Stromtanken – aber bitte intelligent
Ein E-Auto ohne Ladeinfrastruktur fährt ganz einfach nicht. Hier tun sich neue Welten auf – auch für has.to.be aus Radstadt. Volkswagen kauft sich ein, die Salzburger sollen Teil der „größten E-Offensive der Automobilindustrie“werden.
SALZBURG. In seiner Garage in Radstadt baute Martin Klässner vor elf Jahren Prototypen für E-Ladestationen. Vom Bauen der Ladesäulen hat er sich vor sechs Jahren mit dem Start-up has.to.be auf das Programmieren der Software fürs Stromtanken spezialisiert. Damit hatte er den richtigen Riecher: Heute stattet das Pongauer Unternehmen mit mittlerweile 75 Mitarbeitern E-Ladestationen in 28 Ländern mit der passenden Software aus. Nun hat has.to.be einen namhaften Miteigentümer: Der Volkswagen-Konzern übernimmt über die Tochtergesellschaft Elli rund ein Viertel der Radstädter Softwareexperten. Zur Höhe der Summe wurde Stillschweigen vereinbart. Branchenkenner sprechen von einem zweistelligen Millionenbetrag.
has.to.be betreibt seit mehreren Jahren einen Teil der Ladeinfrastruktur für Volkswagen. Tochter Audi war überhaupt der erste Kunde. „Wir haben uns in dieser Zeit wohl so gut positioniert, dass der Konzern Interesse an uns gewonnen hat. Für uns ist das ein Aufstieg in eine neue Liga. Durch die Kooperation können wir innerhalb Europas viel stärker wachsen“, sagt Klässner, der das Unternehmen gemeinsam mit Alexander Kirchgasser gegründet hat. Mit VW im Rücken wird nun die weitere Expansion geplant. In Wien und München gibt es bereits Büros. Ein bis zwei weitere Standorte sollen in Europa eröffnet werden.
Die Zahl der Beschäftigten soll sich bis Ende 2020 auf 180 mehr als verdoppeln. Vor allem Softwareentwickler und IT-Fachkräfte werden gesucht. Die Zentrale und der Großteil der Mitarbeiter sollen in Salzburg beheimatet sein. Am jetzigen Standort wird der Platz aber knapp. „Wir sind auf der Suche nach geeigneten Flächen im Ennspongau“, sagt der gebürtige Münchner, den die Liebe vor Jahren nach Radstadt gebracht hat. „Wir wollen in der Region bleiben und mit IT ein Gegengewicht zur Abhängigkeit vom Tourismus schaffen.“
Die Software von has.to.be überwacht Ladestationen, rechnet Zeit und Kilowattstunden automatisch ab und hat auch Bezahlfunktionen integriert. Kunden reichen von der Automobilbranche über Energieversorger bis zu Industrieunternehmen. Die Software ist mit 640 Ladestationstypen kompatibel und wird an 16.000 Ladepunkten eingesetzt, darunter auch bei Ionity, dem größten Schnellladenetzwerk Europas – ebenfalls mit VW-Beteiligung. Bis Ende 2020 sollen 400 Schnellladeparks an europäischen Autobahnen entstehen.
„Das Laden eines E-Autos muss genauso selbstverständlich werden wie das Laden eines Smartphones“, sagt Thomas Ulbrich, Vorstand für E-Mobilität bei Volkswagen. Dafür seien nicht nur mehr Ladesäulen nötig, sie müssten auch intelligent vernetzt sein und einfach funktionieren. Den Ausbau des europaweiten Ladenetzes wollen Volkswagen und has.to.be nun gemeinsam vorantreiben. Rund 36.000 Ladepunkte will VW bis 2025 in Europa aufbauen, nicht zuletzt als Ergänzung zur „größten E-Offensive der Automobilindustrie“, die der Konzern verfolgt. Bis 2028 will VW 70 neue rein elektrische Modelle auf den Markt bringen und dazu in fünf Jahren mehr als 30 Milliarden Euro investieren. Die neuen Modelle brauchen natürlich auch die entsprechende Ladeinfrastruktur.
Wer sich in den vergangenen Jahren ein Elektroauto kaufte, tat es oft auch wegen des Umstands, billig – nämlich ohne teuren Benzin oder Diesel – von A nach B zu kommen. Denn Strom für E-Autos gab es an den öffentlichen – wenn auch noch wenigen – Ladesäulen gratis. Diese Wild-West-Zeiten des „Plug in and charge for free“gehören bald der Vergangenheit an. Mittlerweile hat sich ein riesiges Geschäft samt Innovationsschub beim Aufbau der Ladeinfrastruktur entwickelt. Nur mehr Stecker mit Strom – sonst nichts – das war einmal.
Im Hintergrund der E-Ladesäulen entstehen Backend-Stationen mit maßgeschneiderter Software wie von has.to.be, mit denen sich der Ladezugang regeln, bargeldlose Bezahlsysteme integrieren und am Ende detaillierte Abrechnungen abrufen lassen.
„E-Autofahrer haben sich zuletzt oft zu Recht aufgeregt, wenn das Laden zu teuer war“, sagt Heimo Aichmaier, Geschäftsführer von Austrian Mobile Power. Die Plattform und Allianz zur Förderung der Elektromobilität in Österreich wurde vor zehn Jahren gegründet, Mitglieder sind unter anderem Siemens, Smatrics, Infineon, Bosch und AVL.
Ein falsches Kabel oder eine fehlende Sicherheitsgrenze hätten das Laden in der Vergangenheit mitunter um ein Vielfaches teurer gemacht als das Tanken von Diesel, sagt Aichmaier. An Orten, wo „apothekermäßige Tarifierung“stattgefunden habe, hätten die jeweiligen Anbieter „nicht final gedacht“. Künftig, mit mehr Intelligenz im Hintergrund, soll das nicht mehr so sein. „Plug & Charge wird voll automatisiert.“Und je mehr E-Autos unterwegs seien, umso transparenter werde der Preis.
Wobei es für die smarten E-Ladesäulen zumindest eine entscheidende EU-Regel gibt: Die öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur muss ad hoc zugänglich sein. Das heißt: Nutzer dürfen nicht gezwungen werden, für das Laden einen Vertrag abzuschließen. „Zumindest ein Mal Laden muss ohne Anbietervertrag möglich sein“, erklärt Aichmaier.
Allein daraus ergebe sich für die Hintergrundtechnik der E-Ladesäulen eine „maximale Komplexität“. Denn auch Unbekannte müssen für den Zugang identifiziert werden, man muss sie das Auto richtig laden und eine Rechnung begleichen lassen – und das möglichst kontaktlos, egal ob mit QR-Code oder Wallet auf dem Smartphone. Auch im Informationsdienst für die E-Autofahrer werde sich noch viel tun. „Wo ist die nächste Ladestation? Ist sie frei? Passt der Stecker? Habe ich das richtige Zahlungsmedium dabei? Kann ich mir Zugang verschaffen?“All das seien Fragen, auf die einfach und transparent Antworten geliefert werden müssten. Nach dem Sommer soll in Österreich ein entsprechendes Ladestellenregister, das von der E-Control gerade erstellt wird, online gehen.
Wie in der Öffentlichkeit E-Autos geladen werden, ist allerdings nur ein Teil – und sogar der kleinere – der benötigten Infrastruktur. Nur zehn bis 20 Prozent der Ladebedürfnisse entstünden unterwegs, betont Aichmaier. „Der überwiegende Teil lädt das E-Auto zu Hause oder am Arbeitsplatz.“Gerade aber auf dem Firmenparkplatz werde es künftig eine kombinierte Abrechnungsund Ladesoftware geben müssen. Noch sei die Verwendung von E-Autos sachbezugsbefreit, „aber wenn das fällt – und das wird es – muss der Betrieb die E-Ladeabrechnung differenzierter darstellen“. Das heißt, es muss ersichtlich sein, ob das E-Auto gerade privat genutzt wird, rein dienstlich oder aus dem Firmenwagenpool stammt.
„Mit den intelligenten E-Ladesäulen entstehen ganz neue Dienstleistungen und Märkte“, ist Aichmaier überzeugt. Energie- und Mobilitätswende gingen Hand in Hand. Deshalb brauche es für den Ausbau der E-Mobilität auch eine Reihe von innovationsfreundlichen Gesetzesänderungen – von der Garagen- und Gewerbeordnung bis hin zum Wohnrecht sowie dem Elektrizitätswirtschaftsund Effizienzgesetz. „Ansonsten wird Österreich die Dekarbonisierung des KyotoGesetzes bis 2030 nicht schaffen.“Und dabei stünden immerhin 6,6 Milliarden Euro an Strafzahlungen auf dem Spiel.
„Das ist ein Aufstieg in eine neue Liga.“Martin Klässner, has.to.be
„Zu teures Laden regt zu Recht auf.“Heimo Aichmaier, Austrian Mobile Power