Teigtaschen wärmen im Rausch der Weltzerlegung
Thomas Bernhard war auch bei der Verleihung des Staatspreises an den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq.
SALZBURG. Michel Houellebecq ist eine hagere Gestalt unter schütterem Haar. Es gibt Fotos, da trägt er über dem schmalen Körper ein übergroßes ärmellos Shirt. So eine Art Ruderleiberl ist das – für heiße Tage oder ein recht schlafloses Leben. Er hat auf diesen Bildern eine Zigarette im Mund. Er ist dafür, dass er in Zeiten der Raucherächtung massiv raucht, fast so berühmt wie für seine Literatur. Seinen Blick auf diesen Fotos als „vernebelt“zu bezeichnen ist ein Hilfsausdruck. Viele Bilder zeigen den Dichter als Strafgefangenen eines Klischees, das Dichter als verkrachte, verzweifelte Existenzen einordnet. Das einzige, das dann angeblich hilft, ist das Schreiben über die Verkommenheit der Welt. „Finger in die Wunde legen“, wie es Kulturminister Alexander Schallenberg sagt. Und er sagt auch, dass Houellebecq kein Bequemer sei, aber „einer, der uns bewegt“.
Der Minister verlieh am Freitag in Salzburg den Staatspreis für Europäische Literatur an den 63-jährigen Franzosen. Es ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen, die dieses Land für Literatur vergibt.
Der Verleihungstag wäre ein sehr, sehr guter Ruderleibertag gewesen, weil sich die Hitze festgebissen hat in der Stadt. Houellebecq trägt aber ein Sakko, die übliche Verleihungsfestuniform. Und es gibt auch sonst keine besondere Aufregung, zu der der Franzose immer gut ist.
Er sinniert in seiner Dankrede eher launig als bissig über Klischees und Vorurteile zwischen den europäischen Nationen. Diese Missverständnisse und regionale Unterschiede störten ihn allerdings weit weniger als „die Wahrheit, dass die Menschen immer gleichgeschalteter sind als Standardkonsumenten“. Das kritisiert er als Schriftsteller. Das will er als Mensch nicht sein. Lieber als Böser und Tabubrecher abgestempelt, als in Bravheit und Zuversicht unterzugehen.
Es passt ganz gut, dass Daniela Striegl in ihrer Laudation die sieben Todsünden als Raster nimmt, an dem sie durch das Werk Houellebecqs mäandert. Das liefert griffige Zitate. Es führt hin und wieder auch auf den schmalen Grat dieser Literatur zwischen bitterer Weltvernichtung und Zerstörung des Restglaubens an ein kleines bisschen Gutes in den Menschen. Da taucht etwa einer der Protagonisten aus „Ausweitung der Kampfzone“auf. Ob das wärmende Gefühl, das er spürt, ein unglaublicher Anflug von Humanismus ist oder es doch an den Teigtaschen liegt, die er gerade gegessen hat.
Michel Houellebecq ist ein mächtiger Weltsezierer, ein Weltzerleger, ein Seher, der sieht, dass verdammt vieles gar nicht gut ist. Weil er das ist, und immer schon polarisiert und provoziert hat, hat er für die Verleihungszeremonie einen kleinen Wink mit der Abscheu parat.
Er lässt als Prolog seiner Dankesworte einen Teil aus Thomas Bernhards „Wittgensteins Neffe“lesen. Naturgemäß jene Passage, in der Bernhard Beschwerde führt über die Missachtung, die ihm bei Preisverleihungen widerfuhr. Was Bernhard dazu bringt, seinen Begleiter Paul sagen zu lassen: „Einen Preis annehmen ist schon eine Perversität, einen Staatspreis anzunehmen ist die größte.“
Schriftsteller, sagt Houellebecq, seien keine Wohltäter. „Dennoch gibt man ihnen Preise, ganz so, als hätten sie etwas Verdienstvolles geleistet. Das ist merkwürdig.“Das sagte er etwa eine halbe Stunde, nachdem der Kulturminister dem Unangepassten seine Preisurkunde überreicht hatte. „Merci“, hatte Houellebecq zum Minister gesagt. Dafür gab es 25.000 Euro.
„Höflichkeit ist Heuchelei, eine große soziale Tugend“, sagte Houellebecq auch noch. „Doch wenn man schreibt, ist sie ein Kunstfehler, den Thomas Bernhard nicht begangen hat. Und ich auch nicht – zumindest hoffe ich es.“