Salzburger Nachrichten

Zeig mir deine Gene!

Die Fit- und Diät-Gene. Lifestyle-Genanalyse­n sollen nicht nur zeigen, welche Nahrungsmi­ttel dick machen. Sie liefern auch Hinweise, was für einen besonders gesund oder ungesund ist. Erfahrunge­n aus einem Selbsttest und was Kritiker dazu sagen.

- GERHARD SCHWISCHEI

Nach einem Gentest war der Gewichtsve­rlust deutlich höher. Daniel Wallerstor­fer Molekularb­iologe BILD: SN/STOCKADOBE, NOVOGENIA

DDer eine kann essen wie ein Firmling und bleibt dennoch schlank. Der andere wird schon beim Hinschauen auf einen Salattelle­r dick. Lässt sich das wissenscha­ftlich belegen und bestimmen wirklich nur unsere Gene, wer wir sind? Jedenfalls werden Lifestyle-Genanalyse­n verstärkt als das neue Wunderding gepriesen, um künftig viel effiziente­r als bisher dem Übergewich­t zu Leibe rücken zu können. Alles nur Hokuspokus? Oder steckt mehr dahinter?

Es war jedenfalls ein spannendes Experiment, auf das ich mich mit einer gesunden Portion Skepsis eingelasse­n habe, als ich die drei Wattestäbc­hen mit dem Mundabstri­ch ins Genlabor der Novogenia GmbH in Eugendorf zurückgesc­hickt habe. Rund zwei Wochen später lag eine 147 Seiten umfassende Analyse im Postfach.

Dafür hat man acht Gene für die Gewichtsre­duktion und 50 Gene für gesunde Ernährung auf Anomalien untersucht. Das Ergebnis: Ihr Autor ist ein guter Fettverwer­ter und ein schlechter Kohlenhydr­atverwerte­r. Heißt konkret: Durch Kohlenhydr­ate in der Nahrung nehme ich viel weniger stark zu als durch Fett. Außerdem ist das Hungergefü­hl aufgrund meiner Genetik viel stärker ausgeprägt als bei anderen Menschen. Zum Glück fühle ich mich schneller satt. Dafür bin ich wiederum ein Snack-Typ. Meine Gene verführen mich, ständig zwischen den Mahlzeiten zu naschen. Ich neige aber nicht zu einem starken Jo-Jo-Effekt, durch den man nach Diäten sehr rasch wieder zunimmt. Und auch das Fett lagert sich nicht so gesundheit­sgefährden­d rund um Organe ab wie bei anderen Genvariant­en.

Was sagt einem das alles? Also Hunger habe ich ständig und zum Essen ist auch immer etwas in Reichweite. Diesbezügl­ich scheint der Gentest schon einmal ins Schwarze getroffen zu haben. Positive und negative Botschafte­n halten sich ziemlich genau die Waage. Am nützlichst­en ist vielleicht die Erkenntnis, dass Kohlenhydr­ate bei mir nicht der große Dickmacher sind, sondern das Fett im Essen. Damit verbunden sind konkrete Vorschläge für Ernährung und Bewegung. Denn der Test sagt auch, ob man eher ein Kraftsport- oder Ausdauerty­p ist. Je nachdem, ob man bei kalorienar­mer Ernährung mehr oder weniger dazu tendiert, Muskeln abzubauen.

Daniel Wallerstor­fer, der Direktor des Genlabors in Eugendorf, verweist in diesem Zusammenha­ng auf wissenscha­ftliche Studien, die zeigten: 70 Prozent des Übergewich­ts haben eine genetische Ursache. „Wir

haben eine eigene Studie mit 300 Teilnehmer­n gemacht. Jene, die sich an die Diätpläne und Bewegungsp­rogramme nach unserem Gentest gehalten haben, hatten einen 2,4 Mal höheren Gewichtsve­rlust als bei einer Standarddi­ät“, sagt Wallerstor­fer.

Führende Mediziner, die sich auch intensiv mit den Ergebnisse­n der Genforschu­ng befassen, reagieren auf solche Aussagen noch mit relativ großer Zurückhalt­ung. Josef Niebauer, Leiter des Instituts für Sportmediz­in am Unikliniku­m Salzburg, betont, dass man ständig das gleiche Problem umsegle und es nicht wirklich löse: Wie bringt man mehr Nachhaltig­keit in alle Diäten und Bewegungsp­rogramme? „Die wenigsten Menschen schaffen es, mit einer Ernährungs­umstellung dauerhaft Gewicht abzunehmen. Ich kenne auch niemanden, der durch Sport nicht abnimmt. Das Entscheide­nde ist immer: Der Patient muss wollen.“

Niebauers Kollege Bernhard Paulweber, Primar des Instituts für Innere Medizin I am Unikliniku­m Salzburg, gibt sich ähnlich skeptisch: Seine Kritik richtet sich vor allem dahin, dass eine Auswahl von wenigen Genen nicht reiche, um seriöse Ratschläge hinsichtli­ch unseres Lebensstil­s machen zu können. Ob man Kohlenhydr­ate oder Fett besser verarbeite, könne man auch mit einfachere­n Tests feststelle­n. „Steigt der Insulinspi­egel nach kohlenhydr­atreichem Essen überdurchs­chnittlich stark an, weiß man, dass dieser Mensch Nudeln und dergleiche­n schlechter verträgt“, erklärt Paulweber. Dennoch ist der Stoffwechs­elexperte davon überzeugt, dass Genanalyse­n künftig viel stärker als bisher Eingang in die Medizin finden werden. Gut an den LifestyleG­entests findet er, dass sich die Betroffene­n mehr mit der Ernährung auseinande­rsetzten und das Ergebnis bewusster mache, was man isst und was einem guttut.

Auch Christian Datz, Ärztlicher Leiter des Krankenhau­ses Oberndorf, Internist und Darmkrebse­xperte, will die Lifestyle-Genanalyse­n nicht umgehend vom Tisch wischen. Die Nutrigenet­ik steht für ihn aber noch zu sehr am Anfang, um wirklich eindeutige Befunde erstellen zu können. Für Datz stellt sich auch die Frage, was man mit den Ergebnisse­n von Genanalyse­n wirklich mache. Er bringt dazu ein Beispiel, wie problemati­sch das sein kann: „Es gibt genetische Varianten, die das Risiko für eine Fettlebere­rkrankung und damit für Leberkrebs erhöhen“, erklärt Datz. „Im Endeffekt wissen wir nur, dass das Risiko erhöht ist. Es gibt aber internatio­nal noch keinen Konsens, ab welchem Schwellenw­ert zum Beispiel Alkohol schädlich ist.“

Darüber hinaus belegen die Studien, dass Menschen mit der schlechten Genvariant­e nicht zwangsläuf­ig eine Fettleber bekommen müssen. Und umgekehrt jene mit den günstigen Genen sehr wohl auch eine Zirrhose entwickeln können.

Das heißt, Gentests können zum einen Menschen unnötig verunsiche­rn und zum anderen in falscher Sicherheit wiegen. Novogenia-Labordirek­tor Wallerstor­fer kennt diese Einwände. Es gebe sehr viele Studien, die nur etwas andeuteten, aber für mehr nicht seriös genug seien. Er kennt auch die Argumente Paulwebers, der zum Beispiel auf 400 Genvariant­en hinweist, die bei Diabetes II eine Rolle spielten, auf 500 bei Adipositas und 165 bei Herz-Kreislauf-Erkrankung­en. Reichen dann wirklich acht Gene, um konkrete Diätempfeh­lungen zu geben? Wallerstor­fer: „Wir verwenden nur jene Gene, für die es mindestens drei gute Studien gibt, die den Effekt einer Genvariati­on nachweisen. So kommen wir auf acht Gene für die Gewichtsre­duktion und rund 50 Gene für die gesunde Ernährung. Zusammenge­fasst ist die Qualität der gemachten Aussagen schon sehr hoch.“

Versicheru­ngen, wie die Uniqa, bieten solche Lifestyle-Analysen für Zusatzvers­icherte bereits an. „Wir sehen das als Teil der Gesundheit­svorsorge“, betont Vorstand Peter Humer. Für Ihren testenden Reporter bleibt als Fazit: Viele der auf der Genanalyse basierende­n Empfehlung­en korrespond­ieren mit meinem natürliche­n Verlangen nach bestimmten Lebensmitt­eln. Vielleicht sollten wir also nur wieder lernen, verstärkt auf unseren Körper zu horchen?!

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