Der Verkehr nimmt zu viel Raum
Wie geht die Wirtschaft mit dem Klimawandel um, welche Chancen und Herausforderungen bedeutet er für Unternehmen? Im Interview zum Auftakt einer losen Serie nennt der Umweltökonom Karl Steininger die wichtigsten Problemfelder.
Wie geht die Wirtschaft mit dem Klimawandel um, welche Chancen bringt er für Unternehmen? Umweltökonom Karl Steininger gibt Antworten.
Umweltökonom Karl Steininger spricht sich für eine CO2-Steuer aus und erklärt, warum man in Österreich die Raumordnung überdenken muss, um das Verkehrsproblem in den Griff zu bekommen.
SN: Die Politik hat den Klimaschutz als Thema entdeckt. Die Bevölkerung, vor allem Junge, macht Druck. Macht Sie das zuversichtlich, dass sich tatsächlich etwas bewegt? Karl Steininger: In der Bevölkerung ist die Bereitschaft da, das Thema grundsätzlich zu diskutieren. Jetzt liegt es an der Politik, ob das stattfindet oder ob man die Debatte auf Scheinlösungen ablenkt.
SN: Was wären aus Ihrer Sicht Scheinlösungen? Wenn man etwa sagt, wir müssen nur die Technologie ändern, also auf die Elektromobilität umstellen, dann ist alles gelöst. In Wahrheit muss man das gesamte System sehen und überlegen, welche Funktionen es erfüllen soll, welche Dienstleistungen man haben will und wie man dafür Energie einsetzt.
SN: Reicht das 1,5-Grad-Ziel (für die Erderwärmung), um den Klimawandel aufzuhalten? Wir wissen aus den Naturwissenschaften, je mehr Erwärmung wir zulassen, desto eher treten Kippeffekte ein. 1,5 Grad sind ein Ziel, bei dem deutlich weniger Menschen von absoluter Armut betroffen sind als bei zwei Grad, da sind es noch einmal 500 Millionen mehr.
SN: Mit welchen Maßnahmen erreichen wir das Ziel? Im Verkehr haben wir in Österreich und in anderen Ländern weiter einen falschen Trend, da stimmt nicht einmal die Richtung, geschweige denn die Stärke. Insofern besteht dort dringender Handlungsbedarf. Zudem sind die Emissionen, die wir 2050 im Verkehr haben werden, stark von der Raumnutzung abhängig. Wenn wir 2050 klimaverträglich wohnen wollen, müssen wir mit der Zersiedelung aufhören und Räume neu denken.
SN: In die Elektromobilität wird viel Hoffnung gesetzt. Gleichzeitig hört man, sie sei eine Übergangstechnologie, bis das Wasserstoffauto komme. Verunsichert man damit nicht die Menschen? Für Verbraucher ist das nicht das große Problem, weil die Lebensdauer von Autos ohnehin nur sieben bis zehn Jahre beträgt. Entscheidend ist die Frage, wofür wir die Infrastruktur bauen, für E-Tankstellen oder Wasserstoff. Ich will aber noch einen anderen Punkt ansprechen. Es geht im Verkehr um den Zugang zu Personen, Gütern und Dienstleistungen. Darum ist die Raumordnung so wichtig, um aktive Mobilität wie das Zufußgehen und das Radfahren zu fördern. Und dass der überregionale Verkehr möglichst mit elektrisch angetriebenen öffentlichen Verkehrsmitteln abgewickelt wird. Und das – vorerst sicher elektrisch angetriebene – Auto nur für die letzte Meile genutzt wird.
SN: Wer sich jetzt ein E-Auto kauft, macht also nichts falsch? Es hängt davon ab, mit welchem Strommix es angetrieben wird. Der ist in Österreich mit dem hohen Anteil erneuerbarer Energie gut. Man muss auch bei der Herstellung der Batterien und deren Nachnutzung genau hinschauen. Tendenziell ist die Bilanz des E-Autos sicher besser.
SN: Wie gut sind Europas Autohersteller auf diese Mobilitätswende eingestellt? Sie sind spät eingestiegen, letztlich erst mit dem Dieselskandal. Es gibt noch immer wenige Modelle und Nachholbedarf bei der Herstellung von Batterien. Es geht aber in allen Bereichen, auch im Verkehr, nicht darum, etwas vorzugeben, sondern darum, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir auch leben könnten. Etwa, indem wir Lebensraum von der mit Autos verparkten Straße zurückgewinnen. Fußgängerzonen sind so entstanden, die waren ursprünglich ein Provisorium während Bauarbeiten. Treibhausgasemissionen sind Auslöser für solche Überlegungen.
SN: Wie erreicht man diese Verhaltensänderung, auch in der verfügbaren Zeit? Man muss Lösungen anbieten, die echte Alternativen sind. Und Dinge ausprobieren. In Stockholm wurde die Citymaut für ein halbes Jahr eingeführt, dann hat eine Mehrheit dafür gestimmt, weil man auch dazugesagt hat, was mit den Einnahmen geschieht. Es gibt bei uns viele Regularien, die Hemmschwellen sind. Ein Beispiel ist das Nutzen von Strom auf benachbarten Grundstücken, für die Weiterleitung braucht man eine EVU-Lizenz (Energieversorgungsunternehmen). Drohszenarien sind sicher kontraproduktiv, da machen die Menschen nur zu.
SN: Braucht man auch Verbote? Vermutlich schon. Aber wir müssen gemeinsam entscheiden, bestimmte Dinge nicht mehr zu tun.
SN: Muss man das Fliegen besteuern? Treibhausgase werden derzeit insgesamt nicht bepreist. Bei anderen Verkehrsträgern gibt es zumindest öffentliche Abgaben. Das Fliegen ist extrem bevorzugt – Kerosin wird nicht besteuert, in vielen Ländern gibt es auch keine Umsatzsteuer. Österreich hatte eine Ticketabgabe, die wurde aber zuletzt halbiert. Fliegen ist privilegiert, da kann man schon fragen, warum das so ist. Als Ökonom sage ich, die Folgen unseres Handelns müssen sich in Produkten und Dienstleistungen widerspiegeln, und der Preis ist eine Möglichkeit. Es geht im Verkehr sicher nicht nur mit dem Preis, aber ohne ihn zu korrigieren, auch nicht.
SN: Wie macht man das? Braucht man dafür eine CO2-Steuer? Derzeit zahlt die Allgemeinheit die Folgen des Klimawandels und indirekt, etwa über den Katastrophenfonds. Besser ist ein System, in dem ich die Effekte im Preis des Produktes sehe. Man muss dabei die sozialen Auswirkungen beachten, da kann man über die Verwendung der Einnahmen korrigierend wirken.
SN: Es gibt Experten, die einen Ausbau des Zertifikatehandels einer CO2-Steuer vorziehen. Welche Präferenz haben Sie? Da ist erstens zu klären, ob das ein Land überhaupt kann. Denn der Emissionshandel ist ja genau definiert für welche Bereiche und die Menge der Zertifikate wird von der EU ausgegeben. Ist es sinnvoll? Wenn wir etwas dem Emissionshandel unterwerfen, haben wir eine Gesamtmenge von Emissionen, die nicht überschritten wird. Das ist sinnvoll, wenn ich sonst nicht viele andere Instrumente habe. Bei Strom haben wir gesehen, dass mit der Förderung erneuerbarer Energien der Bedarf nach Zertifikaten zurückging und der Preis sank. Die Förderung der Alternativen brachte also keine Emissionseinsparungen.
SN: Also Sie haben eher eine Präferenz für die CO2-Steuer? Gerade in Bereichen wie Wohnen und Verkehr würde ich sie vorziehen. Weil wir sie unabhängig und schnell einführen können und weil sie auch ein Preissignal ist, obwohl es andere Alternativen gibt. Wichtig dabei ist volle Transparenz über die Verwendung der Einnahmen. Die soziale Abfederung kann man über einen Klimabonus lösen, mit dem Einnahmen aus der CO2-Steuer rückvergütet werden. Die Schweiz macht das, dort erhält jeder Bürger 80 Franken zurück. Das hilft denen, die wenig verdienen, wer klimafreundlich lebt und weniger Güter konsumiert, die mit der CO2-Steuer belastet sind, profitiert umso mehr.
SN: Wie fällt Ihr Urteil über Österreichs Wirtschaft aus, was die CO2-Reduktion angeht? Wir sind beim Ausbau der erneuerbaren Energien gut unterwegs, aber bei der Energieeffizienz haben wir uns seit 1990 kaum verbessert.
SN: Warum ist das so? Das liegt sowohl an der Raumstruktur, bei uns ist die Zersiedelung besonders stark ausgeprägt, das erzeugt Verkehr. Und es sind die schon genannten Regeln, die es Unternehmen schwerer machen, ihre Produkte in Österreich zu verkaufen. Fronius (Hersteller von Batterieladegeräten und Photovoltaiklösungen in Oberösterreich, Anm.) würde in Österreich gern mehr Geschäft machen, aber die Rahmenbedingungen dämpfen die Nachfrage. Es gibt schon Nachholbedarf.
SN: Wenn Sie von Politikern eingeladen würden, einen Katalog der fünf wichtigsten Maßnahmen zu erstellen – welche wären das? Ich würde mir einen gemeinsamen und koordinierten Plan der Regierung wünschen, der fehlt in Österreich. Beim Verkehr ist die Raumordnung der stärkste Hebel für Lösungen. Auch beim Errichten von Gebäuden muss man umdenken. Derzeit sind Einkaufszentren verpflichtet, Parkplätze zu bauen, besser wäre, sie müssten ein Verkehrskonzept vorlegen. Bei Strom müsste man die Dezentralisierung erleichtern, über andere Tarife für den Abtausch hinter dem letzten Stromzähler. Bei Gebäuden könnte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen, mit ganzheitlichen Konzepten, bei denen Abwärme und Kälte genutzt wird. In der Industrie geht es um die Forschungsförderung und entsprechende Rahmenbedingungen. Ganz oben steht ein fairer Preis für CO2, der sozial abgefedert ist. Aber es hängt auch von unser aller Bereitschaft ab, Veränderungen zuzulassen, die vielleicht kurzfristig schmerzhaft, aber langfristig zu unserem Wohl sind.
Karl Steininger (* 1965) studierte Wirtschaftsinformatik und Volkswirtschaft in Wien und Berkeley (Kalifornien) und lehrt seit 1999 als Professor an der Universität Graz. Seit 2005 leitet Steininger dort das Wegener Center für Klima und Globalen Wandel.