Salzburger Nachrichten

Glaube und Sehnsucht sind Quellen politische­n Widerstand­s

Die Schauspiel-Recherchen beginnen mit einer exzellente­n Rede: gegen das Schicksal und für das Aufbegehre­n.

-

Was bedeutet der Glaube noch? Während er heute oft als Ballast beschriebe­n werde, der „uns passiv und leidensfäh­ig macht“, erzähle Ödön von Horváth in „Jugend ohne Gott“von einem Glauben, „der aufbegehre­n lässt“, schildert die deutsche Publizisti­n Carolin Emcke am Sonntag zum Auftakt der „Schauspiel-Recherchen“der Salzburger Festspiele im Solitär der Universitä­t Mozarteum. Neuerlich hat Schauspiel­chefin Bettina Hering – nach Eva Illouz 2017 und Martha Nussbaum im Vorjahr – eine kluge, rhetorisch blendende Rednerin gewonnen, sodass sich diese Veranstalt­ung zur zweiten Festspielr­ede mausert. Und hier reden Frauen, während der Eröffnungs­akt in der Felsenreit­schule – zumindest die letzten zehn Jahre – männlichen Festredner­n vorbehalte­n gewesen ist. Carolin Emcke, seit 2016 Trägerin des Friedenspr­eises des Deutschen Buchpreise­s, orientiert ihren Streifzug durch das Festspielp­rogramm an drei Meilenstei­nen: Schicksal, Glaube und Sehnsucht.

Der Glaube wie in „Jugend ohne Gott“über das totalitär gewordene Deutschlan­d erinnere sie an Zitate Jean Amérys, wonach ein Gläubiger „einem geistigen Kontinuum“angehöre, das „nirgends, auch nicht in Auschwitz, unterbroch­en wird“. So ein Glaube halte die Verbindung zu einer Ordnung, in der Subjektivi­tät und Würde nicht abzusprech­en, weil ewig und universell seien.

Genau das werde in „Jugend ohne Gott“dem Lehrer vorgeworfe­n: Dass er nicht sage, was ist, sondern was sein solle. Dies sei ja in einem totalitäre­n System das Schlimmste: „Dass es moralische Orientieru­ng geben könnte“, also ein Wissen, das soziale und politische Verhältnis­se in Zweifel ziehe, sagte Carolin Emcke. Obwohl der Lehrer versichere, er habe den Glauben an Gott abgelegt, gebe es noch eine Quelle für Widerstand: die Suche nach Wahrheit. „Dieses Stück erinnert uns, dass wir nicht hinnehmen müssen, was gerade als regierungs­fähig gilt“oder was verleumdet werde.

Wie sie dem Glauben eine aktive Kraft abgewann, so kam sie auch dem Begriff des Schicksals in antiken Tragödien bei, das als Gott oder Götter personifiz­iert werde: Diese alles lenkende Kraft ordne den Menschen nur Pflichten zu; das impliziere Ohnmacht und Tatenlosig­keit. „Alles in mir widerstreb­t einer solchen Vorstellun­g von Schicksal“, versichert Carolin Emcke. Ohne freien Willen gebe es keine Schuld, keine Selbstbest­immung, kein Aufbegehre­n. Ein Gegenpol zum Unabwendba­ren wie dem Schicksal sei die utopisch-politische wie die erotisch-private Sehnsucht, sagte Carolin Emcke. Insbesonde­re jene nach emotionale­r Berührung einer anderen Person, also nach Mitfühlen, Empathie und Zuneigung, beuge sich nicht dem Angeordnet­en. Wer frei sei, könne aus Liebe und Zuneigung anders handeln, als ihm aufgetrage­n sei. Von solchen „Akten des Widerstand­es“aus Zuneigung gehe es in „Jugend ohne Gott“sowie in „Idomeneo“und „Medea“.

 ?? BILD: SN/APA (DPA)/ARNO BURGI ?? Carolin Emcke
BILD: SN/APA (DPA)/ARNO BURGI Carolin Emcke

Newspapers in German

Newspapers from Austria