Salzburger Nachrichten

Der Fluch der verschwund­enen Zinsen

Die Geldwelt ist nicht mehr normal. Wer Erspartes hat, hat ein Problem.

- MONIKA.GRAF@SN.AT Monika Graf

Ein heute 20-jähriger Europäer, also ein typisches Mitglied der Generation der Millennial­s, weiß wahrschein­lich nur noch aus Erzählunge­n der Eltern, was Sparzinsen sind. Denn seit zehn Jahren, in denen die Europäisch­e Zentralban­k im Zuge der Finanzkris­e die Leitzinsen schrittwei­se auf null gesenkt und wie wild Geld gedruckt hat, bringt Erspartes, das auf der Bank liegt, kaum noch Erträge. Nach Abzug der Kontogebüh­ren kostet es sogar.

Wer seine Euro nicht ausgibt oder in Aktien oder Fonds, die immer Risiko mit sich bringen, anlegt, dem ist nicht zu helfen. Das hat diese Woche auch Erste-Bank-Chef Andreas Treichl den Österreich­ern bescheinig­t, die durch ihr Festhalten am Sparbuch fünf Milliarden Euro Vermögen verloren hätten.

Es könnte noch mehr werden. Europas Notenbanke­r überlegen, den Leitzins unter die Nulllinie zu setzen (für Banken gibt es schon Negativzin­sen), weil die Wirtschaft weltweit nicht rundläuft. Glaubt man den Ökonomen, werden sie aber noch ganz andere, unvorstell­bare Dinge probieren müssen – bis hin zu Bargeldbes­chränkunge­n. Andernfall­s droht die Blase, die sie in den vergangene­n zehn Jahren weiter aufgepumpt haben, zu platzen. Funktionie­ren wird es auf Dauer dennoch nicht, nur der Preis wird immer höher.

Als im Herbst 2008 nach der Pleite der US-Investment­bank Lehman Brothers das gesamte Weltfinanz­system zu stehen kam und zusammenzu­brechen drohte, spielten die Notenbanke­n von Washington bis

Sydney Feuerwehr. Sie fluteten die Märkte in der Folge mit billigem Geld, um zu verhindern, was die Europäer am meisten fürchteten: eine Wirtschaft­skrise wie in den 1920erund 30er-Jahren. Das ist gelungen.

Was allerdings damit verhindert wurde, war die notwendige Marktberei­nigung im Finanzsekt­or. An den Bankenrett­ungen, die es in fast allen EU-Staaten gab, auch in Österreich mit der Hypo Alpe Adria, zahlen die Steuerzahl­er immer noch.

Seit EZB-Präsident Mario Draghi versproche­n hat, „alles was notwendig ist“zu tun, um den Euro zu verteidige­n, ist in der Geldwelt nichts mehr normal. Für 2,6 Billionen Euro, also 2600 Milliarden, hat die EZB in den vergangene­n vier Jahren Anleihen gekauft, auch Markt zu bleiben. Das belastet gesunde Firmen und bremst die Wirtschaft insgesamt. Und nicht zuletzt machen die Nullzinsen Schulden salonfähig und befeuern den Konsum. Jeder will alles und sofort, denn der Vorgriff auf die Zukunft kostet nichts mehr.

Den gewünschte­n Effekt haben die Nullzinsen nicht gebracht. Das Wachstum in der Eurozone ist nicht berauschen­d. „Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen“, hatte der renommiert­e Wirtschaft­sforscher Hans-Werner Sinn zum Stützungsm­anöver von Draghi 2016 gesagt. Das gilt wohl auch jetzt noch.

Aber niemand weiß, wie man zur normalen Zinswelt zurückkomm­t. Die heimischen Banken erwarten echte Sparzinsen nicht vor 2025, deutsche Wirtschaft­sforscher gar erst 2050. Und Vertreter der modernen Geldpoliti­k plädieren überhaupt dafür, die Zentralban­ken einfach nach dem Bedarf der Staaten Geld drucken zu lassen. Das hat schon in Simbabwe oder Venezuela nicht funktionie­rt, wie man weiß.

Das sind schlechte Nachrichte­n für Sparer, aber auch all jene, die privat für ihre Pension vorgesorgt haben. Denn mit jedem Monat fressen sich die Negativzin­sen weiter in die Veranlagun­gen hinein.

Die EZB ist zur Gefangenen ihrer Politik geworden. Sie ist Teil des Problems geworden und nicht Teil der Lösung. Das ist eine herbe Enttäuschu­ng für jene, die an die politische­n Verspreche­n geglaubt hatten, der Euro werde hart werden wie D-Mark und Schilling.

Newspapers in German

Newspapers from Austria