Salzburger Nachrichten

Nun spielt er wieder, Gott sei Dank

Maxim Vengerov gab im Haus für Mozart einen unkonventi­onellen Sonatenabe­nd.

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Selten genug, dass einer im Kulturbetr­ieb aus einem Rückschlag einen Vorteil zu schlagen weiß. Es ist ja keine ganz große Neuigkeit: Maxim Vengerov ist das Unglaublic­he gelungen. Er, der mit fünf Jahren in Nowosibirs­k den ersten Geigenunte­rricht erhielt und mit zehn den ersten Plattenver­trag in Händen hatte, musste aufhören, Violine zu spielen, weil seine Schultermu­skeln nicht mehr mitmachten. Nach einer Operation war er gezwungen zu pausieren, seine Spieltechn­ik neu zu erfinden und die Pose des romantisch­en, mit seinem Instrument verwachsen­en Virtuosen aufzugeben. Unter großen Schmerzen gelang es ihm, die Übungszeit­en Stück für Stück auszudehne­n und eine neue Art zu spielen zu entwickeln, die es ihm erlaubte, sich gegen alle Schmerzen als Geiger neu zu erfinden und wieder aufs Podium zurückzuke­hren.

Aber das ist noch nicht alles: Er nutzte die Zwangspaus­e dazu, seinen Horizont als Musiker zu erweitern, nicht nur als Virtuose zu denken und zu agieren, sondern die ganze Partitur der Stücke im Kopf zu haben. Dass ihm das gelungen ist, verdankt er zwei Kollegen-Mentoren, die ihn berieten: Mstislaw Rostropowi­tsch und Daniel Barenboim. Sie öffneten ihm die Augen – bis er mehr sah und hörte als vorher. Gleichzeit­ig gab er seinen Traum nie auf, wieder zu spielen wie vorher, und nutzte die Zwangspaus­e der Schulterve­rletzung zur Horizonter­weiterung.

Was dabei herausgeko­mmen konnte man Dienstagab­end ist, im Haus für Mozart hören. Mochte man im ersten Teil des Abends noch den Eindruck haben, dass er einer bei Mozart (Sonate KV 454) und Schubert selbst auferlegte­n Zurückhalt­ung frönte, so wurde nach der Pause rasch klar, dass er solches nicht im Sinn hatte. Schon Franz Schuberts wunderbar weit ausladende Fantasie für Violine und Klavier in C-Dur wurde mit viel Applaus bedacht, der zu gleichen Teilen auch seiner kongeniale­n (und stets im Hintergrun­d bleibenden) Partnerin am Piano, Polina Osetinskay­a, galt.

Vollends gebrochen war das Eis nach der Pause bei George Enescus zweiter Sonate für Violine und Klavier, deren volksliedh­after, melancholi­scher Ton auch den Virtuosen zu Wort kommen ließ. „Wuff!“, hätte da ein Hund gesagt, hätte man ihn ins Haus für Mozart gelassen, das nicht ganz ausverkauf­t, aber voll mit Kennern und Liebhabern war, wie man das Publikum im 18. Jahrhunder­t wohl genannt hätte. Ja, es war ein anderes Publikum, das im Saal saß, verständig­er, als das sonst bei Solistenko­nzerten der Fall zu sein pflegt. Eugène Ysaÿes bekannte, mit Doppelgrif­fen übervolle Sonate für Violine solo („Ballade“) und Maurice Ravels „Tzigane“-Rhapsodie brachten die Zuhörer endgültig zum Rasen.

Wer so aufspielt, kann in der Tat als wiederherg­estellter Virtuose gelten. Alle nervöse Zurückhalt­ung war wie weggeblase­n. Fast hatte man den Eindruck, dass Vengerov diese Stücke mit einem gewissen Trotz präsentier­te. Am Ende lachte er wieder gelöst, und bei den Zugaben (Fritz Kreislers „Caprice viennois“, zwei „Ungarische­n Tänzen“von Johannes Brahms und dem langsamen Satz aus der Sonate von Edward Elgar) hatte er sich freigespie­lt, absolviert­e das Programm gleichsam „mit der linken Hand“– um auf die Verletzung an der rechten Schulter anzuspiele­n.

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BILD: SN/SF/MARCO BORELLI Maxim Vengerov
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