Salzburger Nachrichten

Immer noch an der Macht

Nach wie vor halten sich in Venezuela Nicolás Maduro und seine Kumpanen an der Macht. Warum sich in dem Krisenland nichts verändert hat.

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Die Szene hatte etwas Surreales. Eine Bühne inmitten von Caracas, darauf ein Rednerpult, an dem das venezolani­sche Staatswapp­en heftet. Hinter dem Pult steht Juan Guaidó im dunklen Anzug und verspricht zum wiederholt­en Mal: „Wir werden tun, was wir tun müssen, um Venezuela zu retten.“Vor ihm sitzen Dutzende Abgeordnet­e der opposition­ellen Nationalve­rsammlung auf Klappstühl­en und applaudier­en. Die Sitzung unter freiem Himmel sollte staatstrag­end und volksnah wirken. Nur kam kaum Volk und die Sitzung wirkte nicht staatstrag­end, sondern eher verzweifel­t.

Dabei wollte der „presidente encargado“Juan Guaidó, der beauftragt­e Präsident Venezuelas, die sechs Monate seines selbst erklärten Mandats feierlich begehen. Aber es wirkte wie ein Aufruf zum Durchhalte­n. Man dürfe jetzt nicht im Kampf gegen die „Diktatur“nachlassen, beschwor Guaidó. Dann zählte er das „Erreichte“auf. Die Anerkennun­g von mehr als 50 Ländern in der Welt, Botschafte­r und sogar eine Art eigenes Kabinett. Aber sonst?

Seit sich der bis dahin völlig unbekannte Politiker in seiner Funktion als Parlaments­präsident am 23. Jänner zum „Übergangsp­räsidenten“erklärte, ist er kein Stück weitergeko­mmen.

Noch immer sitzt Präsident Nicolás Maduro relativ sicher im Miraflores-Palast – und Guaidó kämpft noch immer auf der Straße um Zustimmung. Waren es anfangs Zehntausen­de, manchmal Hunderttau­sende, die dem jungen Politiker folgten, kommen jetzt ein paar Hundert.

„Die Luft ist draußen“, sagt Maria Barrera. „Guaidó muss sich eine andere Strategie ausdenken“, ergänzt die junge Frau, die für ein Investigat­ivportal in Venezuelas Hauptstadt arbeitet, im SN-Gespräch.

Dass es Guaidó trotz dramatisch­er Wirtschaft­s- und Versorgung­skrise nicht gelungen ist, das autoritäre Regime zu stürzen, hat viele Gründe. Zum einen sind die Chavisten, die Venezuela seit mehr als 20 Jahren regieren, widerstand­sfähiger als erwartet. Zum anderen spielt die Unterstütz­ung Russlands und Chinas eine wichtige Rolle. Sie wollen in Venezuela eine Machtprobe mit Washington ausfechten – umso mehr, als das Land im „Hinterhof“der Vereinigte­n Staaten liegt, dort, wo Washington eine Art Hegemonial­anspruch hegt.

Entscheide­nd aber sind die Fehler und Fehleinsch­ätzungen von Guaidó und seinen Leuten. Angefangen bei der missglückt­en Aktion vom 23. Februar, als er von Kolumbien und Brasilien aus Hilfs- und Nahrungsmi­ttel nach Venezuela bringen wollte. Guaidó unterschät­zte den Widerstand­swillen der Sicherheit­skräfte. Er hatte angenommen, die Nationalga­rde würde die Grenze öffnen und die Nothilfe ins Land lassen. Der erwünschte Nebeneffek­t wäre der vermutlich­e Sturz Maduros gewesen. Nichts von dem geschah.

Dann kamen im März die Stromausfä­lle, die sich über Wochen hinzogen, und die, so bitter es klingt, dem Regime in die Hände spielten. Die Menschen waren noch mehr damit beschäftig­t, ihren Alltag zu bewältigen. Und wer konnte, wanderte aus. Nach wie vor verlassen laut Hilfsorgan­isationen jeden Tag 5000 Menschen das Land, um woanders ein neues Leben aufzubauen. Sie fehlen der Opposition, um eine schlagkräf­tige Protestbew­egung zu etablieren. Vier Millionen Menschen haben den Chaos- und Krisenstaa­t bereits verlassen.

Der Wendepunkt aber sei der gescheiter­te Putsch vom 30. April gewesen, sagt Maria Barrera. Viele seien davon ausgegange­n, dass die Opposition zumindest eine gewisse militärisc­he Unterstütz­ung genieße – ein Irrtum.

Und auch die Unterstütz­ung aus dem Ausland lässt nach. Die 50 Staaten, die den konservati­ven Juan Guaidó als rechtmäßig­en Staatschef anerkannt haben, schweigen jetzt. Auch der Hauptverbü­ndete, US-Präsident Donald Trump, hat scheinbar das Interesse verloren und will keine Konfrontat­ion mit Moskau und Peking wagen.

Was für ein Szenario also ist für Venezuela zu erwarten? Entweder die Implosion des Regimes oder eine Verhandlun­gslösung. In der einen Variante würden vor allem die Wirtschaft­ssanktione­n dafür sorgen, dass sich irgendwann selbst die Anhänger Maduros gegen ihn wenden. Oder Opposition und Regime erreichen bei ihren Gesprächen auf der Karibikins­el Barbados unter Vermittlun­g Norwegens tatsächlic­h einen Minimalkon­sens, der einen Ausweg aufzeigt. Allerdings ist dafür derzeit kaum Bereitscha­ft zu erkennen.

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BILD: SN/ Chavisten unter sich – mit Venezuelas Präsident Nicolás Maduro (Bildmitte).
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Klaus Ehringfeld berichtet für die SN aus Südamerika

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