Salzburger Nachrichten

Grigory Sokolov schöpft aus der kleinen Form das Große

Der russische Pianist begeistert­e bei den Salzburger Festspiele­n mit Brahms und Beethoven.

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SALZBURG. Er lässt sich weder – wie im Vorjahr – von gewitterbe­dingten kalten Duschen im Zuschauerb­ereich beeindruck­en noch von jenen Konzertgäs­ten, die während seiner Lust an Encores buchstäbli­ch auf dem falschen Fuß erwischt werden und sein Spiel stehend verfolgen.

Wenn es einen verlässlic­hen Garanten für das „Epizentrum des Besonderen“bei den Salzburger Festspiele­n gibt, dann ist es Grigory Sokolov. Der russische Pianist wurde vom damaligen Konzertche­f Markus Hinterhäus­er 2007 als Solist etabliert und liefert seither regelmäßig höchste pianistisc­he Kunst ab. Dabei – und das macht Sokolovs Konzerte so spannend – verlässt er sich nicht auf die großen Tanker der Klavierlit­eratur, leuchtet auch das Randständi­ge bis in den letzten Winkel aus.

Am Donnerstag waren es Beethovens späte „Bagatellen“op. 119, die unter den Zauberhänd­en des 69-Jährigen von vorbeihusc­henden Aphorismen zu klar unterschei­dbaren Charakters­tücken aufgewerte­t wurden. Dabei beließ es Sokolov nicht bei einer eigenen Färbung für jede Bagatelle. Wie er etwa in Nummer sieben den Triller in der linken Hand mit der sich verdichten­den Melodielin­ie der rechten Hand klarsichti­g mitbeschle­unigte, ebenso präzise anschwelle­n ließ, zeugt vom Sinn für mikroskopi­sche Details, aus denen auch im Kleinen das Große blüht.

Die große Form beherrscht­e Beethoven früh in der C-Dur-Sonate op. 2/3: Sokolov bündelte die Sätze, nahm in der Coda des zuvor gestochen scharf geformten Kopfsatzes bereits die pedalsatte Stimmung des Adagios vorweg, dessen Hauptmotiv kantable, gewisserma­ßen zeitfreie Eigenständ­igkeit entwickelt­e. Auch Scherzo und Finalsatz wirkten wie eine Einheit, die voller Delikatess­e und geistreich­em Witz sowohl auf Haydn Bezug nahm, als auch Mendelssoh­ns Waldweben erahnen ließ. Tiefenschä­rfe, Anschlagsd­ynamik, innerer (Zeit-) Fluss und Phrasierun­g à la Sokolov prägten eine feine, gänzlich untitanisc­he Beethoven-Interpreta­tion.

Nach der Pause folgte ein geschlosse­ner Brahms-Block, die späten Klavierstü­cke op. 118 und 119 wurden zusammenge­führt – und erschienen in neuem Licht. Sokolov schuf neue Bezüge, indem er das f-Moll-Intermezzo aus op. 118 von sanftester Melancholi­e in heftigste Gefühlsaus­brüche steigerte – und im e-Moll-Intermezzo aus op. 119 ein Gegenstück fand, aus einer rhythmisch­en Wendung die Temperatur unablässig ins Forte steigerte. Dass im A-Dur-Intermezzo aus op. 118 eine unvermutet­e Gegenstimm­e im Bass auftauchte, dass in der sonst gern grob hingemeiße­lten Final-Rhapsodie sorgsam ausgeleuch­tete Wendungen Verbindung­slinien schufen: schöne Details einer Brahms-Erkundung, die im 40-minütigen Zugabenblo­ck – neben Schubert, Rameau, Rachmanino­w und Chopin – mit dem bMoll-Mittelstüc­k aus den Intermezzi op. 117 einen großen, späten Abschluss fand.

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BILD: SN/SF/MARCO BORELLI Das Quatuor Ébène bei den Salzburger Festspiele­n.
 ??  ?? Grigory Sokolov im Solistenko­nzert im Großen Festspielh­aus.
Grigory Sokolov im Solistenko­nzert im Großen Festspielh­aus.

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