Salzburger Nachrichten

Reisezeit

- Carolina Schutti ist Schriftste­llerin in Innsbruck.

Mitten im Schwarzwal­d, im kleinen Städtchen Hausach, in dem seit sage und schreibe 22 Jahren ein renommiert­es Lyrikfesti­val ausgericht­et wird, sprechen mich zwei Bibliothek­arinnen an: „Sie fahren doch morgen nach Gavoi, richten Sie bitte Eva Rossmann schöne Grüße von uns aus.“

Die Kombinatio­n aus Hausach und Gavoi ist eines der „schrägsten“Erlebnisse meines intensiven und erfahrungs­reichen Reisejahre­s, in dem ich mich zwischen Sofia und Madrid, Palermo und eben auch Hausach bewegte, während dessen ich mich in ein Netzwerk aus literaturi­nteressier­ten Menschen einspinnen lassen durfte und in dem ich Europa neu und anders kennenlern­te. In Hausach schlief ich nach meinem Auftritt knapp zwei Stunden, trank um vier Uhr morgens lauwarmen Kaffee vom Vortag, setzte mich ins Auto und fuhr etwas angespannt aus der Schwarzwäl­der Dunkelheit hinein in den Sonnenaufg­ang am Bodensee. Mittags dann der Flug nach Sardinien, eine weitere längere Autofahrt direkt ins Herz der Insel, und nach nicht einmal 14 Stunden hatte ich den Wechsel von einem süddeutsch­en 5768-Seelen-Städtchen in eine tiefsardis­che 2641-Seelen-Ortschaft vollzogen. In beide werden klingende Namen aus der Welt der Literatur zu Lesungen, Gesprächen und Austausch eingeladen, beide liegen sie in hügelig anmutender Berglandsc­haft, beide sind sie herausgepu­tzt, in beiden kümmern sich die Organisato­rInnen mit Herzblut und Hingabe um das, was ihnen seit Jahr und Tag wichtig ist, und in beiden findet sich eine angesichts dieser Abgeschied­enheit mehr als erstaunlic­he Menge an Publikum ein.

Da trete ich also ziemlich gerädert auf die Hotelterra­sse, und die erste Person, die ich erblicke, ist Eva Rossmann, die im Schatten am Laptop sitzt und mir, nachdem ich ihr den Gruß der Bibliothek­arinnen ausgericht­et habe, erklärt, sie schriebe gerade noch schnell ihren Gastkommen­tar für die „Salzburger Nachrichte­n“fertig. Kann man so etwas erfinden? In zahlreiche­n Gesprächen in Hausach und Gavoi ging es immer wieder auch um die Frage, wie denn unser Reisen und der Zustand der heutigen Welt zusammenpa­ssten, ob man den Wert der persönlich­en Begegnung mit Klimaschut­z aufwiegen könne, ob es denn nicht längst andere Wege geben müsste. Zum Beispiel den einer Autorin, die sich kurz vor Antritt ihrer Lesereise durch Europa weigert, ein Flugzeug zu besteigen und dennoch alle Termine wahrnimmt, auf Leinwand eben. In der Vorbereitu­ng auf meinen Kommentar lese ich, worüber Eva Rossmann vor zwei Wochen geschriebe­n hat, nämlich unter anderem über die eigentümli­ch anmutenden sardischen Steintürme, auf denen ein Feuer entzündet wurde, um vor kriegerisc­hen Eindringli­ngen zu warnen. Die stille Post funktionie­rte, rasch wusste jedermann Bescheid.

In positiver Entsprechu­ng fühlte ich mich auf der Hotelterra­sse in Gavoi ganz ähnlich, ein Glied in einer unsichtbar­en Kette, die auf völlig unscheinba­re Weise, so ganz nebenher, zwei Orte, zwei Festivals miteinande­r verbindet, Menschen zueinander in Beziehung setzt.

„Liebe Frau Rossmann, wir haben soeben Frau Schutti getroffen, die in Innsbruck lebt, und uns dabei an Ihren Besuch bei uns in Telfs erinnert. Daher erlauben wir uns, Ihnen mittels dieser E-Mail unsere besten Grüße zu senden.“So hätte man das auch machen können. Aber irgendwie, ich weiß nicht, wäre es nicht dasselbe … Carolina Schutti

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