Der Pinsel, geladen mit Leben
In der Galerie Ropac sind rare Werke von Pop-Art-Überstar Roy Lichtenstein zu sehen.
Sieht aus, als wäre der Pinsel mit geheimnisvoller Energie geladen und bahnte sich wie von allein seinen Weg. „Artemis and Acteon“heißt das Gemälde von 1987. Es springt einem entgegen. Roy Lichtenstein greift als Vorlage für diesen ungezügelten Ritt auf Tizian zurück. Der Wegbereiter und schließlich Superstar der Pop-Art vereint Klassik und Moderne, übermächtig Vergangenes mit der Ungewissheit des Künftigen.
„The Loaded Brush“heißt die Sommerschau in der Galerie Ropac – der geladene oder aufgeladene Pinsel. Passt. Diesen Pinsel kann man für eine gefährliche Schusswaffe halten oder für einen Zauberstab – in jedem Fall wirkt er nach.
Zum ersten Mal ist „Artemis and Acteon“in Europa zu sehen als Teil einer Schau, die den Blick auf einen Lichtenstein ermöglicht, der nicht massenhaft bekannt ist. Seine PopArt-Bilder gehören zum Inventar des kollektiven Kunstgedächtnisses wie die Rolling Stones oder Superman. In sieben Gruppenausstellungen wurden bei Ropac seit 1992 Lichtenstein-Werke in Salzburg und Paris gezeigt. Nun gibt es die erste Einzelausstellung.
Die zur Posterkunst gewordenen Pop- und Comicbilder von Lichtenstein, der 1997 gestorben ist, schimmern nur durch. Seine bekannten Strich- und Punktmuster zerlegte er in den 1980er-Jahren mit verschiedenen Malmethoden. Ob das ironische Kommentare sind oder der Versuch, eine neue Malwelt zu öffnen, ist eine akademische Diskussion. Für die immense Wirkung der Bilder spielt das keine Rolle. Man begegnet einem Künstler, der alles Schablonenhafte auflöst und den Pinselstrich zum lebendigen Wesen macht. Zum Ausdruck kommt dabei eine tiefe Beschäftigung mit der Kunstgeschichte ebenso wie ein lässiger Umgang mit der eigenen Legende. Als wollte er an diesem Ruf rütteln, begibt sich Lichtenstein in eine neue Welt.
Mit der Macht des Pinselstrichs setzte er sich schon in den 1960erJahren auseinander. In den 80ern allerdings verfeinerte er seine Technik. Es war die Zeit, in der die kraftstrotzende Kunst von Julian Schnabel oder Georg Baselitz reagierte. So luftig wie das Expressionistische bei Lichtenstein daherkommt, kann das auch als ironischer, feingesponnener Kommentar zur Übermännlichkeit der Kollegen verstanden werden. Auf dem Werk “Riverdance“etwa hat es beim schnellen Hinschauen den Anschein, als habe da einer einfach wie wild drauflosgemalt. Genauer betrachtet, erweist sich jeder Stich als Teil einer ausgeklügelten Komposition.
Alles fließt. Alles lebt. Und alles stößt immer wieder neue Welten auf. Stets schimmern im Hintergrund die Ausgangspunkte für sein Schaffen durch, etwa geometrisch akribisch angeordnete Linien. Sie bekommen aber neue Farbe und Form – und sie werden Teil einer ganz neuen Erzählung. Man kann sich ihr nur schwer entziehen, weil sich mit jedem neuen Blick eine neue Lebendigkeit auf der Leinwand offenbart.
Neben den Gemälden entstanden mit dem gleichen schwungvollen und also belebenden Gestus auch Skulpturen, von denen einige ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Die Schönste davon steht im Garten hinter der Galerie, heißt „Endless Drip“und gleicht einer sanften, schmalen Welle, die aber nicht den Boden entlang, sondern in den Himmel fließt. Die Lebendigkeit dieses Schwungs scheint wie gemacht als Ergänzung für die Umgebung, in der die Skulptur die nächsten Wochen verbringt: den Springbrunnen im Mirabellgarten. Ausstellung: