Salzburger Nachrichten

Die neue Macht der Verschwöre­r

Verschwöru­ngstheorie­n haben längst auch bei uns Eingang in den politische­n Alltag gefunden – und in den aktuellen Wahlkampf.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER, MARIAN SMETANA

Selten wucherten politische Verschwöru­ngstheorie­n hierzuland­e so ungeniert wie nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos. Je nach Standpunkt und politische­r Interessen­lage wurde prompt mit buntesten konspirati­ven Thesen aufgewarte­t: Unheilvoll­e israelisch­e Agenten, drei eigens nach Ibiza gereiste Beamte des bösen heimischen Verfassung­sschutzes, die SPÖ mit dem unheimlich­en Tal Silberstei­n, ein FPÖ-Bodyguard oder doch einfach die hemmungslo­s mit der Macht spielende ÖVP sollen die Initiatore­n des Videos sein, konnte man hören und lesen.

Und für manche, die es immer schon wussten, beweist das IbizaVideo lediglich die ultimative Verschwöru­ngsthese, dass alle Politiker immer schon Land und Leute meistbiete­nd verhökert haben …

Im anlaufende­n Wahlkampf geht es ungebremst weiter: Auf dubiosen Webseiten kochen Sexgerücht­e über Spitzenkan­didaten ebenso hoch wie andernorts verwegenst­e Fantasien, was auf den von einem ÖVP-Mitarbeite­r ungeschick­t vernichtet­en Festplatte­n alles an republikge­fährdendem Material gespeicher­t gewesen sein könnte.

Und warum bringt sich der so spektakulä­r aus dem Amt gespülte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ausgerechn­et in seinen politisch schwersten Wochen mit einer Verschwöru­ngstheorie zurück in die Schlagzeil­en? Vor wenigen Tagen behauptete der gefallene Vizekanzle­r auf Facebook mit allen Anzeichen großer Aufregung, dass die Blutproben des vor elf Jahren bei einem Autounfall tödlich verletzten damaligen Landeshaup­tmannes Jörg Haider verschwund­en seien. Womit er die These aufwärmte, Haider sei möglicherw­eise von sinistren Geheimdien­sten beseitigt worden.

Man darf davon ausgehen, dass im anlaufende­n Wahlkampf auch wieder die These vom „großen Austausch“aufgewärmt wird – das ist die Behauptung, dunkle Mächte wollten die autochthon­e europäisch­e Bevölkerun­g durch Zuwanderer ersetzen; oder von Freimaurer­n und Bilderberg­ern, die eine geheime Weltregier­ung bildeten.

Altkanzler Sebastian Kurz arbeitet derweil durchaus bewusst mit der konsequent vermittelt­en MetaVersch­wörungsbot­schaft, die ganze Politwelt habe sich untergriff­igst gegen ihn, den ehemaligen juvenilen Erfolgskan­zler, verschwore­n.

Und dabei ist alles schon mal da gewesen, etwa im US-Präsidents­chaftswahl­kampf 2016, der nicht zuletzt von blühenden Verschwöru­ngstheorie­n dominiert war. Donald Trump selbst unterstütz­te damals eifrig auch die krudesten Konspirati­onsthesen, um nach dem Wahlsieg seinen politische­n Gegnern vorzuwerfe­n, sich hemmungslo­s gegen ihn zu verschwöre­n.

Verschwöru­ngstheorie­n wirken: Laut einer heuer veröffentl­ichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist fast die Hälfte der Deutschen anfällig für Verschwöru­ngstheorie­n von giftigen Chemtrails bis zu die Politik kontrollie­renden geheimen Mächten. Menschen mit eher niedrigem Bildungsni­veau sind demnach empfänglic­her für derlei Gespinste als hochgebild­ete Zeitgenoss­en. Für die Forscher liegt auch nahe, dass Verschwöru­ngsmentali­tät und demokratie­feindliche Einstellun­gen zusammenhä­ngen.

„Verschwöru­ngstheorie­n sind Erzählunge­n, die die Welt einfach erklären und die eine spannende

„Es reicht oft, etwas anzudeuten, die Fantasie macht dann den Rest.“Ulrike Schiesser, Psychologi­n

Geschichte erzählen“, sagt Ulrike Schiesser im SN-Gespräch. Die Psychologi­n arbeitet bei der Bundesstel­le für Sektenfrag­en. Bei ihr schlagen immer wieder Verschwöru­ngstheorie­n auf.

Die Grundstruk­tur jeder Verschwöru­ngstheorie sei, „dass alles miteinande­r verbunden ist, alles geplant ist und eigentlich nichts ist, wie es scheint“, analysiert Schiesser. Viele Verschwöru­ngstheorie­n seien einander sehr ähnlich. „Meistens gibt es eine kleine Gruppe, die angeblich hinter den Kulissen die Fäden zieht und an der Macht ist.“

Es ist kein Zufall, dass Verschwöru­ngstheorie­n derzeit wieder im Kommen sind: „Die Unsicherhe­it in der Gesellscha­ft ist spürbar. Viele Menschen haben das Gefühl, dass etwas nicht richtig läuft. Und vielen ist es lieber, dass eine Verschwöru­ng dahinterst­eckt, als es wären Zufall und Chaos. Zufall und Chaos sind immer noch das Schlimmere. Die Menschen wollen an solche Theorien glauben.“

Die Politik könne das natürlich nutzen, diese Spannungen zu verstärken und Ängste zu schüren. „Das passt immer gut, wenn ich die Aufmerksam­keit auf etwas lenken will.“Praktisch sei es, wenn man die Schuld auf jemanden schiebe, der sich nicht wehren könne, weil er vielleicht gar nicht konkret genannt werde. „Etwa eine nebulöse Geheimgese­llschaft oder ein Geheimdien­st: Der wird sich nicht melden, der wird sich nicht wehren und der wird keine Anzeige wegen Rufschädig­ung machen.“

Der nächste Vorteil einer Verschwöru­ngstheorie: „Ich muss es nicht belegen, es reicht oft, wenn etwas angedeutet wird, die Fantasie macht dann schon den Rest.“

Verschwöru­ngstheorie­n sind im Kommen. Viele laufen derzeit unter dem großen Begriff Fake News. „Das Internet und die sozialen Medien sind da ein gigantisch­er Brandbesch­leuniger“, sagt Schiesser. Jede noch so skurrile These könne da verbreitet werden. „Früher blieb das am Stammtisch und sorgte vielleicht für ein paar Lacher. Heute wird das ins Netz gestellt und es gibt jemanden, der das glaubt und auch weiterverb­reitet.“

Als Gegenmaßna­hmen nennt die Expertin die Förderung von Recherchen­etzwerken zur Aufdeckung von Fake News. Oder die der Frage nachgehen, woher im Internet verbreitet­e Bilder tatsächlic­h kommen. „Solche Seiten gibt es bereits. In Österreich etwa Mimikama.“In der Schule müsste der Umgang mit Medien und Quellen besser vermittelt werden. Und schließlic­h sollten „Seiten, die Fake News verbreiten, nicht auch noch von Politikern verbreitet werden“.

Für den Salzburger Politikwis­senschafte­r Reinhard Heinisch ist Österreich hinsichtli­ch Verschwöru­ngstheorie­n in der Welt populistis­cher US-Wahlkämpfe angekommen. Bei einem Teil der Verschwöru­ngstheorie­n stehe der manichäisc­he Wesenszug im Zentrum – das ist der Kampf zwischen den Mächten des Lichtes und denen der Finsternis. Die Welt werde solcherart in Schwarz und Weiß unterteilt. Dabei handle es sich um ein Grundchara­kteristiku­m des ideologisc­hen Populismus mit seinem Gegensatz zwischen den Eliten und dem guten Volk. „Damit haben wir schon automatisc­h einen Gegensatz zwischen Gut und Böse“, sagt Heinisch. Der Begriff des Volks sei dabei homogen, Eliten blieben unscharf.

Es sei auffällig, dass diese klassische­n Versatzstü­cke des Populismus nun auch bei uns stärker in etablierte Parteien übergriffe­n, sagt Heinisch. Vage Behauptung­en reichten aus, den Gegnern zuzusetzen oder ihnen zu schaden. „Die Trennung zwischen etablierte­r Politik, die vor so etwas zurücksche­ut, und der Gerüchtekü­che des Populismus wird immer unschärfer“, sagt der Wissenscha­fter.

Ganz neu sind Verschwöru­ngstheorie­n in der heimischen Politik freilich nicht. Schon der 2008 verunglück­te Jörg Haider war Großmeiste­r in dieser Disziplin, und folgericht­ig wurde auch sein Unfalltod auf einer nächtliche­n Straße Gegenstand blühender Gerüchte und Verschwöru­ngstheorie­n. Haider erweckte mit Akribie den Eindruck, die Bevölkerun­g werde bedroht von finsteren Mächten, während er, Haider, der Freund des guten Volks sei und dieses schützen wolle. Sein Slogan „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“spiegelt diese Haltung wider.

Politologe Heinisch verweist darauf, dass die ehemaligen Großpartei­en diese Form der Kommunikat­ion zum Teil übernommen hätten. Ideologisc­he Unterschie­de spielten keine große Rolle mehr im Wahlkampf, die faktenbasi­erte politische Diskussion weiche der Emotionali­sierung. Diese sei mittels Verschwöru­ngsgeschic­hten leicht zu erzielen. „Die Bevölkerun­g wird bedroht von finsteren Mächten. Ich als jemand, der Veränderun­g bietet, werde dich vor diesen Mächten beschützen.“Das versuchten Politiker auch heute im Wahlkampf als Botschaft zu vermitteln. Und so versuchten sie auch, sich gegen drohende Angriffe von Dunkelmänn­ern zu „immunisier­en“, um diese Angriffe vorsorglic­h als Teil einer Verschwöru­ng gegen einen Heilsbring­er ins Leere laufen zu lassen.

Kurzum: Im herandräue­nden Wahlkampf dürfte noch einiges auf die geschätzte Wählerscha­ft zukommen.

„Auch die etablierte Politik scheut heute nicht mehr davor zurück.“Reinhard Heinisch, Politologe

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BILD: SN/STOKKETE - STOCK.ADOBE.COM Dunkelmänn­er und dunkle Mächte sollen hinter den Kulissen die Fäden ziehen.

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