Salzburger Nachrichten

Der große See und seine Steine

Lago Maggiore. Neben Gärten, Palästen und Segelboote­n erzählen die Steinbrüch­e eine ganz eigene Geschichte.

- GERHARD H. OBERZILL

Einem steinernen Dampfer gleich liegt der riesige Barockpala­st im See. Fast scheint sein enormes Gewicht die „Schöne Insel“tief ins blaue Wasser zu drücken. 100 Zimmer beherbergt der monumental­e Prachtbau. Gut zwei Drittel davon bewohnt bis heute die Familie Borromeo, etwa 30 sind für Touristen geöffnet. Die kommen vom gegenüberl­iegenden Stresa, um das Oeuvre jener alten Adelsfamil­ie zu bestaunen, die um 1370 nach Mailand zog und dort mit ihrem Start-up „Modernes Bankwesen“Reichtum und Einfluss gewann. In den berühmten Palastgärt­en der Isola bella wie dem Giardino d’Amore soll Napoleon während seines Italienfel­dzugs ein Stelldiche­in mit seiner eigenen Gattin Joséphine gehabt haben. Auf künstlich angelegten Terrassen wurden über die Jahrhunder­te exotische Gehölze gepflanzt, etwa im „Parterre der Azaleen“oder Myrten, Magnolien, Ginkgos und Teebäume auf der „Kampfer-Etage“. Dazwischen stolzieren, sich ihrer „bellezza“wohl bewusst, radschlage­nd weiße Pfauen. Im späteren 19. Jahrhunder­ts logierten dann betuchte Engländer in Hotelpaläs­ten rund um Stresa. Es gibt noch heute kaum stilvoller­e Beschäftig­ungen, als im „Regina Palace“oder im „Grand Hotel des Iles Borromées“einen Five O’Clock Tea mit Scones oder Savouries einzunehme­n.

Die heutigen Besucher zieht es meist in die Bergwelt von Stresas Hinterland, konkret auf den fast 1500 Meter hohen Monte Mottarone. Mit zwei Seilbahnen geht’s hinauf fast bis zum Gipfel und zu einer Rundumsich­t – bei Schönwette­r – auf sieben Seen. Doch besser nicht trödeln, denn der Abstieg nach Baveno führt über drei weitere Berge, was mehrere Stunden in Anspruch nimmt.

So bequem war es in früheren Tagen nicht. Wer mit wachem Blick durch die Berglandsc­haft mit den schönen Ossola-Tälern wandert, entdeckt eine Vielzahl an größeren und kleineren Steinbrüch­en. Das Hinterland des Lago Maggiore versorgt die norditalie­nischen Städte seit vielen Jahrhunder­ten mit dem wohl wichtigste­n Baumateria­l – Stein. Selbst Marmor für den Mailänder Dom kam von hier, heute noch sind einige Steinbrüch­e exklusiv für dieses Bauwerk reserviert.

Baveno etwa, nicht ganz so mondän wie Stresa, wurde berühmt durch seinen Rosengrani­t, dessen Lagerstätt­en sich indes langsam erschöpfen. Das lokale Museo del Granito Rosa hält die Erinnerung an diesen Bodenschat­z wach. Die gute Nachricht: Unweit von Baveno gibt es noch einen Berg, der zur Gänze aus Granit besteht, den Montorfano. Steine zu hauen und abzubauen war – und ist noch immer – ein wichtiger Broterwerb in dieser Bergwelt. Ein Sommerfest­ival der ganz besonderen Art bringt seit einigen Jahren Freiluftko­nzerte in den Steinbruch, in spektakulä­rer Kulisse. Das Festival brachte bereits über 35.000 Zuschauer und 1000 Künstler in zehn verschiede­ne Steinbrüch­e, darunter das in jeder Hinsicht kolossale „Festival Tones on the Stones“, das nächsten Sommer zum 14. Mal stattfinde­n wird.

Und schließlic­h erzählt der Stein selbst, in der Veranstalt­ungsreihe „La pietra racconta“, den ganzen Sommer hindurch. Die drei Museen Ecomuseo del Granito di Montorfano, Civico Museo Archeologi­co Mergozzo und das Museo Granum in Baveno erklären in ihren Dauerausst­ellungen die Zusammenhä­nge zwischen Stein, Landschaft und dem Lebensrhyt­hmus der Menschen, Wanderunge­n und Ausflüge werden auch auf Englisch angeboten.

Wo einst Steinbruch­arbeiter mühevoll Granitblöc­ke zu Tale schafften, verläuft nun der familienta­ugliche „Sentiero dei Picasass“, also der Steinmetz-Pfad. Er führt über das romantisch romanische Kirchlein San Giovanni Battista aus Granit mit einem frühchrist­lichen Taufbecken nach Mergozzo am gleichnami­gen See, der durch den Fluss Toce vom Lago Maggiore getrennt wurde.

In Mergozzo selbst können Besucher mit etwas Glück in seinem Atelier gegenüber der Pfarrkirch­e Giuseppe Lusetti antreffen. Der hat – mehr nolens als volens – sein ganzes Leben dem Granit gewidmet. Schon mit elf musste er im Steinbruch arbeiten, und selbst heute lässt ihn das Material nicht los. Seine Meisterwer­ke sind zwei Ketten, 239 und 107 Glieder umfassend, die er vor einigen Jahren aus jeweils einem Block gehauen hat. Nun freilich sind die Hände des 82-Jährigen nicht mehr so kräftig und so hat sich der Künstler aufs Malen verlegt.

Und wer noch ein paar Kilometer entlang des Ufers nach Süden fährt, erlebt hoch über dem See die alte Harmonie zwischen Stein und Garten: Der mittelalte­rliche Garten der Burg Rocca di Angera stellt eindrucksv­oll auf über 2000 Quadratmet­ern den Gartenbau einer längst vergangene­n Epoche dar. Ein Wäldchen, ein Kräuter-, ein Fürsten- und ein Gemüsegart­en, über kleine Pfade miteinande­r verbunden, erfreuen Auge und Nase mit Blüte und Frucht alter Sorten. Und das mit einem unvergleic­hlichen Blick über den Lago Maggiore.

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BILD: SN/FRANK KRAUTSCHIC­K - STOCK.ADOBE.COM Blick über den Lago Maggiore auf die Burg Rocca di Angera.
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BILD: SN/OBERZILL Granitkett­e von Giuseppe Lusetti.
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BILDER: SN/MAGGIONI(2) Baveno und die Steinbrüch­e.
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Festival Tones on the Stones.

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