Anna Netrebko trifft auf eine tödliche Rivalin
„Adriana Lecouvreur“wird im Großen Festspielhaus zum Duell zweier großer Stimmen. Denn Anita Rachvelishvili singt auf Augenhöhe.
SALZBURG. Welch ein erster Auftritt! Sie betritt, vom Orchester auf Rosen gebettet, die Bühne – und beginnt zu rezitieren. Racines „Bajazet“, große französische Dichtung. Dann wechselt sie in die Gesangsstimme und zieht vom ersten Ton an das Publikum in den Bann. Sie spielt mit den Farben ihres Timbres, formt überwältigende Crescendi und Decrescendi, butterweiches Legato und lässt den letzten Spitzenton im Nichts verhauchen.
Anna Netrebko singt Adriana Lecouvreur bei den Salzburger Festspielen. Sie füllt das Große Festspielhaus drei Mal mit konzertanter Oper bis zum letzten Platz – und ebenso spielend, wie sie die Anforderungen an die Hauptpartie der gleichnamigen Oper von Francesco Cilea bewältigt. Der Komponist bezieht sich auf eine historische Figur aus dem 18. Jahrhundert: die Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, deren rätselhafter früher Tod die Mythenbildung anheizte. Anna Netrebko verleiht dieser tragischen Figur alle Facetten ihrer funkelnden Sopranstimme, die mit den Facetten Tausender Swarovski-Kristalle auf dem smaragdgrünen Kleid perfekt korrespondiert. Zum Sterben trägt sie später schlichteres Schwarz.
Nicht minder überwältigend ist Anita Rachvelishvilis erster Auftritt zu Beginn des zweiten Akts. Sie verkörpert die Fürstin Bouillon, die um ihren Geliebten Maurizio, Graf von Sachsen, kämpft. Selbst von ihrem Gatten mit einer Schauspielerin betrogen, klammert sie sich an ein Liebesglück, das ihr keineswegs zufliegt. Denn Maurizio hat sich bereits Adriana Lecouvreur zugewandt, der großen Tragödin. Mit außergewöhnlicher Durchschlagskraft in tieferer Lage und loderndem Feuer in der Höhe formt die georgische Mezzosopranistin in dunkelsten Farben das Psychogramm einer von Eifersucht zerfressenen Kämpferin, die keine Rivalin duldet.
Das Duell zwischen diesen beiden Figuren, die von Cilea deutlich unterscheidbare Lagen und Farben zugewiesen bekommen, treibt diesen Opernabend voran. Am Ende des zweiten Akts treffen Adriana und die Fürstin erstmals aufeinander, noch von Schleiern geschützt. Adriana soll auf Maurizios Bitte der Fürstin unerkannt zur Flucht verhelfen – schließlich befindet sich auch der Fürst noch in der Villa. „Ich rette Sie“, singt Lecouvreur. Und die Fürstin kontert: „Zu spät!“Denn sie hat die Nebenbuhlerin um Maurizios Gunst erkannt. Sie weiß noch nicht, wer es ist, aber sie schwöre, dass sie diese Frau vernichten werde, schleudert die Fürstin der Schauspielerin entgegen.
Diese Szene wird in ihrer Dramatik, in der leidenschaftlichen Konfrontation zweier starker Frauen, in der sich Netrebko und Rachvelishvili mittels schier unerschöpflicher Stimmreserven gegenseitig zu vokalen Gipfeln treiben, zu einem elektrisierenden Höhepunkt – befeuert noch vom entfesselt aufspielenden Mozarteumorchester unter der Leitung von Marco Armiliato.
Das Große Festspielhaus ist selbstverständlich die optimale Spielstätte für diese Entladungen von Klängen und Emotionen, wie sie Francesco Cileas 1902 uraufgeführte Oper bietet. Das Werk hat es in den vergangenen Jahren auf die Spielpläne der großen Opernhäuser dieser Welt geschafft. Die dramaturgischen Schwächen treten bei einer konzertanten Aufführung in den Hintergrund. Was zählt, ist die Qualität der Sänger. Dann kann diese schwelgerisch-romantische Musik, die stets auf das Kantable zielt, ihre Wirkung entfalten.
Die Salzburger Festspiele haben für die Feuertaufe eine großartige Sängerriege aufgeboten. Neben Netrebko und Rachvelishvili ist es vor allem Nicola Alaimo, der in der Rolle des unglücklich in Adriana Lecouvreur verliebten Spielleiters Michonnet enorme stimmliche Bandbreite an den Tag legt. Er besitzt einen grandios geschmeidigen Bariton, weiß aber auch die parodistisch eingefügten Höhen seiner Partie noch fein zu schattieren. Vor allem besitzt Alaimo das nötige Stimmformat, um Netrebko in den Duetten Paroli zu bieten.
Das gelingt Yusif Eyvazov in der Rolle des Liebhabers Maurizio nur bedingt. Lange Zeit wirkt seine Stimme – vor allem in den Ensembles – zu klein oder – solistisch – zu angestrengt, erst in der Sterbeszene im vierten Akt entfalten sich Farben und Schmelz seines Tenortimbres vollends. In diesem Finale ist Eyvazov adäquater Partner von Anna Netrebko, die den Tod des Giftopfers Adriana Lecouvreur – ein letzter hinterhältiger Coup der Fürstin – mit aller Kunst ihrer „mezza voce“gestaltet.
Hinreißend ist der in jeder Hinsicht virile Abbé von Andrea Giovannini, großartig der schlanke und doch stets präsente Bass von Mika Kares als Fürst Bouillon. Und auch die festivaleigenen „Young Singers“Valentina Pluzhnikova, Ricardo Bojórquez und Josh Lovell kommen als Teil der quirligen Schauspielerriege zu reichlich Bühnenpräsenz.
Das Ereignis des Abends, das zeigten auch die Reaktionen des Publikums am Sonntag, waren aber die beiden zentralen Gegenspielerinnen – zwei Stimmen, die man so schnell nicht vergisst. Oper: