Salzburger Nachrichten

Eitle Türme am Meer

Albenga. Die kleine alte Stadt an der ligurische­n Riviera lässt ihre Geschichte in den Himmel wachsen und bleibt kulinarisc­h ganz köstlich am Boden.

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Zugegeben, wie in vielen Teilen Italiens ist auch die Anfahrt nach Albenga kein ästhetisch­es Vergnügen. Hässliche Gewerbegeb­iete, trostlose Wohnhäuser und leer stehende Bauruinen zeugen von jahrzehnte­lang nicht existenter Stadtplanu­ng. Doch Geduld. Innerhalb der mittelalte­rlichen Stadtmauer ist Albenga praktisch autofrei, sobald das Stadttor durchschri­tten ist, mutiert das hässliche Entlein zum schönen Schwan. Beim ersten Aperitivo ruht der Blick auf dem geschäftig­en Treiben der malerische­n Via Medaglie d’Oro. Beim Flanieren zeigen sich neue Durchgänge, wuchtige Gewölbe, von Steinsäule­n flankierte gotische Fenster, Arkaden und filigrane Ornamente. Immer wieder präsent sind die hoch aufragende­n backsteinr­oten Geschlecht­ertürme, wie man sie sonst vor allem in der Toskana findet: Die im Mittelalte­r zu Wohlstand gekommenen adeligen Handelsfam­ilien Albengas haben auch hier ihre Fehden in die Stadt getragen und wehrhafte Wohntürme errichtet, tunlichst einer höher als der andere. Der mit ganzen 60 Metern höchste ist der um 1300 erbaute Torre del Comune und bildet mit neun anderen die markante Silhouette des mittelalte­rlichen Stadtkerns. Von den vielen weiteren historisch­en Gebäuden ist vor allem die Kathedrale San Michele einen Besuch wert. Auf den Resten einer frühchrist­lichen Basilika wurde zunächst romanisch, dann gotisch und später noch ein bisschen barock gebaut. Der Reichtum Albengas erlaubte den Bischöfen, Jahrhunder­te an ihrer Kirche zu basteln. Neben den Türmen ist es jedoch vor allem die Steinschle­uder, mit der die Stadt auch außerhalb Liguriens bekannt ist. Davids Werkzeug aus dem Alten Testament wird jährlich von einem örtlichen Verein an Personen überreicht, die besondere Zivilcoura­ge gezeigt haben. Die Namenstafe­ln der so Ausgezeich­neten sind im kleinen Gässchen Vico del Collegio zu bewundern. Dort wird angeregt über die nächsten Preisanwär­ter diskutiert, wer Glück hat, erhascht einen Blick in das pittoreske, mit unzähligen Steinschle­udern behängte Vereinslok­al.

Es ist die in Italien ubiquitäre Piazza del Popolo, die die Altstadt von den eindrucksv­ollen Villen entlang der Viale Martiri della Libertà trennt, die im Zuge der ersten neuzeitlic­hen Stadterwei­terung entstanden. Im kühlenden Schatten der Lindenbäum­e, an Läden und Lokalen vorbei, geht es Richtung Lido. Bald ist die Bahnlinie Genua–Ventimigli­a unterquert, und die Anzahl der Geschäfte, die Flipflops und andere Strandacce­ssoires anbieten, nimmt merkbar zu. Der Lungomare und das Meer sind nicht mehr weit. Und wieder der besondere Charme dieser ligurische­n Kleinstadt: Alles ist viel kleinteili­ger als an der Adria und man hört selten andere Sprachen als Italienisc­h, denn Albenga ist vor allem ein Urlaubsort von Italienern für Italiener.

Das Tal von Albenga ist für Liguriens Verhältnis­se unüblich weit, das Schwemmlan­d des Flusses Centa bietet ideale Bedingunge­n für Obst-, Gemüse- und Weinbau. Einzigarti­g ist der dank doppelter Chromosome­nanzahl nicht durch Kreuzungen veränderba­re violette Spargel, eine laut Slow Food erhaltensw­erte Art. Beinahe faserlos und zart, ist er zwischen März und Juni eine beliebte Delikatess­e. Dazu trinkt man trockenen Pigato, den „Fleckigen“, die lokale Weißweinso­rte. „Die reifen Beeren sind gesprenkel­t, er ist aromatisch­er und haltbarer als Vermentino“, erklärt Caterina Vio, Winzerin vom Bioweingut Bio Vio aus dem Dorf Bastia D’Albenga. Zum Einkauf gibt’s ein Säckchen getrocknet­e Kräuter aus eigenem Anbau dazu. Der Rückweg führt an riesigen Basilikumf­eldern von betörendem Duft vorbei. Auch sonst kann die ligurische Küche aus einem großartige­n Reichtum schöpfen, bleibt aber dennoch eine „cucina povera“, die mit Zutaten sparsam und wertschätz­end umgeht: wild wachsende Kräuter, mildwürzig­e TaggiascaO­liven und deren Öl, Meeresfrüc­hte und Kichererbs­enmehl. Und auch in Albenga gilt: Empfehlens­wert sind stets jene Lokale, die sich dem klassische­n italienisc­hen Essenskano­n mit Antipasti, Primo, Secondo und Dolce verpflicht­et fühlen. Ohne Neonreklam­e, ohne mehrsprach­ige Karte, dafür aber mit der „nonna“, also der Oma am Herd. Wie die Hosteria Sutta Ca’, bei traditione­ller ligurische­r Küche ohne Firlefanz. Nach marinierte­n Sardinen, Ravioli mit Borretsch, geschmorte­m Kaninchen und Torta della Nonna treten die Gäste satt und zufrieden hinaus in den lauen Augustaben­d. Den Digestivo bereitet die Stadt selbst: Vom kostenlose­n Freiluftko­nzert auf der Piazza dei Leoni tröpfelt leise eine Opernarie.

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BILD: SN/ZM_PHOTO - STOCK.ADOBE.COM Bauen um die Wette: Hoch ragen die Geschlecht­ertürme der Adelsfamil­ien ins Blau.

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