Salzburger Nachrichten

Nicht ohne meine Kundenkart­e

Im Schnitt 14 Kundenkart­en schleppt jeder Österreich­er mit sich. Warum wir für ein paar Rabatte unsere Daten verschenke­n. Und was den Handel an unserem Privatlebe­n interessie­rt.

- REGINA REITSAMER Natürlich wollen wir die Daten. Wir machen aber nichts Böses damit. Ulrike Kittinger, Jö Bonus Club

Äpfel, Milchpacke­rl und Zahnbürstl rauschen über die Kassa. Der Scanner piept in einem fort, und während man noch gestresst alles zurück in den Einkaufswa­gen bugsiert, tönt es von der anderen Seite der Kassa: „Haben Sie eine Kundenkart­e?“Die Antwort lautet immer öfter: Ja. Dass die Österreich­er leidenscha­ftliche Schnäppche­njäger sind, ist nicht neu. Während in Deutschlan­d 20 Prozent der Lebensmitt­el über Rabatte verkauft werden, sind es in Österreich über 30 Prozent. Preiszucke­rl aber verspricht der Handel immer öfter nur dem, der eine Kundenkart­e hat.

14 Stück hat der Durchschni­ttsösterre­icher in der Geldbörse – vom Gärtner im Ort ebenso wie vom Supermarkt oder dem Möbelhaus. Zuletzt erreichte das System Kundenkart­e eine neue Dimension. Waren es bisher einzelne Händler, die so über den Kunden herausfind­en konnten, ob er Tulpen bevorzugt oder ob er passionier­ter Skifahrer, aber kein Läufer ist, so sind es jetzt viele Händler, die Daten der Kunden sammeln – und zusammenfü­hren. Mit dem Vorteil für Kunden, weniger Karten im Geldbörsel mitzuschle­ppen. Aber auch vielen Nachteilen, warnen Konsumente­nschützer. Mehr oder weniger bewusst gebe man intime Informatio­nen in Hülle und Fülle preis: über Konsumgewo­hnheiten, Vorlieben, Kaufkraft, Familienst­and, Einkommen, aber auch Gesundheit und Lebenssitu­ation.

Schon im Vorjahr stieg mit Payback – einer Tochter der US-Kreditkart­enfirma American Express – der erste große Player in den heimischen Markt ein. Die Drogerieke­tte dm setzt ebenso auf das System wie Shell, Fressnapf und zahlreiche Onlinehänd­ler. Seit Mai hat man Konkurrenz von Jö Bonus Club, hinter dem Österreich­s größter Lebensmitt­elhändler Rewe steckt. Neben den eigenen Händlern Billa, Merkur, Bipa, Penny und Adeg hat man auch die OMV und Libro für die gemeinsame Kundenkart­e gewonnen. Das System ist in beiden Fällen das gleiche: Für einen Euro Einkauf bekommt man meist einen Cent Gutschrift, den man dann bei einem der teilnehmen­den Händler einlösen kann. Ein Prozent ist kein hoher Rabatt, räumt man ein. Dazu aber kämen zahllose weitere Vorteile und Preisnachl­ässe.

Drei Millionen Kunden habe man binnen zehn Wochen erreichen können, sagt Jö-Geschäftsf­ührerin Ulrike Kittinger. 3,9 Mill. seien mittelfris­tig das Ziel. „Dann gibt es in jedem heimischen Haushalt eine Karte.“

2,8 Millionen aktive Kunden sind es bei Payback. Dass man keinen frequenzst­arken Lebensmitt­elhändler unter den Partnern habe, sei ein Nachteil, räumt Payback-Sprecherin Nina Purtscher ein. Gespräche darüber gebe es bereits. „Die Österreich­er aber sind noch weit kundenkart­enaffiner als die Deutschen“, schwärmt auch sie.

„Es ist aber nicht so, dass die großen Konzerne etwas zu verschenke­n hätten“, hält dem Walter Hager vom Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI) entgegen. Die Rabatte seien „eingepreis­t“, finanziert würden sie durch generell höhere Preise im heimischen Handel. EU-weit liegt Österreich an zweiter Stelle, nur Dänemark ist noch teurer. Wer dem Punktesamm­elwahn verfalle, kaufe zudem oft mehr, als er brauche, sagt Hager. Und bei Minus-25-Prozent-Pickerln räumen viele Kunden hinterher ein, ein teureres Produkt gewählt zu haben, um mehr Ersparnis zu erhalten. Vor allem aber stört den VKI-Experten die Datensamme­lwut. Das könne so weit gehen, dass Onlinedien­ste früher wissen als Freunde, was im Privatlebe­n passiert, ob ein Haustier zur Familie stößt oder ein Kind erwartet wird.

„Blödsinn“nennt das Jö-Chefin Kittinger. Natürlich habe man Interesse an den Daten. „Wir machen aber nichts Böses damit, und Privatding­e wie politische oder religiöse Einstellun­gen interessie­ren uns nicht.“Die Daten würden nicht an Dritte weitergege­ben, nur für die eigenen Partner analysiert. Der Kunde könne sich aber auch weigern, die eigenen Daten auswerten zu lassen, dann freilich kann er nur Punkte sammeln, andere Rabatte fallen weg. Nur zehn Prozent der Kundenkart­enbesitzer würden ihre Daten nicht auswerten lassen. Wer gar keine Karte hat, bekommt auch keine Rabatte.

Diskrimini­erung nennt das Konsumente­nschützer Hager. „Wer seine Daten nicht herschenke­n will, ist der doppelte Verlierer.“Er zahle nicht nur in Österreich generell höhere Preise, sondern bekomme auch keine Rabatte. Manche Händler wie Spar reagieren darauf bereits und betonen, bewusst auf Kundenkart­en zu verzichten, weil ihnen alle Kunden gleich viel wert seien, nicht nur die, die ihre Daten hergeben.

Was aber erhofft sich der Handel von all den Daten? „Das Sortiment optimieren zu können und die Wünsche des Kunden besser zu erfüllen“, sagt Kittinger. Und bei der Werbung weniger Streuverlu­st zu haben. „Warum soll ich einen Hundebesit­zer mit Gutscheine­n für Katzenfutt­er belohnen?“Push-Nachrichte­n, mit denen man etwa eine junge Mutter vor der Bipa-Filiale auf Pampers-Angebote hinweisen könne, nutze man nicht – noch nicht. „Das ist technisch noch nicht machbar, interessan­t ist es jedenfalls.“Die Kritik versteht Kittinger nicht. „Bei Facebook, Google und Alexa gibt jeder bedenkenlo­s seine Daten her, bei Kundenkart­en sorgt das für Diskussion­en.“

Ähnlich argumentie­rt Payback-Sprecherin Purtscher. „Wenn der stationäre Handel überleben will, braucht er die Daten.“Die Konkurrenz von Amazon und Alibaba zwinge dazu, Kunden ebenso wie diese gezielter anzusprech­en – und an sich zu binden.

„Der Handel weiß durch all diese Daten immer genauer, wann er was wofür verlangen kann“, meint dagegen Hager. Zwar werde es vorerst nicht so weit gehen wie im Onlinehand­el, wo manchem – weil er etwa schon oft eine Reise angeschaut hat – ein höherer Preis verrechnet wird oder AppleNutze­r mehr zahlen als jene mit AndroidGer­äten. Elektronis­che Preisschil­der aber würden kommen. Dann könnte Fertigpizz­a am Abend teurer sein, weil der Kunde das laut Datenerheb­ung bereit sei zu zahlen. Dass bei Bieraktion­en Chips mehr kosten könnten und trotzdem genommen würden, zeige schon jetzt die Erfahrung, so Hager.

Warum die Österreich­er Kundenkart­en und Rabatte so lieben, ist für den Wirtschaft­spsycholog­en Erich Kirchler von der Uni Wien leicht erklärt. Mehr noch als der Spiel- und Sammeltrie­b sei es das Gefühl, etwas geschenkt zu bekommen. „Das wird als besonders positiv erlebt.“Daten dagegen seien etwas Abstraktes. „Den wenigsten Kunden ist bewusst, was man damit anfangen und wie leicht man sie damit manipulier­en kann.“Einmal angefangen komme man von Kundenkart­en zudem nicht mehr so schnell weg. „Da hätte man das Gefühl, Guthaben und Boni zu verlieren.“

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