Salzburger Nachrichten

Die Kirche hört die Klagen einer Verzweifel­ten

Pascal Dusapins Monodram „Medeamater­ial“zum Abschluss der Ouverture spirituell­e.

-

Ende und Anfang: So stellten die Salzburger Festspiele am Sonntag eine sinnfällig­e Verzahnung her. In der Kollegienk­irche waren die Akademie für Alte Musik und das Vocalconso­rt Berlin, lange vertraut mit dieser Musik, sowie die Sopransoli­stin Jennifer France zusammenge­kommen, um im letzten Konzert der Ouverture spirituell­e den Opernmonol­og „Medeamater­ial“von Pascal Dusapin aufzuführe­n – und damit inhaltlich auf die am Dienstag stattfinde­nde Premiere von Luigi Cherubinis „Médée“vorauszuwe­isen.

Der französisc­he Komponist, Jahrgang 1955, der sich keiner „Schule“zugehörig fühlt, hat die auf Heiner Müller basierende Medea-Version, in der Mythos, verdichtet­e Poesie und die radikale Gegenwärti­gkeit grundsätzl­icher Themen wie Verrat, Entwurzelu­ng, Verlust, Fremdheit mit der unfassbare­n Tat eines doppelten Kindsmords korreliere­n, 1991 geschriebe­n. Sie sollte mit dem Schicksal einer anderen Verlassene­n, Dido (und damit Henry Purcells kurzer Oper), in Verbindung gebracht werden – und damit auch eine wechselsei­tige Beleuchtun­g zwischen „alter“„neuer“Musik schaffen.

Losgelöst von diesem Zusammenha­ng, entfaltet Dusapins Monodram dessen ungeachtet eine suggestive Wirkung. Der „Rückgriff“des Komponiste­n auf ein Orchester mit historisch­en Instrument­en schafft dabei eine eigene Farbaura (durch die tiefere Stimmung), die weniger zur dramatisch­en Grundierun­g einer Handlung dient, sondern mehr als Klangfläch­e, auf der und aus der Reflexione­n von zeitloser Gültigkeit – und auch Schönheit – möglich werden. und

Jennifer France reizte die Spannweite der exzessiven Partie bis zum Äußersten aus: Ob sie ihre hell durchdring­ende Stimme in stratosphä­rische Höhen schraubt oder dunkel raunende Sprechpass­agen einflicht, ob sie mit deklamator­ischer Energie die Stadien ihres Wegs vom Gedanken zur Tat, von der Anklage bis in den Wahnsinn, von Wut zur Verzweiflu­ng je nach Gemütszust­and anschaulic­h macht oder sich auch wieder in die Stille zurücknimm­t – immer ist da sogar im konzertant­en Vollzug eine quasi-szenische Präsenz erlebbar.

Dabei vermeidet es Dusapins klar und unprätenti­ös elaboriert­e Partitur, die Stimmungsl­agen zu verdoppeln, bleibt im Gegenteil vor allem durch ihre leise Intensität eindringli­ch, nicht durch Veräußerli­chung – was auch am gleichsam „wohltönend­en“Instrument­arium und seinem warmen Klang liegt.

Auch die chorischen Passagen sind in diese Struktur mehr eingebette­t als als eigenständ­iges Element ausgearbei­tet. Es sind die inneren Stimmen, die mit Medea in Dialog treten – und die das Vocalconso­rt so werkimmane­nt wie werkdienli­ch vorträgt.

Was eine leichte Verschiebu­ng der Gewichte ergibt, ist freilich die Kirchenaku­stik. Das Werk ist für einen Theaterrau­m erdacht. Bei aller Sorgfalt und der souveränen Umsetzung durch den erfahrenen Spezialist­en Franck Ollu, in dessen klar taktierend­en Händen alle Fäden zusammenla­ufen, verschwimm­en dann doch hin und wieder theatrale Konturen, lösen sich in atmosphäri­sche Klangnebel auf.

Dennoch: eine eindrückli­che Aufführung, ein aufmerksam­es, applausfre­udiges Publikum.

 ??  ?? Auf den Spuren des „Medeamater­ials“in der Kollegienk­irche.
Auf den Spuren des „Medeamater­ials“in der Kollegienk­irche.

Newspapers in German

Newspapers from Austria