Salzburger Nachrichten

„Finanzbild­ung ist der beste Anlegersch­utz“

Weil Österreich­er zu wenig über Aktien wissen, lassen sie im aktuellen Zinsumfeld viele Chancen liegen, sagt Börsechef Christoph Boschan.

- RICHARD WIENS

Weil die Österreich­er über den Kapitalmar­kt und Aktien zu wenig wissen, lassen sie viele Chancen liegen, sagt Börsechef Christoph Boschan.

SN: Wenn Sie eine Bilanz über das erste Halbjahr ziehen, wie fällt die aus? Christoph Boschan: Man kann zufrieden sein, vor allem, was die Börse selbst betrifft. Wir liegen bei der Umsetzung der Strategie für alle Geschäftsf­elder im Plan. Man kann aber auch zufrieden sein, wenn man es aus Sicht der Anleger betrachtet. Es gab zwar bei den Kursen eine Seitwärtsb­ewegung, aber mit 3,2 Mrd. Euro einen Rekord bei der Dividenden­ausschüttu­ng – mit dem kleinen Nachteil, dass der größte Teil leider ins Ausland geht. Wir hatten mit Marinomed, Frequentis und jüngst der Addiko-Bank drei Neuzugänge, RHI ist in den geregelten Markt zurückgeke­hrt. Zudem haben wir das KMU-Segment wieder geöffnet. Der kleine Wermutstro­pfen bleibt der generelle Rückgang bei den Umsätzen, Wien fügt sich mit minus 14 Prozent aber ins europäisch­e Gesamtbild ein. SN: Das Umfeld, vor allem die niedrigen Zinsen, spräche eigentlich für Aktien. Wird das durch die Sorgen über einen Konjunktur­abschwung und politische Unsicherhe­it so stark konterkari­ert? Das sind eigentlich Fragen für Analysten, nicht für den Anbieter der Infrastruk­tur, wie wir es sind. Ich kann daher hier nur zitieren. Es gibt offenbar eine gewisse Skepsis, dass wir uns am Ende eines langen Zyklus befinden. Nach Ansicht mancher ist das Preisnivea­u sehr hoch, wobei das für die Kurs-Gewinn-Verhältnis­se in Österreich nicht zutrifft. Was mir wichtig ist, ist, dass es für den Privatanle­ger darauf gar nicht ankommt. Der muss eine Anlagestra­tegie verfolgen, bei der ihm kurz- und mittelfris­tige Schwankung­en eigentlich egal sein müssen. Das heißt, mit einem Sparplan regelmäßig in den Markt ein-, aber auch regelmäßig wieder aussteigen. SN: Wieso greift diese Botschaft in Österreich nicht? Es braucht davor zwei Erkenntnis­se, da sind die Österreich­er nicht anders als Anleger in Ländern, wo der Staat sehr viele Aufgaben in der Vorsorge übernimmt. Erstens: Die Wirtschaft wächst. Und zweitens: Der Einzelne kann daran teilhaben. Daraus muss man dann den Schluss ziehen, dass der Aktienmark­t dafür das richtige Instrument ist, wenn man die richtige Strategie verfolgt – also in ein breit gestreutes Portfolio investiert. Investment­s in Einzeltite­l halte ich bei Privatanle­gern für den völlig falschen Weg. SN: Nach drei Jahren in Österreich – warum werden Aktien mehrheitli­ch als zu riskant empfunden und für viele Menschen als nicht erreichbar­e Anlageform? Was jene, die auf dem Markt aktiv sind, von denen unterschei­det, die es nicht sind, ist das Wissen. Daher fordern wir immer wieder, Wirtschaft­sund Finanzbild­ung zum verpflicht­enden Bestandtei­l der Lehrpläne zu machen. Österreich braucht außerdem dringend eine Roadmap zur Teilnahme am entspreche­nden Modul des PISA-Tests. SN: Stoßen Sie da im Unterricht­sministeri­um auf Gehör? Man ist zugänglich, aber die Politik muss diese Frage entscheide­n. Bildung ist der Kern und gleichzeit­ig der beste Anlegersch­utz. Wer künftig Finanzkris­en verhindern und den Verbrauche­rschutz stärken will, der setzt auf Finanzbild­ung. Neben dem Wissen braucht man auch die wirtschaft­liche und finanziell­e Freiheit, um auf dem Markt investiere­n zu können. Hier ist den wenigsten Menschen klar, wie vergleichs­weise wenig man aufwenden muss, um dabei sein zu können. Bei Sparplänen reden wir von 50 oder 100 Euro im Monat – also Summen in der Höhe des Kindergeld­s. Wer 30 Jahre lang 50 Euro einzahlt, hat am Ende 70.000 Euro, nach 50 Jahren sind es 270.000 Euro. Zahlt man 100 Euro ein, hat man nach 50 Jahren eine halbe Million (Rechnung basiert auf einer ATX-Performanc­e von 7 Prozent pro Jahr, dem Durchschni­ttswert seit Bestehen des Index, Anm.). Aber klar, alles, was in die Vorsorge geht, bedeutet aktuellen Konsumverz­icht. SN: Soll der Staat das unterstütz­en? Ja. Aus meiner Sicht gehört die Kapitalert­ragsteuer für Privatanle­ger dringend abgeschaff­t. Die investiere­n, im Gegensatz zu profession­ellen Investoren, aus bereits versteuert­en Arbeitsein­kommen. Diese Doppelbest­euerung sollte fallen. Wir haben uns auch immer für die Wiedereinf­ührung einer Behaltefri­st starkgemac­ht, über den Zeitraum kann man diskutiere­n, ich halte ein Jahr für sinnvoll. SN: Ist der Mut zum Risiko in Österreich schwächer ausgeprägt als in Deutschlan­d? Dort sind die Aktienquot­en doch deutlich höher? Stimmt, aber nur deshalb, weil wir in Hessen und Baden-Württember­g Aktienquot­en von 22 bis 45 Prozent haben, in Mecklenbur­g-Vorpommern sind es 1,5 Prozent. Aber was das Risiko angeht, wundert man sich manchmal, was in Österreich möglich ist – Fremdwähru­ngskredite und Crowdinves­ting sind in aller Munde. Da bin ich sehr skeptisch, dass das für Privatanle­ger geeignet ist, von Kryptowähr­ungen gar nicht zu reden. Dass man da noch die Vorteile eines weltweit investiert­en, an der Börse gehandelte­n Investment­fonds erklären muss, ist schon ein gewisser Widerspruc­h. SN: Würden Sie sich mehr Unterstütz­ung aus der Politik für den Kapitalmar­kt wünschen? Verbal gibt es die, vor allem in den vergangene­n zwei Jahren, aber das muss sich auch materialis­ieren. Der Kapitalmar­kt ist ein großer, in Österreich aber noch viel zu wenig genützter Hebel für die Volkswirts­chaft. Man darf eben nicht nur in der Nacht vor dem Apple Store stehen, um aufs neue iPhone zu warten, sondern auch die Idee haben, in das Unternehme­n zu investiere­n, wenn man das Produkt so toll findet. Und den Audi nicht nur fahren, sondern auch eine VW-Aktie kaufen. Das muss in die Köpfe rein. SN: Wie sieht es im Vorfeld der Börse aus, bei Private Equity & Co. – wird der Börse genug Nachschub zugeführt? Österreich hat hier einen riesigen Vorteil und einen großen Nachteil. Ich erlebe das Land und vor allem Wien als extrem vital in Bezug auf die Gründungsk­ultur – es gibt viele Start-ups, viele innovative Unternehme­n auf solider Basis. Die haben auch keine Probleme, eine Anschubfin­anzierung zu finden. Bei der Anschlussf­inanzierun­g ist das anders. Da richtet sich der Blick entweder auf staatliche Förderunge­n und damit geht es weg vom Kapitalmar­kt. Oder es ist kapitalmar­ktnah, aber es sind ausländisc­he Investoren. Beides trägt nicht dazu bei, eine gute Kapitalmar­ktkultur zu schaffen. Ohne breite Investoren­basis in Österreich werden diese jungen Firmen ihr Heil immer im Ausland suchen. Da muss man gegensteue­rn. SN: Was steht auf dem Wunschzett­el an die Politik? Erstens Wirtschaft­s- und Finanzbild­ung. Zweitens steuerlich­e Incentives, um eine breite Investoren­basis zu schaffen. Schweden hat das erreicht, indem man eine Abgeltungs­steuer von 1,5 Prozent pro Jahr auf das Depot eingeführt hat. Drittens muss man die betrieblic­he Altersvors­orge stärken. SN: Damit haben die Österreich­er nicht die besten Erfahrunge­n. Eben deshalb ist Bildung so wichtig.

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 ??  ?? Christoph Boschan (*1978) studierte BWL und Jura in Berlin und Chemnitz. Nach Funktionen an deutschen Börsen, zuletzt als Chef in Stuttgart, ist er seit September 2016 Vorstandsc­hef der Wiener Börse.
Christoph Boschan (*1978) studierte BWL und Jura in Berlin und Chemnitz. Nach Funktionen an deutschen Börsen, zuletzt als Chef in Stuttgart, ist er seit September 2016 Vorstandsc­hef der Wiener Börse.

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