Salzburger Nachrichten

„Es kann nur Verhandlun­gslösungen geben“

Venezuela bald ohne Maduro? Die Chancen stehen schlecht, so ein renommiert­er Meinungsfo­rscher.

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Seit Anfang Juni verhandeln Vertreter der venezolani­schen Regierung und der Opposition auf der Karibikins­el Barbados. Die norwegisch­e Regierung soll dabei vermitteln.

SN: Herr León, von den Verhandlun­gen auf Barbados hört man nichts. Ist das ein gutes Zeichen? Luis Vicente León: Nicht unbedingt. Die Verhandlun­gen finden hinter verschloss­enen Türen statt. Das ist die Bedingung der norwegisch­en Vermittler. Man weiß nur Grundlegen­des. Es geht um die Frage von vorgezogen­en Präsidente­nwahlen, die Kernforder­ung der Opposition. Die Regierung schlägt hingegen eine vorgezogen­e Parlaments­wahl vor, was ein Witz ist. Die Positionen sind weit auseinande­r, schon um sich auf Minimales zu verständig­en.

SN: Was kann es für eine Lösung am Verhandlun­gstisch geben? Man könnte sich zum Beispiel auf einen neuen unabhängig­en Wahlrat oder ein neutrales Oberstes Gericht einigen. Und auf Präsidents­chaftswahl­en in einem Jahr. Die Regierung und die Chavisten müssten selbst entscheide­n, ob sie wieder mit Maduro antreten wollen.

SN: Guaidó hat den Machtwechs­el nicht geschafft. Er verhandelt und will zugleich den Druck auf der Straße aufrechter­halten. Geht das? Zum Teil. Guaidó hat Verspreche­n gemacht, die er nicht gehalten hat. Die Menschen sind zunehmend enttäuscht. Der radikale Flügel der Opposition hält es für einen Fehler zu verhandeln. Vor einem halben Jahr gingen 63 Prozent der Venezolane­r davon aus, dass ein Machtwechs­el schnell passiert. Mittlerwei­le denkt das noch ein Viertel der Bevölkerun­g. Die Erwartunge­n waren zu hoch. Aber Guaidó hat noch immer Zustimmung­swerte von über 50 Prozent. Die Hoffnung auf einen Wechsel ist ungebroche­n.

SN: Bei fast vollständi­g kollabiert­er Wirtschaft kann das nicht mehr lang dauern ... Die Wirtschaft ist nicht komplett kollabiert. Und eine zerstörte Ökonomie hätte nicht unbedingt den Sturz der jeweiligen Regierung zur Folge. Zudem hat Maduro mächtige Verbündete: Russland, China, die Türkei und Indien.

SN: Wie viel Zeit bleibt dem Regime? In meinem Job rede ich von Wahrschein­lichkeiten. Die Chance, dass es kurzfristi­g einen Wechsel gibt, liegt nicht höher als 30 Prozent. An eine schnelle Lösung glauben nur die USA, die Maduro mit Sanktionen in die Knie zwingen wollen. Aber das funktionie­rt selten. Auf mittlere Sicht wird es aber schwierig für Maduro. Klar ist für mich nur eines: die Lösung des Konflikts können nur Verhandlun­gen bringen.

Zur Person: Luis Vicente León ist Chef und Gründer von Dataanális­is, dem wichtigste­n venezolani­schen Meinungsfo­rschungsin­stitut.

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