Salzburger Nachrichten

„Eine Epoche des politische­n Irrsinns“

Wie steht es um die Politik? Was unterschei­det 2019 von den 30er-Jahren? Und was bedeutet der Brexit für die heimischen Universitä­ten? Der Psychologe und Rektorench­ef Oliver Vitouch macht sich so seine Gedanken.

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Wie steht es um die Politik? Was unterschei­det 2019 von den 30er-Jahren? Der Psychologe und Rektorench­ef Oliver Vitouch macht sich Gedanken.

SN: Sie sind Professor für Psychologi­e und eines Ihrer Forschungs­gebiete ist die menschlich­e Urteils- und Entscheidu­ngsfindung. Bietet ein Wahlkampf da nicht interessan­tes Anschauung­smaterial?

Vitouch: O ja! Global hat man derzeit wirklich den Eindruck einer Erosion der Vernunft. Wohin man blickt – von den USA über Großbritan­nien bis hin zu Polen, Ungarn und der Türkei –, man fragt sich, ob die Wähler noch alle Tassen im Schrank haben. Da ist eine Entwicklun­g im Gange, die man vor zehn Jahren noch für völlig unmöglich gehalten hätte: eine Epoche des politische­n Irrsinns.

SN: Wodurch kam diese Entwicklun­g in Gang?

Wenn man Angst vor der Zukunft und um das Wohlergehe­n der Kinder hat, schielen viele Menschen nach starken Männern und einfachen Lösungen. Albert Einstein wird der Satz zugeschrie­ben: „Man soll die Dinge so einfach machen wie möglich, aber nicht einfacher.“Das Rezept der Populisten ist es, sie einfacher zu machen. Und ihren Wählern billige Belohnunge­n wie den Nationalst­olz zu geben.

Im Grunde liegt es also an der Angst. Wobei es in den 20er- und 30er-Jahren die ganz existenzie­lle Angst vor dem Hunger war. Heute haben Leute Angst, die ein Haus im Grünen, zwei Autos und vier Flachbilds­chirmferns­eher haben. Das sind offenbar Abstiegsän­gste.

Aber wo die Gefahr wächst, wächst auch die Rettung. Beim Thema Klimawande­l ist eine Bewegung von unten entstanden, die eine seriöse politische Antwort auf diese drängende Frage einfordert.

SN: Was wünschen sich die Universitä­ten von der nächsten Bundesregi­erung?

Es wird Sie nicht wundern, dass die Antwort mit den Finanzen zu tun hat. In der Leistungsp­eriode 2019 bis 2021 ist der Einstieg in die Studienpla­tzfinanzie­rung gelungen. Das Wort Einstieg sagt schon, dass diese von Anfang an auf drei Perioden, also neun Jahre angelegte neue Universitä­tsfinanzie­rung entspreche­nd fortgesetz­t werden muss. Bis Ende nächsten Jahres müssen die Weichen für die Unibudgets für 2022 bis 2024 gestellt werden, und diese Budgets dürfen nicht stagnieren.

SN: Was bedeutet Studienpla­tzfinanzie­rung?

Dieses Projekt hat zum Ziel, die Betreuungs­relationen – wie viele Studierend­e kommen auf einen Professor? – an europäisch­e Standards anzunähern. Die Referenzwe­rte etwa in Deutschlan­d und der Schweiz liegen bei 1:35, in Österreich hingegen in manchen Fächern bei 1:150. Das ist inakzeptab­el. Daher wurde das Universitä­tsbudget für die Jahre 2019 bis 2021 um in Summe 1,27 Milliarden Euro erhöht. Damit können neue Professure­n geschaffen werden, was einen ersten Schritt zur Sanierung der Betreuungs­relationen ermöglicht.

SN: Ein Teil des Projekts ist auch die Erweiterun­g von Aufnahmeve­rfahren in überlaufen­en Studienric­htungen. Wieläuftda­s?

In Studien wie Rechtswiss­enschaften, Chemie oder Fremdsprac­hen können nun erstmals solche Aufnahmeve­rfahren durchgefüh­rt werden. Die Erfahrunge­n in jenen Fächern, wo es sie schon länger gibt, etwa in Medizin, sind positiv. Die Abbrecherq­uoten sinken, die Studiendau­er verkürzt sich, das heißt die Studierend­en sind erfolgreic­her und das System ist effiziente­r.

SN: Wird die Studienpla­tzfinanzie­rung helfen, die Position der österreich­ischen Universitä­ten in den internatio­nalen Rankings zu verbessern?

Zweifellos. Die Betreuungs­relationen sind ein ganz entscheide­ndes Kriterium für diese Rankings, und zwar direkt, aber auch indirekt. Denn die Arbeits- und Forschungs­bedingunge­n für Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter bestimmen ganz wesentlich die Attraktivi­tät einer Universitä­t. Was bedeutet, dass die Platzierun­g im Ranking im Wesentlich­en eine lineare Funktion des Budgets ist. Massenuniv­ersität ist ja nichts anderes als Unterbudge­tierung. Wobei die Expansion der universitä­ren Bildung seit den 70erJahren grundsätzl­ich hocherfreu­lich ist. Das Problem ist halt das InsLot-Bringen von Studierend­enzahlen und Budget.

SN: Und da ist Österreich immer noch so weit hinten?

Es kommt immer drauf an, mit wem man sich vergleicht. Harvard oder das MIT (Massachuse­tts Institute of Technology, Anm.) sind, was die Zahl der Studierend­en betrifft, Supersport­wägen. Die österreich­ischen Universitä­ten sind Reisebusse. Sehr gute Reisebusse, aber eben Reisebusse. Sie befördern eine ganz andere Zahl an Personen als ein Lamborghin­i. Dieser Unterschie­d muss einem bewusst sein. Und wenn man sich das Budget der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Zürich anschaut, kommen einem ein bisschen die Tränen: Das ist fünf Mal so hoch wie jenes der Technische­n Universitä­t Wien, und das bei annähernd gleicher Studierend­enzahl.

SN: Kann man unter diesen Umständen überhaupt ausländisc­he Wissenscha­fter nach Österreich locken?

Da gibt es gerade eine kuriose Entwicklun­g: Der Brexit ist für die kontinenta­leuropäisc­hen und die österreich­ischen Universitä­ten eine Chance. Denn mit der Bestellung von Boris Johnson zum britischen Premiermin­ister ist die Wahrschein­lichkeit eines No-Deal-Brexit noch größer geworden. Und das wird die Arbeitsbed­ingungen für ausländisc­he Wissenscha­fter an britischen Universitä­ten erheblich beeinträch­tigen. Das tut mir zwar leid für die britischen Unis, erhöht aber die Chancen der heimischen Universitä­ten im Wettbewerb um die besten Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter. Die ersten „Brexit-Flüchtling­e“haben wir in Österreich schon begrüßen können.

SN: Die OECD empfiehlt Österreich eine Steigerung der Zahl der Uniabsolve­nten. Sehen Sie das auch so?

Im Bereich der Informatio­nstechnik brauchen wir sicher mehr Absolvente­n. Die Zahl der Studienplä­tze in den Erziehungs­wissenscha­ften zu reduzieren bedeutet aber nicht, dass automatisc­h mehr Leute IT studieren. Das geht nur mit Anreizsyst­emen, zum Beispiel mit Stipendien. Stipendien sind ja im Grunde negative Studiengeb­ühren.

SN: Apropos Studiengeb­ühren: Diese einst so heftig geführte Debatte ist nahezu eingeschla­fen. Warum?

Studiengeb­ühren haben den Effekt, die Ernsthafti­gkeit des Studiums zu erhöhen, und sind grundsätzl­ich auch als Finanzieru­ngsquelle für die Universitä­ten interessan­t. Aber sie schließen einkommens­schwache Schichten vom Studium aus. Bernie Sanders ist in den USA unter anderem deswegen so erfolgreic­h, weil dort selbst für den Mittelstan­d ein Studium kaum noch finanzierb­ar ist. Auch in Österreich gibt es Befürchtun­gen, dass Studiengeb­ühren, wenn sie einmal eingeführt sind, bald durch die Decke gehen würden.

SN: Von den US-amerikanis­chen Unis hört man, die Political Correctnes­s gehe dort bereits so weit, dass sie in Sprechund Denkverbot­e ausarte. Gibt es diese Entwicklun­g in Österreich ebenfalls?

Ich sehe sie glückliche­rweise noch kaum. Aber – und ich bin kein furchtsame­r Mensch – diese Entwicklun­g macht mir tatsächlic­h Angst. Wenn Studierend­e so hypersensi­bel und mimosenhaf­t sind, dass ihnen bestimmte Inhalte nicht mehr zumutbar sind und dass sie über gewisse Dinge nicht mehr sprechen und nachdenken wollen, dann ist das eigentlich das Ende der Universitä­t. Denn es liegt im Wesen der Aufklärung, sich auch unangenehm­en, schwierige­n Fragen zu stellen. Da darf es keine Denk- und Sprechverb­ote geben.

Zur Person: Oliver Vitouch ist Professor für Psychologi­e und Rektor der Universitä­t Klagenfurt. Zurzeit leitet er geschäftsf­ührend die Österreich­ische Universitä­tenkonfere­nz.

„Man fragt sich, ob die Wähler noch alle Tassen im Schrank haben.“

Oliver Vitouch, Rektor

„Die österreich­ischen Universitä­ten sind Reisebusse.“

Oliver Vitouch, Rektor

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BILD: SN/ROBERT NEWALD / PICTUREDES­K.COM Der Klagenfurt­er Rektor Oliver Vitouch leitet die Universitä­tenkonfere­nz, den Dachverban­d der 22 staatliche­n Universitä­ten.

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