ORF will den „Jedermann“live zeigen
ORF-Boss Alexander Wrabetz sagt, ob Ibiza ein Glücksfall war. Er kritisiert Teile der FPÖ. Und er schildert seine Pläne für die Festspiele.
Ohne jenen legendären Sommerabend auf den Balearen wären die kommenden Wochen für den ORF deutlich bewegter: Türkis-Blau hätte ein neues ORF-Gesetz präsentiert, die Geschäftsführung wäre auf vier Köpfe erweitert worden – und selbst der Generaldirektor hätte um seinen Posten fürchten müssen. Im SN-Interview beschreibt Alexander Wrabetz (59), wie es für den ORF nach Ibiza weitergeht. Er schildert, wie sich GIS-Zahler künftig für bestimmte Onlineangebote anmelden sollen. Und der längstdienende ORF-Boss sagt, dass es für ihn gute Gründe gebe, noch einmal für sein Amt zu kandidieren.
SN: Herr Wrabetz, wir haben uns ja auch 2018 in der Festspielzeit getroffen. Heuer wirken Sie wesentlich entspannter. Täuscht der Eindruck? Alexander Wrabetz: (lacht) Kann sein. Aber das hat wohl mehr mit einer allgemeinen Reifung zu tun als mit den geänderten Umständen.
SN: Das war auch der Hintergrund der Frage: Hat der Regierungswechsel Druck genommen? Nein, nicht unbedingt. Aber es ist nun immerhin unwahrscheinlicher, dass bestimmte Worst-Case-Szenarien – etwa bei der Finanzierung des ORF – eintreten. Und zwar unabhängig davon, wer ab Herbst regieren wird. Denn selbst wenn es zu einer Fortsetzung von Türkis-Blau kommt, wird man das Ibiza-Paket nicht 1:1 umsetzen, sondern Medien mit mehr Bedacht behandeln.
SN: Gehen Sie davon aus, dass Türkis-Blau neuerlich regiert? Ich gehe nicht zwingend davon aus. Aber wenn man sich die erwartbare Wahlarithmetik auf Basis der Umfragen anschaut, dann ist die Wahrscheinlichkeit doch groß. Daher müssen wir jetzt schon beginnen, unsere Positionen bei allen Parteien einzubringen. Allein schon, weil es in der neuen Gesetzgebungsperiode ein neues ORF-Gesetz geben wird. Es hilft uns, dass wir mit der IbizaBerichterstattung gezeigt haben, wie wichtig der ORF ist. Dadurch ist der Rückhalt beim Publikum gestiegen. Laut einer aktuellen Umfrage würden wir momentan auch eine Gebührenabstimmung gewinnen.
SN: War Ibiza also ein Glücksfall? Glücksfall würde ich nicht sagen. Aber es war sicher eine Gelegenheit, in der wir gezeigt haben, dass man einen ORF braucht, der in einer schwierigen Situation ausführlich und unabhängig berichtet – und weder russischen Oligarchen noch deutschen Konzernen gehört.
SN: Und Ibiza hatte auch im ORF personelle Auswirkungen: Ohne den Tag hätten wir jetzt wohl einen anderen Moderator der „Sommergespräche“. Das ist gut möglich. Tobias Pötzelsberger war aber der richtige Mann am richtigen Ort. Es war eine Höchstleistung. Wobei man sagen muss: Er schaut zwar jung aus, ist jedoch ein erfahrener Journalist. Parallel hat mir imponiert, dass er nach den sieben Stunden gesagt hat, er hört auf, obwohl wir ihn noch weitermoderieren hätten lassen. Und zwar, damit er nicht fehleranfällig wird. Das spricht für ihn.
SN: Hat der Ibiza-Skandal auch Ihren Posten gesichert? FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein hat Sie in einem SN-Interview als „Teil des Problems“bezeichnet. Man sollte den Herrn Jenewein nicht überbewerten. Von ihm attackiert zu werden ist erstens nicht neu und zweitens gehört er nicht zum engeren Entscheiderkreis. Aber gut, dass Sie das Interview ansprechen: Es ist ja fast ein wenig untergegangen, dass er einen geplanten Politzugriff angekündigt hat. Er sprach von Schrauben, die er in der ORF-Führung installieren und dann nach Belieben drehen will. Das ist zum einen Rufschädigung für jene, die für solche Rollen immer wieder ins Spiel gebracht werden. Zum anderen zeigt das ein Medienverständnis, das auch ohne Einfluss von Ibiza-Laune bedenklich ist.
SN: Doch das ORF-Gesetz hätte nicht nur die Führung geändert, sondern mehr Spielraum im Digitalen gebracht. Ist der ORF auch so zukunftsfit? Möglichkeiten im Digitalen, die wir vor allem für den ORF-Player brauchen (eine breite Onlineplattform nach BBC-Vorbild, Anm.), werden nun nicht so rasch kommen. Aber es gibt Teile des Players, die wir auch mit dem bestehenden Gesetz umsetzen können; im Herbst wird etwa die Radiothek starten. Und unabhängig davon, ob das Gesetz kommt, werden wir die komplette IT-Infrastruktur, die Struktur selbst und den Auftritt für den Player schon aufsetzen. Denn vor Ende 2020 ist es sowieso nicht fertig. Und vorher hätte man die Chance, ein Gesetz zu machen, in dem man sich auf das Notwendige konzentriert – die Modernisierung des ORF. Und die übliche Folklore zu Posten und auch Finanzierung lässt man weg.
SN: Es war zu lesen, der Player enthalte Bezahlangebote. Ein guter Teil des Players wird nur für Menschen zugänglich sein, die in GIS-Haushalten leben. Wir verlangen keine Extrabezahlung. Aber du musst dich registrieren, zum Beispiel mit einem GIS-Code. Das hat auch die BBC für ihren Player implementiert. Zudem könnte ich mir vorstellen, dass Dinge, die jetzt schon bezahlt werden, wie die Plattformen Flimmit oder Fidelio, relativ nahtlos angedockt werden – und zu einer Art „ORF Premium“werden. Wir wollen die Videoplattform der Zukunft für die Österreicher sein. SN: Parallel haben Sie geschildert, dass etwa ein Armin Wolf primär im Player statt auf Twitter diskutieren soll. Lassen wir jetzt bitte keine WolfTwitter-Diskussion im sommerlichen Salzburg beginnen. Nein, was wir schon wollen, ist, dass im Interaktionsteil des Players mit dem Publikum diskutiert wird. Das wird das journalistische Arbeiten verändern. SN: Aber deshalb muss Armin Wolf seinen Twitter-Account nicht aufgeben? Nein, natürlich nicht. Dann würde die Aktie von Twitter um 15 Prozent einbrechen (grinst). SN: Eine weitere FPÖ-Idee war, ORF-Mitarbeitern Nebenbeschäftigungen zu verbieten. Das ist so eine typische Neidgenossenschafts-Klein-Klein-Geschichte. Ich bin froh, wenn unsere Leute bei Veranstaltungen auftreten, weil sie damit den ORF mittransportieren – und das Feld nicht den Moderatoren der Privaten überlassen. Das ist ein Thema, mit dem man vielleicht im Bierzelt punktet, aber das dem Unternehmen nichts bringt. Wir haben klare Regeln für Nebenbeschäftigungen, das reicht.
SN: Noch zu Salzburger Themen: Wie ist der Stand der Dinge in der Causa Brunhofer? Es läuft ein Arbeitsrechtsprozess. Zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen sage ich nichts. Aber ich bemühe mich, dass letztlich alle Mitarbeiter des Hauses einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen.
SN: 2020 werden 100 Jahre Salzburger Festspiele zelebriert. Steht schon fest, wie der ORF das Jubiläum begleiten wird? Vieles steht fest. Etwa eigene, große Dokumentationen zur Geschichte der Festspiele. Und wir werden den „Jedermann“aufzeichnen.
SN: Wird er live gezeigt? Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit. Und auch sonst noch haben wir einiges zum „Jedermann“geplant. Wir arbeiten daran, dass wir mit all unseren Partnern ein großes Übertragungspaket 2020 fahren werden.
SN: Es wurde geschrieben, Sie würden sich auch selbst für die Festspielpräsidentschaft interessieren … Da ist absolut nichts dran. Es könnte sein, dass jemand, der mich „wegloben“will, meinen Namen ins Spiel gebracht hat – aber sicher niemand von den relevanten Personen. Zudem bin ich der Ansicht, dass es die Frau Präsidentin mindestens noch fünf Jahre machen sollte.
SN: Wie geht es dann für Sie weiter? Ich gehe jetzt mal davon aus, dass sich bis 2021 nichts ändern wird. Und dann wird man sehen. Die zwei großen Projekte, die ich angestoßen habe – den Player und die Konzentration des Standorts (am Küniglberg, Anm.), also der neue multimediale ORF –, werden sicher in die kommende Periode hineinreichen. Das würde dafür sprechen, zu sagen, man macht das noch fertig und bewirbt sich nochmals. Aber ob ich das wirklich tue, ob es das Richtige ist und ob es von den Rahmenbedingungen sinnvoll ist, darüber denke ich jetzt noch nicht nach.