Der Fluch der verschwundenen Zinsen
Die Geldwelt ist nicht mehr normal. Wer Erspartes hat, hat ein Problem.
Ein heute 20-jähriger Europäer, also ein typisches Mitglied der Generation der Millennials, weiß wahrscheinlich nur noch aus Erzählungen der Eltern, was Sparzinsen sind. Denn seit zehn Jahren, in denen die Europäische Zentralbank im Zuge der Finanzkrise die Leitzinsen schrittweise auf null gesenkt und wie wild Geld gedruckt hat, bringt Erspartes, das auf der Bank liegt, kaum noch Erträge. Nach Abzug der Kontogebühren kostet es sogar.
Wer seine Euro nicht ausgibt oder in Aktien oder Fonds, die immer Risiko mit sich bringen, anlegt, dem ist nicht zu helfen. Das hat diese Woche auch Erste-Bank-Chef Andreas Treichl den Österreichern bescheinigt, die durch ihr Festhalten am Sparbuch fünf Milliarden Euro Vermögen verloren hätten.
Es könnte noch mehr werden. Europas Notenbanker überlegen, den Leitzins unter die Nulllinie zu setzen (für Banken gibt es schon Negativzinsen), weil die Wirtschaft weltweit nicht rundläuft. Glaubt man den Ökonomen, werden sie aber noch ganz andere, unvorstellbare Dinge probieren müssen – bis hin zu Bargeldbeschränkungen. Andernfalls droht die Blase, die sie in den vergangenen zehn Jahren weiter aufgepumpt haben, zu platzen. Funktionieren wird es auf Dauer dennoch nicht, nur der Preis wird immer höher.
Als im Herbst 2008 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers das gesamte Weltfinanzsystem zu stehen kam und zusammenzubrechen drohte, spielten die Notenbanken von Washington bis
Sydney Feuerwehr. Sie fluteten die Märkte in der Folge mit billigem Geld, um zu verhindern, was die Europäer am meisten fürchteten: eine Wirtschaftskrise wie in den 1920erund 30er-Jahren. Das ist gelungen.
Was allerdings damit verhindert wurde, war die notwendige Marktbereinigung im Finanzsektor. An den Bankenrettungen, die es in fast allen EU-Staaten gab, auch in Österreich mit der Hypo Alpe Adria, zahlen die Steuerzahler immer noch.
Seit EZB-Präsident Mario Draghi versprochen hat, „alles was notwendig ist“zu tun, um den Euro zu verteidigen, ist in der Geldwelt nichts mehr normal. Für 2,6 Billionen Euro, also 2600 Milliarden, hat die EZB in den vergangenen vier Jahren Anleihen gekauft, auch Markt zu bleiben. Das belastet gesunde Firmen und bremst die Wirtschaft insgesamt. Und nicht zuletzt machen die Nullzinsen Schulden salonfähig und befeuern den Konsum. Jeder will alles und sofort, denn der Vorgriff auf die Zukunft kostet nichts mehr.
Den gewünschten Effekt haben die Nullzinsen nicht gebracht. Das Wachstum in der Eurozone ist nicht berauschend. „Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen“, hatte der renommierte Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn zum Stützungsmanöver von Draghi 2016 gesagt. Das gilt wohl auch jetzt noch.
Aber niemand weiß, wie man zur normalen Zinswelt zurückkommt. Die heimischen Banken erwarten echte Sparzinsen nicht vor 2025, deutsche Wirtschaftsforscher gar erst 2050. Und Vertreter der modernen Geldpolitik plädieren überhaupt dafür, die Zentralbanken einfach nach dem Bedarf der Staaten Geld drucken zu lassen. Das hat schon in Simbabwe oder Venezuela nicht funktioniert, wie man weiß.
Das sind schlechte Nachrichten für Sparer, aber auch all jene, die privat für ihre Pension vorgesorgt haben. Denn mit jedem Monat fressen sich die Negativzinsen weiter in die Veranlagungen hinein.
Die EZB ist zur Gefangenen ihrer Politik geworden. Sie ist Teil des Problems geworden und nicht Teil der Lösung. Das ist eine herbe Enttäuschung für jene, die an die politischen Versprechen geglaubt hatten, der Euro werde hart werden wie D-Mark und Schilling.