Arzt lockte Kinder in sein Seehaus
Jener Mediziner, dem sexueller Missbrauch von mindestens 95 Buben vorgeworfen wird, soll auch Aufklärungsunterricht in der Schule gegeben haben. Und er soll seine Opfer dazu bestimmt haben, ihm Nacktfotos zu schicken.
WELS. Jener Facharzt aus dem Salzkammergut, der seit Ende Jänner im Landesgericht Wels in Untersuchungshaft sitzt, soll seine Opfer nicht nur in der Ordination sexuell missbraucht haben. „Fast der ganze engste Freundeskreis mit Kindern ist betroffen“, sagt Franz Hofmann, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, der in dem Fall acht Opfer vertritt. Der Verdächtige habe immer wieder die Buben aus dem Kreis der Großfamilie zum Pizzaessen eingeladen, habe ihnen kleinere Geldgeschenke von 50 bis 70 Euro gemacht und sie in sein Seehaus am Attersee eingeladen, wo er den Kindern am Laptop Pornofilme gezeigt, sie auch ausgezogen und an ihnen sexuelle Handlungen vollzogen habe. Der 55-jährige Arzt selbst habe sich aber nie entkleidet und er habe keine sexuellen Erregungen gezeigt. „Es war sehr häufig dasselbe Verhaltensmuster. Das hatte mit Medizin nicht mehr viel zu tun“, erklärt Hofmann.
Der Mediziner habe auch in Schulen Aufklärungsunterricht vor 13- bis 15-Jährigen gegeben. Themen seien unter anderem Kondomgrößen gewesen und der Verdächtige habe seine Handynummer groß auf die Tafel geschrieben, für den Fall, dass Schüler Fragen zu seinen Ausführungen hätten. „Da hat er das Terrain für künftige Opfer aufbereitet.“Der Rechtsanwalt beschreibt den alleinstehenden Facharzt als sozial und gesellschaftlich gut integriert. Der aus einer angesehenen Unternehmerfamilie stammende Akademiker sei bestens vernetzt gewesen. Nach Bekanntwerden des Verdachtes sei er allerdings sofort aus einer wohltätigen Vereinigung ausgeschlossen worden.
Anwalt Hofmann spricht von einer unfassbaren Dimension. Seit Bestehen der Ordination im Jahr 2000, fast 19 Jahre lang, habe sich der Mediziner nach eigenen Angaben ein bis drei Mal an Pubertierenden vergangen. Die Patientenkartei sei sichergestellt und von den Ermittlern seien insgesamt 850 Jugendliche angeschrieben worden. Die von der Staatsanwaltschaft Wels angegebene Zahl von 95 Opfern sei längst nicht vollständig, „die Dunkelziffer ist noch viel höher“, so Hofmann. Er geht davon aus, dass es wegen der notwendigen umfangreichen Befragungen erst im Frühjahr 2020 zu einem Strafverfahren kommen werde. Wie der Verdächtige über einen so langen Zeitraum agieren konnte? „Er ist eine Autoritätsperson. Er hat Macht an Unterlegenen ausgeübt und das Vertrauen der Eltern missbraucht.“Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses. Laut Behördensprecher Christoph Weber wird auch das Delikt „versuchte Bestimmung zur Anfertigung und Übermittlung von pornografischen Darstellungen Minderjähriger“geprüft – sprich, der Mediziner forderte seine Opfer auf, ihm Nacktfotos bzw. Bilder in eindeutigen Posen über Handy zukommen zu lassen.
Die Linzer Anwaltskanzlei des Verdächtigen wollte zu den Anschuldigungen nichts sagen. „Nach Wunsch der Familie und wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens wird keine Stellungnahme abgegeben“, hieß es. Für den Facharzt gilt die Unschuldsvermutung.