Die neue Macht der Verschwörer
Verschwörungstheorien haben längst auch bei uns Eingang in den politischen Alltag gefunden – und in den aktuellen Wahlkampf.
Selten wucherten politische Verschwörungstheorien hierzulande so ungeniert wie nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos. Je nach Standpunkt und politischer Interessenlage wurde prompt mit buntesten konspirativen Thesen aufgewartet: Unheilvolle israelische Agenten, drei eigens nach Ibiza gereiste Beamte des bösen heimischen Verfassungsschutzes, die SPÖ mit dem unheimlichen Tal Silberstein, ein FPÖ-Bodyguard oder doch einfach die hemmungslos mit der Macht spielende ÖVP sollen die Initiatoren des Videos sein, konnte man hören und lesen.
Und für manche, die es immer schon wussten, beweist das IbizaVideo lediglich die ultimative Verschwörungsthese, dass alle Politiker immer schon Land und Leute meistbietend verhökert haben …
Im anlaufenden Wahlkampf geht es ungebremst weiter: Auf dubiosen Webseiten kochen Sexgerüchte über Spitzenkandidaten ebenso hoch wie andernorts verwegenste Fantasien, was auf den von einem ÖVP-Mitarbeiter ungeschickt vernichteten Festplatten alles an republikgefährdendem Material gespeichert gewesen sein könnte.
Und warum bringt sich der so spektakulär aus dem Amt gespülte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ausgerechnet in seinen politisch schwersten Wochen mit einer Verschwörungstheorie zurück in die Schlagzeilen? Vor wenigen Tagen behauptete der gefallene Vizekanzler auf Facebook mit allen Anzeichen großer Aufregung, dass die Blutproben des vor elf Jahren bei einem Autounfall tödlich verletzten damaligen Landeshauptmannes Jörg Haider verschwunden seien. Womit er die These aufwärmte, Haider sei möglicherweise von sinistren Geheimdiensten beseitigt worden.
Man darf davon ausgehen, dass im anlaufenden Wahlkampf auch wieder die These vom „großen Austausch“aufgewärmt wird – das ist die Behauptung, dunkle Mächte wollten die autochthone europäische Bevölkerung durch Zuwanderer ersetzen; oder von Freimaurern und Bilderbergern, die eine geheime Weltregierung bildeten.
Altkanzler Sebastian Kurz arbeitet derweil durchaus bewusst mit der konsequent vermittelten MetaVerschwörungsbotschaft, die ganze Politwelt habe sich untergriffigst gegen ihn, den ehemaligen juvenilen Erfolgskanzler, verschworen.
Und dabei ist alles schon mal da gewesen, etwa im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016, der nicht zuletzt von blühenden Verschwörungstheorien dominiert war. Donald Trump selbst unterstützte damals eifrig auch die krudesten Konspirationsthesen, um nach dem Wahlsieg seinen politischen Gegnern vorzuwerfen, sich hemmungslos gegen ihn zu verschwören.
Verschwörungstheorien wirken: Laut einer heuer veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist fast die Hälfte der Deutschen anfällig für Verschwörungstheorien von giftigen Chemtrails bis zu die Politik kontrollierenden geheimen Mächten. Menschen mit eher niedrigem Bildungsniveau sind demnach empfänglicher für derlei Gespinste als hochgebildete Zeitgenossen. Für die Forscher liegt auch nahe, dass Verschwörungsmentalität und demokratiefeindliche Einstellungen zusammenhängen.
„Verschwörungstheorien sind Erzählungen, die die Welt einfach erklären und die eine spannende
„Es reicht oft, etwas anzudeuten, die Fantasie macht dann den Rest.“Ulrike Schiesser, Psychologin
Geschichte erzählen“, sagt Ulrike Schiesser im SN-Gespräch. Die Psychologin arbeitet bei der Bundesstelle für Sektenfragen. Bei ihr schlagen immer wieder Verschwörungstheorien auf.
Die Grundstruktur jeder Verschwörungstheorie sei, „dass alles miteinander verbunden ist, alles geplant ist und eigentlich nichts ist, wie es scheint“, analysiert Schiesser. Viele Verschwörungstheorien seien einander sehr ähnlich. „Meistens gibt es eine kleine Gruppe, die angeblich hinter den Kulissen die Fäden zieht und an der Macht ist.“
Es ist kein Zufall, dass Verschwörungstheorien derzeit wieder im Kommen sind: „Die Unsicherheit in der Gesellschaft ist spürbar. Viele Menschen haben das Gefühl, dass etwas nicht richtig läuft. Und vielen ist es lieber, dass eine Verschwörung dahintersteckt, als es wären Zufall und Chaos. Zufall und Chaos sind immer noch das Schlimmere. Die Menschen wollen an solche Theorien glauben.“
Die Politik könne das natürlich nutzen, diese Spannungen zu verstärken und Ängste zu schüren. „Das passt immer gut, wenn ich die Aufmerksamkeit auf etwas lenken will.“Praktisch sei es, wenn man die Schuld auf jemanden schiebe, der sich nicht wehren könne, weil er vielleicht gar nicht konkret genannt werde. „Etwa eine nebulöse Geheimgesellschaft oder ein Geheimdienst: Der wird sich nicht melden, der wird sich nicht wehren und der wird keine Anzeige wegen Rufschädigung machen.“
Der nächste Vorteil einer Verschwörungstheorie: „Ich muss es nicht belegen, es reicht oft, wenn etwas angedeutet wird, die Fantasie macht dann schon den Rest.“
Verschwörungstheorien sind im Kommen. Viele laufen derzeit unter dem großen Begriff Fake News. „Das Internet und die sozialen Medien sind da ein gigantischer Brandbeschleuniger“, sagt Schiesser. Jede noch so skurrile These könne da verbreitet werden. „Früher blieb das am Stammtisch und sorgte vielleicht für ein paar Lacher. Heute wird das ins Netz gestellt und es gibt jemanden, der das glaubt und auch weiterverbreitet.“
Als Gegenmaßnahmen nennt die Expertin die Förderung von Recherchenetzwerken zur Aufdeckung von Fake News. Oder die der Frage nachgehen, woher im Internet verbreitete Bilder tatsächlich kommen. „Solche Seiten gibt es bereits. In Österreich etwa Mimikama.“In der Schule müsste der Umgang mit Medien und Quellen besser vermittelt werden. Und schließlich sollten „Seiten, die Fake News verbreiten, nicht auch noch von Politikern verbreitet werden“.
Für den Salzburger Politikwissenschafter Reinhard Heinisch ist Österreich hinsichtlich Verschwörungstheorien in der Welt populistischer US-Wahlkämpfe angekommen. Bei einem Teil der Verschwörungstheorien stehe der manichäische Wesenszug im Zentrum – das ist der Kampf zwischen den Mächten des Lichtes und denen der Finsternis. Die Welt werde solcherart in Schwarz und Weiß unterteilt. Dabei handle es sich um ein Grundcharakteristikum des ideologischen Populismus mit seinem Gegensatz zwischen den Eliten und dem guten Volk. „Damit haben wir schon automatisch einen Gegensatz zwischen Gut und Böse“, sagt Heinisch. Der Begriff des Volks sei dabei homogen, Eliten blieben unscharf.
Es sei auffällig, dass diese klassischen Versatzstücke des Populismus nun auch bei uns stärker in etablierte Parteien übergriffen, sagt Heinisch. Vage Behauptungen reichten aus, den Gegnern zuzusetzen oder ihnen zu schaden. „Die Trennung zwischen etablierter Politik, die vor so etwas zurückscheut, und der Gerüchteküche des Populismus wird immer unschärfer“, sagt der Wissenschafter.
Ganz neu sind Verschwörungstheorien in der heimischen Politik freilich nicht. Schon der 2008 verunglückte Jörg Haider war Großmeister in dieser Disziplin, und folgerichtig wurde auch sein Unfalltod auf einer nächtlichen Straße Gegenstand blühender Gerüchte und Verschwörungstheorien. Haider erweckte mit Akribie den Eindruck, die Bevölkerung werde bedroht von finsteren Mächten, während er, Haider, der Freund des guten Volks sei und dieses schützen wolle. Sein Slogan „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“spiegelt diese Haltung wider.
Politologe Heinisch verweist darauf, dass die ehemaligen Großparteien diese Form der Kommunikation zum Teil übernommen hätten. Ideologische Unterschiede spielten keine große Rolle mehr im Wahlkampf, die faktenbasierte politische Diskussion weiche der Emotionalisierung. Diese sei mittels Verschwörungsgeschichten leicht zu erzielen. „Die Bevölkerung wird bedroht von finsteren Mächten. Ich als jemand, der Veränderung bietet, werde dich vor diesen Mächten beschützen.“Das versuchten Politiker auch heute im Wahlkampf als Botschaft zu vermitteln. Und so versuchten sie auch, sich gegen drohende Angriffe von Dunkelmännern zu „immunisieren“, um diese Angriffe vorsorglich als Teil einer Verschwörung gegen einen Heilsbringer ins Leere laufen zu lassen.
Kurzum: Im herandräuenden Wahlkampf dürfte noch einiges auf die geschätzte Wählerschaft zukommen.
„Auch die etablierte Politik scheut heute nicht mehr davor zurück.“Reinhard Heinisch, Politologe