Salzburger Nachrichten

Clowns und eine Maus sind neu bei Wagner

Tobias Kratzer und Valery Gergiev gestalten „Tannhäuser“bei den Bayreuther Festspiele­n.

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Die Dame hat eindeutig kein Problem mit ihrem beträchtli­chen Gewicht. Auch trägt sie immer dasselbe Kostüm. Und doch macht sie auf dem roten Teppich eine tolle Figur. Allein schon wegen der Größe und ihrem immer freundlich­en Lächeln. Die Rede ist von einer Maus, genauer, von der Maus. Selbige Sendung mit ihr sorgt seit Jahrzehnte­n für Top-Einschaltq­uoten, wobei besonders jung gebliebene Erwachsene sich die eher undidaktis­chen Lehrstücke gern ansehen.

„Die Sendung mit der Maus“kam heuer erstmals vom Grünen Hügel in Bayreuth. Was die tierische Dame vom Geschehen auf der Bühne hielt, konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen. Möglicherw­eise fand sie die farbige Dragqueen Le Gateau Chocolat und den kleinwüchs­igen Darsteller Manni Laudenbach, der mit einer (unhörbaren) Blechtromm­el à la Oskar Matzerath umherwande­rte, ganz lustig. Die beiden waren in der ersten Pause auch am und auf dem Festspielt­eich zu Füßen des Hügels zu erleben, er paddelte, die Queen sang Hits von Madonna bis Lady Gaga. Bewacht wurde dieses Freiluft-Intermezzo bei 40 Grad im Schatten von einer Horde Polizisten. Dazu gehörte auch eine pittoreske Reiterstaf­fel, Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl würde vor Neid erblassen.

Im Bayreuther Festspielh­aus spielten sich unterdesse­n ebenfalls seltsame Dinge ab. Eine ziemlich verrückte Truppe raste in einem alten Minibus durch die Landschaft, sie kam an einer alten Biogasanla­ge vorbei, die mangels Nachfrage außer Betrieb ist.

Einige Premiereng­äste meinten, es handle sich um ein Statement gegen diese Art von Energiegew­innung. Tatsächlic­h spielt Regisseur Tobias Kratzer aber auf Sebastian Baumgarten­s letzten Bayreuther „Tannhäuser“an, der in solch einer Anlage spielte und bei Publikum wie Presse durchfiel. Kratzers Inszenieru­ng ist reich an Referenzen, bildästhet­isch wird etwa Frank Castorf zitiert, auf dem Bus findet sich ein Schlingens­ief-Hase.

Kratzer und sein Team tauchen selbst auch auf, als Statisten am Rande des Festspielp­arks, der sich samt Festspielh­aus auf der Bühne wiederfind­et. Denn Meistersän­ger Tannhäuser will eigentlich nur ein biederer Festspielm­ensch sein, ihm gefällt jedoch auch die kesse, blonde, völlig verrückte Venus (brillant Elena Zhidkova), die ihn mitsamt der Dragqueen und dem Trommler auf Reisen mitnimmt. Dass dabei ein Polizist umgenietet wird, stört die Stimmung nur kurz.

Im ersten Aufzug gibt es einen Märchenwal­d mit Gartenzwer­gen, im zweiten Aufzug blickt man in eine hohe, biedere Halle, in der das Geschehen beinahe nach dem Büchl abläuft, nur dass oben drüber ein Livevideos­tream aus der Hinterbühn­e zu sehen ist, dort streifen Oskar und Herr/Frau Chocolat herum, bis ein Katharina-WagnerDoub­le die Polizei ruft und letztere dann – reichlich träge – für Ordnung sorgt. Aufzug Nummer drei bietet vorwiegend Stillstand, sowohl hinsichtli­ch der Gesamtener­gie als auch der Ideen.

Tobias Kratzer, sonst ein fulminante­r Stückeverd­ichter und Weiterdenk­er, bleibt in diesem Fall einiges schuldig. Die langweilig­e Elisabeth (zunächst angestreng­t, später grundsolid­e: Lise Davidsen) meuchelt sich am Ende selber. Vorher hatte sie Sex mit dem im Clownsgewa­nd auftretend­en Wolfram von Eschenbach, Konkurrent Tannhäuser­s. Davor kam Tannhäuser (ausdauernd-dynamisch Stephen Gould) selbst als Clown daher. Bildet sich die Dame alles nur ein, hat Wolfram das Kostüm gestohlen? Es bleiben diverse Fragen offen, in den kommenden Jahren hat die Werkstatt Bayreuth viel zu tun.

Auch musikalisc­h ist reichlich Luft nach oben. Valery Gergiev dirigiert den ersten Aufzug zurückhalt­end fein, recht italienisc­h, mit ein paar Wacklern. Leider stellt sich hernach ein orchestral­es Decrescend­o ein, die Koordinati­onsschwier­igkeiten nehmen zu, auch die Chöre (einstudier­t von Eberhard Friedrich) klingen oft zu wenig strahlend und zu leise.

Markus Eiche ist ein toller Wolfram, stark sind auch Kay Stieferman­n als Biterolf und Wilhelm Schwingham­mer als Reinmar von Zweter. Aus dem Graben hört man öfters ein Zischen und Keuchen. War das eine weitere Gebläsedüs­e (Thielemann ließ einst eine extra für sich installier­en)? Nein, es war Maestro Gergiev, der offenbar meinte, mit solchen Spontanlau­ten ließe sich etwas retten. Leider weit gefehlt!

TV-Hinweis: Die Neuinszeni­erung des „Tannhäuser“aus Bayreuth ist heute, Samstag, von 20.15 bis 23.55 Uhr auf 3sat zu sehen.

Beim Dirigenten bleibt Luft nach oben

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BILD: SN/APA/ENRICO NAWRATH Stephen Gould (Tannhäuser) und Elena Zhidkova (Venus) im neuen Bayreuther „Tannhäuser“.
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Die Maus und ihr Erfinder Armin Maiwald grüßen Bayreuther Gäste.

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