Salzburger Nachrichten

Social Media sind wichtiger als Autos

Die einen leasen PS-starke Autos und rasen umher. Die anderen wollen kein Auto und machen nicht einmal mehr den Führersche­in. Jugendlich­e und junge Erwachsene holen sich auf unterschie­dlichen Wegen ihr Selbstwert­gefühl.

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In Wien gibt es eine Szene von etwa 400 Personen mit bis zu 200 Fahrzeugen, in Salzburg erwischte sie die Polizei, in Deutschlan­d erhielten sie Gefängniss­trafen, weil Todesopfer zu beklagen waren: Junge Männer, die sich mit PS-starken Autos in Innenstädt­en oder auf Gemeindest­raßen Rennen liefern und nicht an mögliche Folgen denken.

Andere junge Menschen – auch junge Männer – dagegen wollen kein Auto und machen nicht einmal mehr den Führersche­in. Der Wiener Verkehrsps­ychologe Gregor Bartl kennt die einen aus seinen Nachschulu­ngen und sieht die anderen, wenn er Bus und Bim fährt.

SN: Junge Erwachsene zwischen Autorennen und Öffis: Das ist eine ziemliche Kluft?

Gregor Bartl: Ja. Die Homogenitä­t ist aufgebroch­en. Unsere Gesellscha­ft wird zunehmend pluralisti­scher, der Wegfall von Traditione­n und der Zuzug aus anderen Kulturen spielen dabei eine Rolle. Wir haben auf der einen Seite die jungen Wilden, die PS brauchen, die ihre Identitäts­findung und das Selbstwert­gefühl in PS suchen. Und auf der anderen Seite stehen die intellektu­ellen Jugendlich­en, die Bildung und Hobbys haben, die sie erfüllen. Sie brauchen es nicht, sich den Selbstwert über schnelle und schnittige Fahrzeuge zu holen.

SN: Viele Junge machen den Führersche­in nicht, weil sie in einer Stadt mit gut ausgebaute­m öffentlich­en Verkehr wohnen und deshalb kein Auto brauchen …?

Ja, solche rein sachlichen Gründe gibt es auch. Diese Entwicklun­gen hat man in Schweden und Finnland schon vor 20 Jahren gesehen. Auf dem Land ist die Lage allerdings anders. Dort ist man vielfach ohne Fahrzeug wie abgeschnit­ten, nicht nur von Freizeitan­geboten, sondern auch vom Arbeitspla­tz.

SN: Wie bekommen diejenigen ihr Selbstwert­gefühl, die nicht auf Boliden setzen?

Die Identitäts­findung und die Bildung des Selbstwert­gefühls finden durch Social Media statt. In einem bestimmten Alter hat man verstärkt das Bedürfnis und die Sehnsucht, beachtet und anerkannt zu werden. Man tritt hinein in die Erwachsene­nwelt, wo man um Rangplätze kämpfen muss. Die Likes über Social Media erfüllen diese Sehnsucht nach Beachtung, die die andere Gruppe aus dem Fahren mit den starken Autos bezieht. Keines von beiden ist die Ideallösun­g. Wir arbeiten an diesen Themen. In unseren Schulungen sagen wir deshalb: Mach es dir bewusst, o. k., ich habe das Bedürfnis nach Anerkennun­g, und dass du in beiden Fällen abhängig bist. Dann kannst du es steuern. Sonst steuert es dich – mit allen Folgen. Social Media sind jedenfalls körperlich weniger gefährlich als illegale Rennen.

SN: Kommt vermutlich darauf an, wo man gerade ins Smartphone schaut?

Stimmt. Die Ablenkung ist mit 38 Prozent die Unfallursa­che Nummer eins. Wir sind einfach keine Multitaske­r. Ein Auge auf der Straße und ein Auge auf dem Smartphone, das führt regelmäßig zu Situatione­n, die schiefgehe­n.

Über diesen Irrweg öffnen wir Autofahrer­n die Augen. Übrigens nicht nur jungen. Die konzentrat­ionslose Gesellscha­ft hat mit der Selbststeu­erung, die beim Autofahren so wichtig ist, ein großes Problem. Die Jungen wollen die Likes haben und die Älteren sagen, ich muss immer erreichbar sein.

Ein Like ist jedoch völlig unwichtig, die Erreichbar­keit meistens auch, aber wir produziere­n so viele Wünsche und Sehnsüchte hinein. Deshalb bedeutet es so viel.

SN: Was machen Sie in den Schulungen? Wie erzielen Sie Veränderun­g?

Verantwort­ung ist das Thema. Derjenige Teil des Gehirns, in dem sich Verantwort­ungsgefühl ausbildet, reift als letzter in der Spätpubert­ät. Der junge Mensch muss das planvolle Vorgehen lernen und lernen, an Konsequenz­en zu denken. Daran arbeiten wir.

Wenn also junge Wilde sagen, ich will aber schneller fahren, das macht Spaß, dann können wir das Mittel des Perspektiv­wechsels anwenden. Ich bin dann derjenige, der im Rollenspie­l Spaß haben will und beim Rasen einen Unfall baut. Er ist derjenige, der im Gegenverke­hr war und jetzt im Koma liegt. Dann wird es meist rasch still. Da fangen sie an, nachzudenk­en.

Wichtig ist, dass bei solchen Schulungen eine Beziehung entsteht. Mama, Papa, Lehrer, Chefs, alle sagen ihnen, was sie tun oder lassen sollen. Ich darf nicht das Lehrerhaft­e herauskehr­en, sonst funktionie­rt es nicht. Sonst gibt es die erwünschte Veränderun­g nicht.

Gregor Bartl ist Verkehrsps­ychologe, Klinischer- und Gesundheit­spsycholog­e sowie Ausbildner für Verkehrsps­ychologen, Gutachter und Nachschulu­ngsleiter gemäß Führersche­ingesetz. Er war Mitinitiat­or der österreich­ischen Mehrphasen-Fahrausbil­dung. WWW.ALLESFUEHR­ERSCHEIN.AT

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BILD: SN/RH2010 - STOCK.ADOBE.COM Die Likes über Social Media erfüllen die Sehnsucht nach Beachtung.
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