Radioaktive Stoffe sind an Teilchen in der Luft gebunden
Jenes Ruthenium-106, das beim jüngsten Atomunfall im Südural freigesetzt und in Österreich gemessen wurde, fängt man mit Filtern auf. Salzburger Spezialisten sind Radionukliden auf der Spur.
SALZBURG. In der atomaren Wiederaufbereitungsanlage Majak im Südural passierte im Herbst 2017 vermutlich ein Unfall, den Russland bis jetzt abstreitet. Ende September schlugen die europäischen Messstationen wegen einer radioaktiven Wolke Alarm. Hohe Werte von Ruthenium-106 waren gemessen worden. Eine Gefahr für die Gesundheit habe dennoch nicht bestanden, sagen Wissenschafter. Die SN berichteten vergangenen Montag.
Anders als der radioaktive Stoff Cäsium-137, der seit der Katastrophe von Tschernobyl auch der Öffentlichkeit ein Begriff ist, ist Ruthenium-106 weitgehend unbekannt.
Herbert Lettner, Leiter des Radiologischen Messlabors, das von Universität Salzburg und Land Salzburg betrieben wird, erklärt, wie das chemische Element einzuschätzen ist: „Ruthenium ist ein in der Natur selten vorkommendes Spurenelement, das zur Eisengruppe gehört, und als Metall ungiftig ist. Ruthenium-106 entsteht bei der Kernspaltung aus Uran-235 oder Plutonium. Es hat eine Halbwertszeit von 373 Tagen. Im Vergleich dazu: Cäsium-137 hatte eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Das Gefährliche an Ruthenium-106 ist seine Radioaktivität. Es ist ein Betastrahler, als solcher ionisierend und abhängig von der Dosis mehr oder weniger krebserregend. “
Zur Erklärung: Die Halbwertszeit bei radioaktiven Stoffen ist jene Zeitspanne, innerhalb derer die Hälfte der Atome zerfällt. Cäsium137 ist heute noch, 33 Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, in Salzburg in vergleichsweise hohen Konzentrationen im Boden nachweisbar.
Die Radionuklide Cäsium und Ruthenium sind beim Transport in der Luft an Aerosole gebunden, also an feinste Schwebeteilchen. „Bei geringen Konzentrationen, wie das 2017 bei Ruthenium der Fall war, können diese Radionuklide nur dann detektiert werden, wenn man große Luftvolumina gesammelt hat in einer Größenordnung von 1000 Kubikmetern. Ein High-VolumeSampler mit einem großen Luftdurchsatz, ein Messgerät zur Erfassung von Schwebstaub kann solche Stoffe erfassen. Die Luft geht durch einen Filter, an dem sich die Teilchen ablagern. Dann kann man sie messen“, sagt Herbert Lettner.
Laut Umweltbundesamt gibt es in Österreich zehn grenznahe Aerosol-Messstationen für das Monitoring der Luft. Dazu kommen 300 über das Bundesgebiet verteilte Sonden des Strahlenfrühwarnsystems, welche die Gammastrahlung überwachen. „Das ist sozusagen das Gesamtrauschen, die Summe der emittierten Gammastrahlung“, erklärt Herbert Lettner. Die Strahlenmessdaten stehen den jeweiligen Landeswarnzentralen über ein gesondertes Datennetz zur Verfügung. Herbert Lettner und sein mittlerweile nur noch kleines Team, das mit Diplomanden und Dissertanten sechs Köpfe zählt, gehören zu jenen Spezialisten, die im Dienst der Sicherheit der Bevölkerung forschen, egal, ob es um Reaktorunfälle oder kontaminierte Pilze geht.
Das Land Salzburg finanziert die dafür notwendigen Geräte. Die Universität Salzburg trägt die Personalkosten. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es sonst in Österreich nicht mehr, denn diese Art der Forschung ist dem Sparstift zum Opfer gefallen.
Dies könnte auch das Messlabor und die damit verbundene radioökologische Forschung und Lehre in Salzburg treffen. „Wir waren bis 2004 ein eigenständiges Institut für Physik und Biophysik mit etwa zwölf Leuten. Mit dem Strukturwandel an der Universität kam eine andere Ausrichtung und wir wurden in den Fachbereich für Chemie und Physik der Materialien eingegliedert. Die Materialforschung sollte verstärkt werden. Jetzt sind wir zu klein, um die wichtigsten wissenschaftlichen Themen gründlich anzugehen und international präsent zu sein“, erklärt Herbert Lettner.
Laut Umweltorganisation Global 2000 liegen 14 noch laufende Atomkraftwerke in direkter Nähe zu Österreich. Die Anlagen seien zum Großteil völlig veraltet, trotzdem wurden aufgrund riskanter politischer Entscheidungen ihre Betriebszeiten verlängert, betont Herbert Lettner: „Statistisch gesehen passiert alle 25 Jahre ein großer Reaktorunfall. Fukushima war 25 Jahre nach Tschernobyl. Nicht nur das sollte uns Sorgen machen, sondern auch die atomare Aufrüstung der Welt.“
„Die atomare Aufrüstung sollte Sorgen machen.“