Boris Johnson müht sich mit der heiklen Nordirland-Frage
Bei seinem Besuch in Nordirland macht sich der britische Premier nicht nur Freunde.
Seit gut einer Woche darf sich Boris Johnson Premierminister von Großbritannien nennen. Das konnte er aber nicht lang feiern: Seine Reise nach Wales und Schottland dürfte Johnson zeigen, wie stark der Brexit Großbritannien spaltet. Am Mittwoch stattete er nun Nordirland einen Besuch ab – der Landesteil, in dem die größte Angst vor einem harten Brexit herrscht.
Nordirland gehört wie Wales und Schottland zu den sogenannten devolved nations, das heißt, die Regionen haben eigene Parlamente und Regierungen. Beziehungsweise hätte das Nordirland, wenn nicht im Jänner 2017 die Regierungskoalition zwischen der irisch-republikanische Sinn-Féin-Partei und den protestantischen Hardlinern der Democratic Unionist Party (DUP) zerbrochen wäre. Bei seiner Ankunft in Belfast trat Johnson direkt vor die Kameras und verkündete, den Regierungsprozess wieder in Gang bringen zu wollen. „Ich werde den Parteien in jeder erdenklichen Weise helfen“, sagte Johnson. Dafür wolle er sich mit allen fünf Parteien treffen. Sein erstes Meeting fand mit Vertretern der nordirisch-protestantischen DUP statt, was für viel Kritik sorgte. Johnson wurde vorgeworfen, nicht objektiv zu sein. Die DUP stützt die konservative Minderheitsregierung in London.
Die Regierungsbildung in Belfast wird durch den Brexit erschwert, der durch Johnson Stück für Stück realer wird. Nordirland hat – wie Schottland – für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Während die protestantischen Hardliner der DUP den Austritt aus der EU unterstützen, fordert Sinn Féin nach dem Brexit eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung von Irland und Nordirland. Die Sinn-Féin-Vorsitzende Mary Lou McDonald kritisierte am Mittwoch, dass Johnson die Risiken eines Brexit ohne Abkommen unterschätze. Ein No Deal wäre eine „Katastrophe“für Wirtschaft, Gesellschaft und den Friedensprozess, sagte McDonald. Der Brexit und das Fehlen einer Regionalregierung seit zweieinhalb Jahren könnten in Nordirland wieder Unruhen entfachen. Mehr als 3600 Menschen kamen in dem Konflikt von 1968 bis 1994 ums Leben.
Ein weiterer großer Streitpunkt beim Brexit ist der Backstop, den Johnsons Vorgängerin Theresa May und Brüssel vereinbart hatten. Die Klausel soll eine harte Grenze und Kontrollen in der Region verhindern. Doch Johnson will den BrexitVertrag mit der EU neu aushandeln und die Backstop-Klausel abschaffen.
Das birgt Risiken, wie der irische Ministerpräsiden Leo Varadkar am Dienstag dem britischen Premier in einem Telefonat erläuterte. Johnson soll zwar laut „Süddeutscher Zeitung“Varadkar versprochen haben, eine harte Grenze durch technische Möglichkeiten zu vermeiden. Wie er diese Lösung bis in drei Monaten an der 500 Kilometer langen Landgrenze umsetzen will – das sagte der britische Premier nicht.