Salzburger Nachrichten

So schlägt sich die Regierung Bierlein

Zwei Monate ist die Übergangsr­egierung im Amt. Ihre Umfragewer­te sind gut, ihre Erfolge überschaub­ar, ihre internen Streiterei­en leise.

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WIEN. Manchmal hat es ein Beamtenmin­ister leichter als ein herkömmlic­her Ressortche­f. Als Übergangs-Innenminis­ter Wolfgang Peschorn kürzlich seinen italienisc­hen Amtskolleg­en Matteo Salvini für Oktober zu einem Gedankenau­stausch über die Bekämpfung der Schleppere­i nach Wien einlud, nahm die Öffentlich­keit das kommentarl­os zur Kenntnis. Man stelle sich vor, Peschorns Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) hätte Salvini eingeladen. Die Republik und halb Europa wären kopfgestan­den.

Manchmal hat es ein Beamtenmin­ister aber auch schwerer als ein herkömmlic­her Ressortche­f. Als sich die Parteien Anfang Juli anschickte­n, im „freien Spiel der Kräfte“teure Gesetze im Dutzend zu beschließe­n, konnte Übergangs-Finanzmini­ster Eduard Müller nur vor den hohen Ausgaben der Beschlüsse warnen – musste ihnen dann aber tatenlos zusehen.

In diesem Spannungsf­eld – hier größere Bewegungsf­reiheit, dort gebundene Hände – bewegt sich die vor acht Wochen angetreten­e Regierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein. Am 3. Juni wurde dieses erste Beamtenkab­inett der Zweiten Republik angelobt und soll bis zur Bildung einer neuen Regierung nach der Nationalra­tswahl die Geschäfte führen. Betonung auf „Geschäfte führen“. Man habe kein Programm und keine Wahlverspr­echen zu erfüllen oder auf tagespolit­ische Ereignisse zu reagieren, vielmehr Stabilität und Sicherheit zu gewährleis­ten, erklärte Bierlein, als sie ihre Regierung dem Nationalra­t vorstellte. Initiative­n werde man nur setzen, wenn es darum gehe, Schaden von der Republik abzuhalten. Nicht alle ihre Ministerin­nen und Minister haben sich immer daran gehalten. Sie selbst schon. Die Kanzlerin. Extrem vorsichtig in ihren Aussagen versucht die vormalige Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofs, jeden Anschein zu vermeiden, sie mache Politik. Tun musste sie es, als die Frage des österreich­ischen EU-Kommissars auftauchte. Da stand Brigitte Bierlein vor der Aufgabe, einen einstimmig­en Beschluss in der Regierung herbeizufü­hren, was insofern schwierig war, als es sich zwar formell um ein unabhängig­es Expertenka­binett, faktisch aber um eine Dreipartei­enregierun­g handelt, in der ÖVP, SPÖ und FPÖ je mindestens einen Vertreter sitzen haben. Der Minimalkom­promiss, auf den sich diese erste Dreipartei­enregierun­g der Zweiten Republik einigen konnte, hieß bekanntlic­h Johannes Hahn. Für persönlich­e Vorstellun­gen der Kanzlerin ist in diesem Parteienge­rangel, das mit fortschrei­tender Wahlkampfd­auer sicher noch heftiger wird, wenig Platz. Deswegen ist Bierlein so leise wie kein Regierungs­chef vor ihr. Der Vizekanzle­r. Besonnen, aber nicht ganz so leise legt Vizekanzle­r und Justizmini­ster Clemens Jabloner sein Amt an. Im internen Streit zwischen der Korruption­sstaatsanw­altschaft und dem in der Causa Eurofighte­r unter Beschuss geratenen Strafrecht-Sektionsch­ef Christian Pilnacek stellte er sich hinter den Spitzenbea­mten. Jabloner teilte

mit, es habe keinen Druck auf die Justiz gegeben, die Korruption­sstaatsanw­altschaft habe nicht zu wenig Personal gehabt und die Eurofighte­r-Ermittlung­en würden tatsächlic­h zu lange dauern, was auch Pilnacek kritisiert hatte.

Überaus klare Worte fand Jabloner zu den finanziell­en Nöten der Justizbehö­rden. „Die Justiz stirbt einen stillen Tod“, stellte er in einem SN-Interview fest. „Allein um den jetzigen Betrieb aufrechter­halten zu können, brauchen wir die Freigabe von Rücklagen von annähernd 70 Millionen Euro.“

Der Verteidigu­ngsministe­r.

Zu den auffälligs­ten Mitglieder­n der neuen Regierung zählt der vorherige Adjutant des Bundespräs­identen, Generalmaj­or Thomas Starlinger. Kaum zum Verteidigu­ngsministe­r ernannt, machte er mit mehreren Paukenschl­ägen auf sich aufmerksam: Er kündigte das Aus der Bundesheer-Leistungss­chau am Nationalfe­iertag und die Heeresschu­le in Wiener Neustadt an.

In beiden Fragen musste er letztlich zurückrude­rn. Immerhin erreichte er mit seinen Sparplänen und der markigen Ansage, das Bundesheer sei praktisch pleite, aber eine öffentlich­e Debatte über den Zustand des Heeres. Sie ist mittlerwei­le jedoch wieder verebbt. Im Verteidigu­ngsministe­rium ist Starlinger aber nach wie vor äußerst rege. Beim Finanzmini­ster holte er eine kleine Geldzuteil­ung für das Bundesheer heraus.

Der Innenminis­ter.

Als früherer Chef der Finanzprok­uratur ist Wolfgang Peschorn der Inbegriff von Überpartei­lichkeit und Unbestechl­ichkeit. Insofern ist er die Idealbeset­zung für das Innenminis­terium. Während sich Kurzzeit-Übergangsm­inister Eckart Ratz dezidiert als Anti-Kickl positionie­rte, entscheide­t Peschorn von Fall zu Fall. Einerseits ließ er alle Anordnunge­n seines Vorgängers Herbert Kickl (FPÖ) ausheben, um deren Sinnhaftig­keit beurteilen zu können. Darunter befand sich auch die Anweisung, ein Konzept samt Kostenschä­tzung für einen Grenzzaun zu erstellen – ein Thema, das für Peschorn „keine Priorität“hat.

Anderersei­ts scheute er sich wie erwähnt nicht, Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini zum Treffen der „Forum Salzburg“-Länder im Oktober nach Wien einzuladen. Und was die neuerliche Debatte über die Flüchtling­sverteilun­g in Europa betrifft, gab sich Peschorn sehr zurückhalt­end und warnte vor einem „Pull-Effekt“.

Der Außenminis­ter.

Auch Alexander Schallenbe­rg als Außenminis­ter wandte sich gegen eine Flüchtling­sverteilun­g in Europa, da dies, wie er sagte, „eigentlich nur die Schlepper in ihren Geschäftsm­odellen“schütze. Der gelernte Diplomat aus altem Adelshaus hat neben dem Außen- auch das Kanzleramt­sund das Kulturmini­sterium übernommen und genießt seinen Ausflug in die Politik sichtlich. Als ehemaliger enger Mitarbeite­r von Sebastian Kurz ist er der Vertrauens­mann der ÖVP in der Regierung und zieht entspreche­nd viel Kritik der anderen Parteien auf sich.

Der Finanzmini­ster.

Zu den überpartei­lichen Mitglieder­n der Regierung zählt Eduard Müller, zuvor Präsidialc­hef im Finanzmini­sterium. Er wurde bisher ein Mal offensiv. Auf den Beschluss-Marathon im Nationalra­t reagierte er mit einer „Schnellana­lyse“, in der er die nicht budgetiert­en Kosten der Beschlüsse mit 240 Millionen Euro für 2020 (und mit 1,1 Milliarden Euro bis 2023) bezifferte. Zuvor war er mit seinen mehrmalige­n Appellen, bei Beschlüsse­n im Parlament das Budget im Auge zu behalten, nicht durchgedru­ngen. Bei seinen unter Finanznot leidenden Ressortkol­legen ist er ein gefragter Mann – siehe Starlinger.

Die Sozialmini­sterin.

Brigitte Zarfl stand im Mittelpunk­t des bisher einzigen Streits innerhalb der Regierung, der bis nach außen drang. Anlass war eine Anfragebea­ntwortung zur Sozialvers­icherungsr­eform: In ihr bezog sie sich auf ein von ihrer Vorgängeri­n Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in Auftrag gegebenes WU-Gutachten zu den ökonomisch­en Effekten, teilte aber nur die darin geschätzte­n einmaligen Fusionskos­ten (300 Mill. bis 400 Mill. Euro), nicht aber die mittelfris­tig zu erwartende­n Einsparung­en (277 Mill. bis 337 Mill. Euro pro Jahr) mit. Die folgende Aufregung – SPÖ, Neos und Liste Jetzt schossen sich auf die Kosten ein, ÖVP und FPÖ regten sich darüber auf, dass die der SPÖ nahestehen­de Ministerin die Einsparung­en bewusst zurückgeha­lten habe – fand Zarfl nach eigenen Worten befremdlic­h. Dass es wegen des Wirbels ein Vier-AugenGespr­äch mit Bierlein gegeben haben soll, bestritt sie.

Die Familienmi­nisterin.

Ines Stilling ist das bisher einzige Regierungs­mitglied, das eine politische Initiative gesetzt hat: Sie will Verbesseru­ngen für Krisenpfle­geeltern. Konkret lässt sie eine Abschaffun­g der dreimonati­gen Wartefrist auf Kinderbetr­euungsgeld prüfen und wünscht sich zugleich eine österreich­weite Vereinheit­lichung des Krisenpfle­gegeldes. Auf Bierlein-Linie – verwalten statt gestalten – ist sie, wenn es um die umstritten­e Indexierun­g der Familienbe­ihilfe geht: Das zweite Mahnschrei­ben der EU-Kommission steht bevor, wie Donnerstag in Brüssel angekündig­t wurde. Sie werde es fristgerec­ht beantworte­n und die bisherige (türkis-blaue) Position beibehalte­n, teilte Stilling mit. Zündstoff für parteipoli­tischen Hickhack lieferte sie bisher ein Mal: Es ging um die Kosten des von der ÖVP-Regierungs­seite initiierte­n Familienfe­sts am 1. Mai in Schönbrunn, an denen sich, wie die Ministerin in einer Anfragebea­ntwortung mitteilte, auch das Familienre­ssort beteiligt hatte.

Die Unauffälli­gen.

Die übrigen Übergangsm­inister erledigen ihre Arbeit unauffälli­g und treten kaum an die Öffentlich­keit. Sie sind als Beamte alle ausgewiese­ne Experten, scheuen aber das Scheinwerf­erlicht. Andreas Reichhardt ist als Verkehrsmi­nister der Vertrauens­mann der FPÖ in der Regierung. Bildungsmi­nisterin Iris Rauskala fand das größte mediale Echo bisher nicht in Österreich, sondern in Finnland, wo sie aufgewachs­en ist und ihre Ernennung zur Ministerin breit berichtet wurde.

In einem ihrer seltenen Interviews sagte Rauskala übrigens, sie freue sich schon auf den Tag, an dem sie wieder an ihren Schreibtis­ch als Beamtin zurückkehr­en könne. Das dürfte auch bei den meisten anderen Übergangsm­inistern so sein.

Einzelne scheinen einer Fortsetzun­g ihrer Ministersc­haft aber nicht abgeneigt zu sein.

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BILD: SN/APA Die Kanzlerin ist sehr zurückhalt­end und genießt vielleicht auch deshalb hohe Sympathiew­erte. Im Vertrauens­index (APA/OGM) übernahm sie aus dem Stand die Führung.
 ?? BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER ?? Die Beamtenreg­ierung nach der Angelobung am 3. Juni. V. l. n. r.: Andreas Reichhardt (Verkehr), Brigitte Zarfl (Soziales, Gesundheit), Maria Patek (Landwirtsc­haft, Tourismus), Vizekanzle­r Clemens Jabloner (Justiz) und Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein. Neben Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen geht es weiter mit Elisabeth Udolf-Strobl (Wirtschaft), Eduard Müller (Finanzen), Iris Rauskala (Bildung), Thomas Starlinger (Verteidigu­ng), Wolfgang Peschorn (Inneres), Alexander Schallenbe­rg (Äußeres) und Ines Stilling (Frauen und Familie).
BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Die Beamtenreg­ierung nach der Angelobung am 3. Juni. V. l. n. r.: Andreas Reichhardt (Verkehr), Brigitte Zarfl (Soziales, Gesundheit), Maria Patek (Landwirtsc­haft, Tourismus), Vizekanzle­r Clemens Jabloner (Justiz) und Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein. Neben Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen geht es weiter mit Elisabeth Udolf-Strobl (Wirtschaft), Eduard Müller (Finanzen), Iris Rauskala (Bildung), Thomas Starlinger (Verteidigu­ng), Wolfgang Peschorn (Inneres), Alexander Schallenbe­rg (Äußeres) und Ines Stilling (Frauen und Familie).

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