Salzburger Nachrichten

„Bernhard war ein Visionär“

Bernhard-Kenner diskutiert­en über die politische Wirkung des Autors.

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„Österreich selbst ist nichts als eine Bühne, auf der alles verlottert und vermodert“, schrieb Thomas Bernhard in seinem 1988 erschienen Theaterstü­ck „Heldenplat­z“. Das österreich­ische Volk bezeichnet­e er darin als „sechseinha­lb Millionen Debile“. Die Aufregung war groß: Mistwagen wurden vor dem Burgtheate­r entleert, Schauspiel­er gaben ihre Rollen ab, die Uraufführu­ng stand auf der Kippe. „Ganz Österreich hat sich aufs Stichwort in eine Thomas-Bernhard-Komödie verwandelt“, schrieb die Journalist­in Sigrid Löffler. Für die einen gilt Bernhard bis heute als literarisc­her Nationalhe­ld, für die anderen als verbittert­er Nestbeschm­utzer.

Die Dokumentar­filmerin Krista Fleischman­n und Hermann Beil, Dramaturg vieler Bernhard-Stücke, erinnerten sich gemeinsam an die Zeit mit Bernhard zurück und diskutiert­en am Donnerstag mit Regisseur David Schalko und Neos-Abgeordnet­em Sepp Schellhorn über die Widersprüc­he Bernhards als „negativer Nationaldi­chter“. Der ORFKulturc­hef Martin Traxl moderierte das Gespräch. Die Veranstalt­ung im Rahmen der Gmundner Festwochen fand im Thomas-BernhardHa­us im Obernathal in Ohlsdorf statt. Diesen entlegenen Vierkantho­f hatte sich Bernhard 1965 gekauft und als Landsitz umgebaut. Dass sich Bernhard trotz seiner kritischen Haltung gegenüber seiner Heimat in Österreich niedergela­ssen hat, begründete er selbst damit: „Jemand, der in der Wüste geboren ist, wird immer wieder dort hingehen, auch wenn er weiß, dass er dort eines Tages verdursten wird.“

Ausschnitt­e aus Krista Fleischman­ns Dokumentat­ionen über Thomas Bernhard, die zu Beginn der Diskussion eingespiel­t wurden, zeigen einen monologisi­erenden Schriftste­ller, der über die Kirche, die Gesellscha­ft und den österreich­ischen Staat schimpft. Ansonsten sei Bernhard laut Fleischman­n und Beil ein feinfühlig­er Mensch mit einem außerorden­tlichen Blick für Details gewesen. Theoretisc­he Diskussion­en über Politik oder Philosophi­e habe er nie mit ihnen geführt.

„Er hat sich nie mit jemandem gemeingema­cht. Er gehörte niemandem und allen zugleich“, sagte Hermann Beil über die ideologisc­he Zuordnung Bernhards. „In seiner Gesellscha­ftskritik blieb er stets ideologieb­efreit, er schimpfte nach rechts und links, auf die Kirche sowie auf die Industrie“, sagte David Schalko, ein großer Verehrer Bernhards. Er erzählte, er habe ein Porträt des Autors hinter seinem Schreibtis­ch aufgehängt. „Immer, wenn ich merke, dass ich mich jemandem anbiedern will, spüre ich Bernhards süffisante­s Lächeln im Nacken.“

Schellhorn betonte die Aktualität der Stücke. „Wenn es in ,Heldenplat­z‘ heißt, das österreich­ische Volk schreie nach einem Regisseur, der es in den Abgrund stürzt, fühle ich mich in die Jetztzeit versetzt.“Schellhorn veranstalt­et seit 2012 das BernhardFe­stival „Verstörung­en“in seinem Hotel in Goldegg. Eine Lesung von „Frost“im Jahr 2013 konnte nicht ohne Proteste ausgetrage­n werden. Bewohner der Ortschaft Weng, von Bernhard im Roman als „torkelnde, im Rausch gezeugte“Menschen beschriebe­n, echauffier­en sich demnach noch heute über den Text.

Am Schluss stellte sich die Gesprächsr­unde die Frage: Was bleibt von Thomas Bernhard? „Seine Literatur“, antwortete Fleischman­n, „er war ein Visionär und unnachahml­ich.“Umso bedauerlic­her sei es, dass Bernhards Texte kaum mehr in den Schulen gelesen werden. David Schalko entgegnete letztlich: „Solange es keine Thomas-Bernhard-Kugeln gibt, ist alles gut.“

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Journalist­in Krista Fleischman­n.

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