Hängt es tiefer, das Damoklesschwert!
Der Tyrann von Syrakus hätte da eine bedenkenswerte Lehre für unsere Wahlkämpfer.
Warum uns die liebe EU ständig droht, weiß man nicht. Jedenfalls verschärfte sie dieser Tage ihre Drohung, eine bestimmte Regelung der österreichischen Familienbeihilfe zu Fall zu bringen, was Medien zu der Schlagzeile animierte: „Die EU hängt das Damoklesschwert in Sachen Familienbeihilfe tiefer.“
Ein tiefer gehängtes Schwert ist immer interessant, aber stimmt dieses Bild auch? Die Geschichte vom Damoklesschwert, wie sie Cicero überliefert hat, geht jedenfalls so: Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich in Syrakus der Schmeichler Damokles und pries den Reichtum, die Macht und die Glückseligkeit des Herrschers. Dieser lachte bitter.
„Willst du, Damokles, dieses Leben kosten?“, fragte er. Als jener bejahte, ließ der Herrscher ihm ein prächtiges Gastmahl vorsetzen, mit goldenem Geschirr, erlesenen Genüssen und (wie in der Überlieferung ausdrücklich erwähnt wird) schönen Knaben. Damokles war beglückt. Da ließ Dionysios von der Decke ein funkelndes Schwert herabsenken, aufgehängt an einem Haar und direkt über dem Scheitel des Damokles schwebend, der verständlicherweise entsetzt die Flucht ergriff.
Der Tyrann wollte damit zeigen, dass er namenlose Verbrechen hatte begehen müssen, um die Macht und die damit verbundenen Annehmlichkeiten zu erringen. Genießen konnte er sie nun aber nicht, da beständig die Gefahr von Racheakten über ihm schwebte und er um sein Leben fürchten musste.
So weit Ciceros Geschichte. Nach den Gesetzen der Schwerkraft würde ein Tieferhängen des Schwertes die Gefahr für den darunter befindlichen Kopf eigentlich verringern und nicht erhöhen. Doch das sollen sich EU und Medien untereinander ausmachen.
Was die Legende vom Damoklesschwert interessant macht, ist die Parallele zur aktuellen Wahlkampfführung. In diesem Kampf um die Macht werden zwar noch keine Verbrechen, wohl aber namenlose Widerwärtigkeiten begangen. Für einen Wahlsieg scheint jedes Mittel recht zu sein. Und dann?
Die Wahlkämpfer sollten an die Worte des Dionysios denken: Es gibt einen Tag danach. Und da wird die Rechnung präsentiert, zum Beispiel in der Form, dass keiner mit keinem koalieren will, weil vor der Wahl das Gesprächsklima zwischen allen Parteien vergiftet wurde. Das diesbezügliche Damoklesschwert hängt schon ziemlich hoch.
Was in diesem Wahlkampf fehlt, ist Gelassenheit und Selbstironie. Sie muss ja nicht gleich so weit gehen wie beim neuen britischen Premier Boris Johnson, der einstmals versprach: „Wenn Sie die Konservativen wählen, bekommt Ihre Frau größere Brüste und Sie haben bessere Chancen auf einen BMW M3.“ WWW.SN.AT/PURGERTORIUM