt – und damit im Widerspruch zu universalen Werten. Aber wenn man sie deswegen rügte, adressierte man diese Kritik eben an jene Macht, die sich als „Hüter der globalen Ordnung“mit universalen Wertvorstellungen verstand.
Es sind die USA gewesen, die nach 1945 maßgeblich zur Schaffung eines Systems des Multilateralismus, von der UNO bis zur Weltbank, beigetragen haben. Unter Präsident Trump propagiert Amerika geradezu programmatisch die Abkehr vom multilateralen Handeln. Der Rückzug der Amerikaner aus der Rolle eines „Hüters der globalen Ordnung“habe zur Folge, dass es eine Ordnung in dieser Form nicht mehr geben werde, erläutert der deutsche Politikforscher Herfried Münkler. Damit werde eine Ordnung entstehen, die ohne „Hüter“auskommen müsse.
An die Stelle eines unipolaren, von einer einzigen Macht (USA) bestimmten Systems wird nach seiner Analyse ein multipolares System mit fünf Hauptmächten treten.
Dieser neuen Weltordnung werden sicherlich die Vereinigten Staaten und China angehören, „mit großer Wahrscheinlichkeit“aber auch Russland (als Rohstofflager und Atommacht). Die Europäer sollten ebenfalls ihren Platz in diesem Weltsystem haben, sofern sie ihre politische Einheit bewahren und es obendrein schaffen, in Fragen der globalen Ordnung mit einer Stimme zu sprechen. Die Indische Union könnte den Fünfer-Klub komplettieren. Staaten aus Lateinamerika, Afrika und der islamischen Welt sind laut dieser politischen Prognose nicht an Bord und müssen deshalb versuchen, aus der zweiten Reihe heraus Einfluss zu nehmen.
Die Fünfer-Herrschaft ist konfliktträchtig. Die USA stufen in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie sowohl Russland als auch China explizit als politische Gegner ein. Die Europäische Union ist schon wegen der Anbindung der Ukraine mit Russland in heftigen Streit geraten. Die EU beschreibt in ihrer neuen ChinaStrategie die Volksrepublik zwar als Partner, aber auch als wirtschaftlichen Konkurrenten und als Rivalen, der ein komplett anderes politisches System propagiert. In Brüssel hat sich der Ton gegenüber Peking hörbar verschärft. Die Volksrepublik soll sich, wenn man mit ihr Geschäfte macht, an die internationalen Regeln halten. Die USA betrachten die Indische Union offenbar als ein Gegengewicht zu Chinas Expansion. Sie versuchen zugleich, die Europäer gegen China und Russland in Stellung zu bringen. Je stärker der westliche Druck ist, desto stärker könnten China und Russland freilich geneigt sein, zusammen eine Allianz gegen den Westen zu bilden. HELMUT.MUELLER@SN.AT