Die „Zeit mit Dusapin“ist angebrochen
Die Musik des Franzosen, dem die Salzburger Festspiele eine Konzertreihe widmen, hat Kraft, Gefühl und Struktur. Doch etwas fehlt.
SALZBURG. Neuerlich wurde bei der Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele eine eigene Art von Religiosität ins Blickfeld gerückt: Werke von Sofia Gubaidulina wurden den Werken von Pascal Dusapin vorangestellt, dem die damit beginnende sechsteilige Konzertreihe „Zeit mit Dusapin“gewidmet ist.
Dass Pascal Dusapin Vorlesungen bei Iannis Xenakis besucht hat, hört man jener Musik, die am Donnerstagabend in der Kollegienkirche erklungen ist, kaum an. Die Zeit bei Olivier Messiaen ist an manchen Farbtupfern und vielleicht an unkonventionellen Stimmführungen ablesbar. Die Kraft seiner Musik ist durch die Rückbesinnung auf Elemente der Konvention gebändigt, vor allem in A-cappella-Abschnitten. Diese Musik erzählt – durchaus unkonventionell – von Gefühlen, arbeitet immer wieder mit überraschenden Wendungen, die ein individuelles Gepräge sichern. Sie ist mit Emotionen aufgeladen und deutlich strukturiert zugleich. Aber sie packt nicht.
Das präzise Dirigat von Laurence Equilbey verdient großes Lob. Dass der Beifall für die Aufführung fast frenetische Ausmaße erreicht hat, ist ihr und dem von ihr vor fast dreißig Jahren gegründeten Choeur Accentus zu verdanken. Beim „Dona eis“trat noch das „österreichische ensemble für neue musik“(oenm) mit seinen Bläsern hinzu und sorgte für eine raffinierte Abmischung von Gesungenem und Geblasenem.
Sofia Gubaidulinas „Sieben Worte“für Violoncello, Bajan (die russische Knopfharmonika) und Streicher, mit denen das Konzert begonnen hat, zeichnen sich durch eine kratzbürstige und wortlose Unterart von Glaubensbekenntnis aus, das den beiden Solisten – Clemens Hagen am Cello und Stefan Hussong am Bajan – höchste Spielfertigkeit abverlangte. Töne werden da gefordert, die weit über das Normale hinausführen, weil sie ja auch im Inhaltlichen Glaubens- und politische Oppositionsfragen miteinander vermengen. Es handelt sich dabei also um Musik, wie sie nur vor 1989 und nur im kommunistischen Einflussbereich Osteuropas möglich gewesen ist.
Selten genug kann man sie in Aufführungen hören. Das liegt nicht an mangelnder Qualität, sondern daran, dass dieser Musik mit dem Ende des Kommunismus der gesellschaftliche Boden entzogen worden ist. Nur auf ihm konnte sie entstehen.
Das wurde auch in der Kollegienkirche spürbar: Die Kraft, die in ihr steckt, muss sich auch heute nicht verstecken, auch wenn man sie mit historischer Distanz hört. Der Vergleich mit den vielen zahnlosen Werken der Gegenwartsmusik legt das nahe. Mehr noch: Er macht einen sicher, dass diese Musik ihre Kraft aus einer Oppositionshaltung bezieht.
Was gibt es nicht alles in den „Sieben Worten“zu hören, das quersteht! Chromatische Skalen, verwaschene Töne im begleitenden Streichorchester, malträtierende Bajan-Schläge. Das ist ein unwirsches, knorriges und mürrisches Stück. Da merkt man auch, wie weit sich die Camerata Salzburg mit ihrem taktgebenden Konzertmeister Roberto González-Monjas voranentwickelt hat. Schau, schau und hör, was die Camerata Salzburg – auch auf dem Gebiet der Neuen Musik bis ins Terrain des Fast-Unhörbaren vorstoßend – alles kann! Konzerte: