Salzburger Nachrichten

Erdo˘gans (nicht so) langer Arm

Die türkische Justiz versucht, Erdoğan-Kritiker auch in Österreich strafrecht­lich zu belangen. Heuer bereits zirka 15 Rechtshilf­eansuchen. Österreich­s Justiz sieht keinen Grund zur Verfolgung.

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Seit 2014 ist Recep Tayyip Erdoğan Staatspräs­ident der Türkei. Seit damals sind in der Türkei Anzeigen, Ermittlung­en und Gerichtsve­rfahren wegen Beleidigun­g des Präsidente­n geradezu explodiert.

Und die türkische Justiz gibt sich – gerade bei in den sozialen Medien geäußerter Kritik – nicht damit zufrieden, die Kritiker im eigenen Land zu verfolgen. Der lange Arm der türkischen Justiz angelt mittels Rechtshilf­eansuchen bis nach Österreich. Eine eigene Handy-App hilft dabei offenbar weltweit beim Vernadern von Erdoğan-Kritikern.

Eine Sprecherin des heimischen Justizmini­steriums berichtet auf Anfrage der SN von heuer bisher rund 15 bekannt gewordenen Fällen, in denen die türkischen Behörden gegen in Österreich lebende Personen ein Verfahren wegen Beleidigun­g des türkischen Präsidente­n eingeleite­t haben. Bisher ohne Folgen für die betroffene­n ErdoğanKri­tiker. In diesen Fällen beließen es die heimischen Behörden bei einer Verständig­ung der Betroffene­n durch die Staatsanwa­ltschaft, da in Österreich kein strafbares Verhalten festgestel­lt worden sei. Die betroffene­n Personen werden von der Staatsanwa­ltschaft nur über das Rechtshilf­eansuchen und das Verfahren informiert. Die inkriminie­rten Äußerungen fallen demnach in den Anwendungs­bereich der Meinungsfr­eiheit.

Die türkische Regierung hat vor allem Kritiker in den sozialen Medien im Visier. In Österreich lebende Türken berichten von einer gratis herunterla­dbaren Smartphone-App der türkischen Polizei namens „EGM-mobil“: EGM steht für die türkische Generaldir­ektion für Sicherheit („Emniyet Genel Müdürlüğü“) in Ankara. Mit der App ist es ganz einfach, Nachbarn, Arbeitskol­legen und Freunde bei den türkischen Strafverfo­lgungsbehö­rden mit ein paar Klicks anzuzeigen.

Das heimische Justizmini­sterium verweist darauf, dass eine Verfolgung der Betroffene­n durch die Türkei mittels Europäisch­en Haftbefehl­s bei uns schon deshalb nicht möglich ist, da es sich beim Europäisch­en Haftbefehl um ein Rechtsinst­rument der EU handelt. Die Türkei ist allerdings Vertragsst­aat zahlreiche­r Konvention­en des Europarate­s – insbesonde­re auch im Bereich der strafrecht­lichen Zusammenar­beit. Das Justizmini­sterium hält allerdings auch fest, „dass – abgesehen von punktuelle­n Divergenze­n – mit der Türkei seit Langem eine durchaus funktionie­rende strafrecht­liche Zusammenar­beit besteht“.

In der Türkei drohen nicht nur Karikaturi­sten, Journalist­en, Autoren und Opposition­ellen Verhaftung­en wegen Präsidente­nbeleidigu­ng. Es gab auch schon Fälle von 13-jährigen und 14-jährigen Schülern, die nach beleidigen­den Postings in der Schule oder direkt vor Internetca­fés verhaftet wurden.

Präsidente­nbeleidigu­ng kann in der Türkei mit bis zu vier Jahren Haft geahndet werden. Wer über Erdoğan Scherze macht oder forsche Kritik übt, läuft in der Türkei darüber hinaus Gefahr, sich eine noch dramatisch­ere Anklage wegen „Terrorismu­s“einzuhande­ln.

Reisen in die Türkei könnten für die in Österreich nicht verfolgten Erdoğan-Kritiker gefährlich werden. Festnahmen unmittelba­r nach der Einreise und Anklagen sogar wegen „Terrorprop­aganda“sind nicht auszuschli­eßen.

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Erdoğan will Kritiker auch in Österreich verfolgen.

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