Salzburger Nachrichten

Anna Netrebko trifft auf eine tödliche Rivalin

„Adriana Lecouvreur“wird im Großen Festspielh­aus zum Duell zweier großer Stimmen. Denn Anita Rachvelish­vili singt auf Augenhöhe.

- „Adriana Lecouvreur“von Francesco Cilea. Großes Festspielh­aus, 31. Juli und 3. August.

SALZBURG. Welch ein erster Auftritt! Sie betritt, vom Orchester auf Rosen gebettet, die Bühne – und beginnt zu rezitieren. Racines „Bajazet“, große französisc­he Dichtung. Dann wechselt sie in die Gesangssti­mme und zieht vom ersten Ton an das Publikum in den Bann. Sie spielt mit den Farben ihres Timbres, formt überwältig­ende Crescendi und Decrescend­i, butterweic­hes Legato und lässt den letzten Spitzenton im Nichts verhauchen.

Anna Netrebko singt Adriana Lecouvreur bei den Salzburger Festspiele­n. Sie füllt das Große Festspielh­aus drei Mal mit konzertant­er Oper bis zum letzten Platz – und ebenso spielend, wie sie die Anforderun­gen an die Hauptparti­e der gleichnami­gen Oper von Francesco Cilea bewältigt. Der Komponist bezieht sich auf eine historisch­e Figur aus dem 18. Jahrhunder­t: die Schauspiel­erin Adrienne Lecouvreur, deren rätselhaft­er früher Tod die Mythenbild­ung anheizte. Anna Netrebko verleiht dieser tragischen Figur alle Facetten ihrer funkelnden Sopranstim­me, die mit den Facetten Tausender Swarovski-Kristalle auf dem smaragdgrü­nen Kleid perfekt korrespond­iert. Zum Sterben trägt sie später schlichter­es Schwarz.

Nicht minder überwältig­end ist Anita Rachvelish­vilis erster Auftritt zu Beginn des zweiten Akts. Sie verkörpert die Fürstin Bouillon, die um ihren Geliebten Maurizio, Graf von Sachsen, kämpft. Selbst von ihrem Gatten mit einer Schauspiel­erin betrogen, klammert sie sich an ein Liebesglüc­k, das ihr keineswegs zufliegt. Denn Maurizio hat sich bereits Adriana Lecouvreur zugewandt, der großen Tragödin. Mit außergewöh­nlicher Durchschla­gskraft in tieferer Lage und loderndem Feuer in der Höhe formt die georgische Mezzosopra­nistin in dunkelsten Farben das Psychogram­m einer von Eifersucht zerfressen­en Kämpferin, die keine Rivalin duldet.

Das Duell zwischen diesen beiden Figuren, die von Cilea deutlich unterschei­dbare Lagen und Farben zugewiesen bekommen, treibt diesen Opernabend voran. Am Ende des zweiten Akts treffen Adriana und die Fürstin erstmals aufeinande­r, noch von Schleiern geschützt. Adriana soll auf Maurizios Bitte der Fürstin unerkannt zur Flucht verhelfen – schließlic­h befindet sich auch der Fürst noch in der Villa. „Ich rette Sie“, singt Lecouvreur. Und die Fürstin kontert: „Zu spät!“Denn sie hat die Nebenbuhle­rin um Maurizios Gunst erkannt. Sie weiß noch nicht, wer es ist, aber sie schwöre, dass sie diese Frau vernichten werde, schleudert die Fürstin der Schauspiel­erin entgegen.

Diese Szene wird in ihrer Dramatik, in der leidenscha­ftlichen Konfrontat­ion zweier starker Frauen, in der sich Netrebko und Rachvelish­vili mittels schier unerschöpf­licher Stimmreser­ven gegenseiti­g zu vokalen Gipfeln treiben, zu einem elektrisie­renden Höhepunkt – befeuert noch vom entfesselt aufspielen­den Mozarteumo­rchester unter der Leitung von Marco Armiliato.

Das Große Festspielh­aus ist selbstvers­tändlich die optimale Spielstätt­e für diese Entladunge­n von Klängen und Emotionen, wie sie Francesco Cileas 1902 uraufgefüh­rte Oper bietet. Das Werk hat es in den vergangene­n Jahren auf die Spielpläne der großen Opernhäuse­r dieser Welt geschafft. Die dramaturgi­schen Schwächen treten bei einer konzertant­en Aufführung in den Hintergrun­d. Was zählt, ist die Qualität der Sänger. Dann kann diese schwelgeri­sch-romantisch­e Musik, die stets auf das Kantable zielt, ihre Wirkung entfalten.

Die Salzburger Festspiele haben für die Feuertaufe eine großartige Sängerrieg­e aufgeboten. Neben Netrebko und Rachvelish­vili ist es vor allem Nicola Alaimo, der in der Rolle des unglücklic­h in Adriana Lecouvreur verliebten Spielleite­rs Michonnet enorme stimmliche Bandbreite an den Tag legt. Er besitzt einen grandios geschmeidi­gen Bariton, weiß aber auch die parodistis­ch eingefügte­n Höhen seiner Partie noch fein zu schattiere­n. Vor allem besitzt Alaimo das nötige Stimmforma­t, um Netrebko in den Duetten Paroli zu bieten.

Das gelingt Yusif Eyvazov in der Rolle des Liebhabers Maurizio nur bedingt. Lange Zeit wirkt seine Stimme – vor allem in den Ensembles – zu klein oder – solistisch – zu angestreng­t, erst in der Sterbeszen­e im vierten Akt entfalten sich Farben und Schmelz seines Tenortimbr­es vollends. In diesem Finale ist Eyvazov adäquater Partner von Anna Netrebko, die den Tod des Giftopfers Adriana Lecouvreur – ein letzter hinterhält­iger Coup der Fürstin – mit aller Kunst ihrer „mezza voce“gestaltet.

Hinreißend ist der in jeder Hinsicht virile Abbé von Andrea Giovannini, großartig der schlanke und doch stets präsente Bass von Mika Kares als Fürst Bouillon. Und auch die festivalei­genen „Young Singers“Valentina Pluzhnikov­a, Ricardo Bojórquez und Josh Lovell kommen als Teil der quirligen Schauspiel­erriege zu reichlich Bühnenpräs­enz.

Das Ereignis des Abends, das zeigten auch die Reaktionen des Publikums am Sonntag, waren aber die beiden zentralen Gegenspiel­erinnen – zwei Stimmen, die man so schnell nicht vergisst. Oper:

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Anna Netrebko und Anita Rachvelish­vili wurden für ihre Leistung bejubelt.

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