„Finanzbildung ist der beste Anlegerschutz“
Weil Österreicher zu wenig über Aktien wissen, lassen sie im aktuellen Zinsumfeld viele Chancen liegen, sagt Börsechef Christoph Boschan.
Weil die Österreicher über den Kapitalmarkt und Aktien zu wenig wissen, lassen sie viele Chancen liegen, sagt Börsechef Christoph Boschan.
SN: Wenn Sie eine Bilanz über das erste Halbjahr ziehen, wie fällt die aus? Christoph Boschan: Man kann zufrieden sein, vor allem, was die Börse selbst betrifft. Wir liegen bei der Umsetzung der Strategie für alle Geschäftsfelder im Plan. Man kann aber auch zufrieden sein, wenn man es aus Sicht der Anleger betrachtet. Es gab zwar bei den Kursen eine Seitwärtsbewegung, aber mit 3,2 Mrd. Euro einen Rekord bei der Dividendenausschüttung – mit dem kleinen Nachteil, dass der größte Teil leider ins Ausland geht. Wir hatten mit Marinomed, Frequentis und jüngst der Addiko-Bank drei Neuzugänge, RHI ist in den geregelten Markt zurückgekehrt. Zudem haben wir das KMU-Segment wieder geöffnet. Der kleine Wermutstropfen bleibt der generelle Rückgang bei den Umsätzen, Wien fügt sich mit minus 14 Prozent aber ins europäische Gesamtbild ein. SN: Das Umfeld, vor allem die niedrigen Zinsen, spräche eigentlich für Aktien. Wird das durch die Sorgen über einen Konjunkturabschwung und politische Unsicherheit so stark konterkariert? Das sind eigentlich Fragen für Analysten, nicht für den Anbieter der Infrastruktur, wie wir es sind. Ich kann daher hier nur zitieren. Es gibt offenbar eine gewisse Skepsis, dass wir uns am Ende eines langen Zyklus befinden. Nach Ansicht mancher ist das Preisniveau sehr hoch, wobei das für die Kurs-Gewinn-Verhältnisse in Österreich nicht zutrifft. Was mir wichtig ist, ist, dass es für den Privatanleger darauf gar nicht ankommt. Der muss eine Anlagestrategie verfolgen, bei der ihm kurz- und mittelfristige Schwankungen eigentlich egal sein müssen. Das heißt, mit einem Sparplan regelmäßig in den Markt ein-, aber auch regelmäßig wieder aussteigen. SN: Wieso greift diese Botschaft in Österreich nicht? Es braucht davor zwei Erkenntnisse, da sind die Österreicher nicht anders als Anleger in Ländern, wo der Staat sehr viele Aufgaben in der Vorsorge übernimmt. Erstens: Die Wirtschaft wächst. Und zweitens: Der Einzelne kann daran teilhaben. Daraus muss man dann den Schluss ziehen, dass der Aktienmarkt dafür das richtige Instrument ist, wenn man die richtige Strategie verfolgt – also in ein breit gestreutes Portfolio investiert. Investments in Einzeltitel halte ich bei Privatanlegern für den völlig falschen Weg. SN: Nach drei Jahren in Österreich – warum werden Aktien mehrheitlich als zu riskant empfunden und für viele Menschen als nicht erreichbare Anlageform? Was jene, die auf dem Markt aktiv sind, von denen unterscheidet, die es nicht sind, ist das Wissen. Daher fordern wir immer wieder, Wirtschaftsund Finanzbildung zum verpflichtenden Bestandteil der Lehrpläne zu machen. Österreich braucht außerdem dringend eine Roadmap zur Teilnahme am entsprechenden Modul des PISA-Tests. SN: Stoßen Sie da im Unterrichtsministerium auf Gehör? Man ist zugänglich, aber die Politik muss diese Frage entscheiden. Bildung ist der Kern und gleichzeitig der beste Anlegerschutz. Wer künftig Finanzkrisen verhindern und den Verbraucherschutz stärken will, der setzt auf Finanzbildung. Neben dem Wissen braucht man auch die wirtschaftliche und finanzielle Freiheit, um auf dem Markt investieren zu können. Hier ist den wenigsten Menschen klar, wie vergleichsweise wenig man aufwenden muss, um dabei sein zu können. Bei Sparplänen reden wir von 50 oder 100 Euro im Monat – also Summen in der Höhe des Kindergelds. Wer 30 Jahre lang 50 Euro einzahlt, hat am Ende 70.000 Euro, nach 50 Jahren sind es 270.000 Euro. Zahlt man 100 Euro ein, hat man nach 50 Jahren eine halbe Million (Rechnung basiert auf einer ATX-Performance von 7 Prozent pro Jahr, dem Durchschnittswert seit Bestehen des Index, Anm.). Aber klar, alles, was in die Vorsorge geht, bedeutet aktuellen Konsumverzicht. SN: Soll der Staat das unterstützen? Ja. Aus meiner Sicht gehört die Kapitalertragsteuer für Privatanleger dringend abgeschafft. Die investieren, im Gegensatz zu professionellen Investoren, aus bereits versteuerten Arbeitseinkommen. Diese Doppelbesteuerung sollte fallen. Wir haben uns auch immer für die Wiedereinführung einer Behaltefrist starkgemacht, über den Zeitraum kann man diskutieren, ich halte ein Jahr für sinnvoll. SN: Ist der Mut zum Risiko in Österreich schwächer ausgeprägt als in Deutschland? Dort sind die Aktienquoten doch deutlich höher? Stimmt, aber nur deshalb, weil wir in Hessen und Baden-Württemberg Aktienquoten von 22 bis 45 Prozent haben, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 1,5 Prozent. Aber was das Risiko angeht, wundert man sich manchmal, was in Österreich möglich ist – Fremdwährungskredite und Crowdinvesting sind in aller Munde. Da bin ich sehr skeptisch, dass das für Privatanleger geeignet ist, von Kryptowährungen gar nicht zu reden. Dass man da noch die Vorteile eines weltweit investierten, an der Börse gehandelten Investmentfonds erklären muss, ist schon ein gewisser Widerspruch. SN: Würden Sie sich mehr Unterstützung aus der Politik für den Kapitalmarkt wünschen? Verbal gibt es die, vor allem in den vergangenen zwei Jahren, aber das muss sich auch materialisieren. Der Kapitalmarkt ist ein großer, in Österreich aber noch viel zu wenig genützter Hebel für die Volkswirtschaft. Man darf eben nicht nur in der Nacht vor dem Apple Store stehen, um aufs neue iPhone zu warten, sondern auch die Idee haben, in das Unternehmen zu investieren, wenn man das Produkt so toll findet. Und den Audi nicht nur fahren, sondern auch eine VW-Aktie kaufen. Das muss in die Köpfe rein. SN: Wie sieht es im Vorfeld der Börse aus, bei Private Equity & Co. – wird der Börse genug Nachschub zugeführt? Österreich hat hier einen riesigen Vorteil und einen großen Nachteil. Ich erlebe das Land und vor allem Wien als extrem vital in Bezug auf die Gründungskultur – es gibt viele Start-ups, viele innovative Unternehmen auf solider Basis. Die haben auch keine Probleme, eine Anschubfinanzierung zu finden. Bei der Anschlussfinanzierung ist das anders. Da richtet sich der Blick entweder auf staatliche Förderungen und damit geht es weg vom Kapitalmarkt. Oder es ist kapitalmarktnah, aber es sind ausländische Investoren. Beides trägt nicht dazu bei, eine gute Kapitalmarktkultur zu schaffen. Ohne breite Investorenbasis in Österreich werden diese jungen Firmen ihr Heil immer im Ausland suchen. Da muss man gegensteuern. SN: Was steht auf dem Wunschzettel an die Politik? Erstens Wirtschafts- und Finanzbildung. Zweitens steuerliche Incentives, um eine breite Investorenbasis zu schaffen. Schweden hat das erreicht, indem man eine Abgeltungssteuer von 1,5 Prozent pro Jahr auf das Depot eingeführt hat. Drittens muss man die betriebliche Altersvorsorge stärken. SN: Damit haben die Österreicher nicht die besten Erfahrungen. Eben deshalb ist Bildung so wichtig.