Reisezeit
Mitten im Schwarzwald, im kleinen Städtchen Hausach, in dem seit sage und schreibe 22 Jahren ein renommiertes Lyrikfestival ausgerichtet wird, sprechen mich zwei Bibliothekarinnen an: „Sie fahren doch morgen nach Gavoi, richten Sie bitte Eva Rossmann schöne Grüße von uns aus.“
Die Kombination aus Hausach und Gavoi ist eines der „schrägsten“Erlebnisse meines intensiven und erfahrungsreichen Reisejahres, in dem ich mich zwischen Sofia und Madrid, Palermo und eben auch Hausach bewegte, während dessen ich mich in ein Netzwerk aus literaturinteressierten Menschen einspinnen lassen durfte und in dem ich Europa neu und anders kennenlernte. In Hausach schlief ich nach meinem Auftritt knapp zwei Stunden, trank um vier Uhr morgens lauwarmen Kaffee vom Vortag, setzte mich ins Auto und fuhr etwas angespannt aus der Schwarzwälder Dunkelheit hinein in den Sonnenaufgang am Bodensee. Mittags dann der Flug nach Sardinien, eine weitere längere Autofahrt direkt ins Herz der Insel, und nach nicht einmal 14 Stunden hatte ich den Wechsel von einem süddeutschen 5768-Seelen-Städtchen in eine tiefsardische 2641-Seelen-Ortschaft vollzogen. In beide werden klingende Namen aus der Welt der Literatur zu Lesungen, Gesprächen und Austausch eingeladen, beide liegen sie in hügelig anmutender Berglandschaft, beide sind sie herausgeputzt, in beiden kümmern sich die OrganisatorInnen mit Herzblut und Hingabe um das, was ihnen seit Jahr und Tag wichtig ist, und in beiden findet sich eine angesichts dieser Abgeschiedenheit mehr als erstaunliche Menge an Publikum ein.
Da trete ich also ziemlich gerädert auf die Hotelterrasse, und die erste Person, die ich erblicke, ist Eva Rossmann, die im Schatten am Laptop sitzt und mir, nachdem ich ihr den Gruß der Bibliothekarinnen ausgerichtet habe, erklärt, sie schriebe gerade noch schnell ihren Gastkommentar für die „Salzburger Nachrichten“fertig. Kann man so etwas erfinden? In zahlreichen Gesprächen in Hausach und Gavoi ging es immer wieder auch um die Frage, wie denn unser Reisen und der Zustand der heutigen Welt zusammenpassten, ob man den Wert der persönlichen Begegnung mit Klimaschutz aufwiegen könne, ob es denn nicht längst andere Wege geben müsste. Zum Beispiel den einer Autorin, die sich kurz vor Antritt ihrer Lesereise durch Europa weigert, ein Flugzeug zu besteigen und dennoch alle Termine wahrnimmt, auf Leinwand eben. In der Vorbereitung auf meinen Kommentar lese ich, worüber Eva Rossmann vor zwei Wochen geschrieben hat, nämlich unter anderem über die eigentümlich anmutenden sardischen Steintürme, auf denen ein Feuer entzündet wurde, um vor kriegerischen Eindringlingen zu warnen. Die stille Post funktionierte, rasch wusste jedermann Bescheid.
In positiver Entsprechung fühlte ich mich auf der Hotelterrasse in Gavoi ganz ähnlich, ein Glied in einer unsichtbaren Kette, die auf völlig unscheinbare Weise, so ganz nebenher, zwei Orte, zwei Festivals miteinander verbindet, Menschen zueinander in Beziehung setzt.
„Liebe Frau Rossmann, wir haben soeben Frau Schutti getroffen, die in Innsbruck lebt, und uns dabei an Ihren Besuch bei uns in Telfs erinnert. Daher erlauben wir uns, Ihnen mittels dieser E-Mail unsere besten Grüße zu senden.“So hätte man das auch machen können. Aber irgendwie, ich weiß nicht, wäre es nicht dasselbe … Carolina Schutti