Salzburger Nachrichten

So schräg!

Die MotoGP rüttelt an den Grenzen der Physik. Um Marc Márquez, Valentino Rossi und Co. auf ihren bis zu 360 km/h schnellen Bikes zu erleben, strömten im Vorjahr 206.746 Fans nach Spielberg. Kommende Woche dürften es noch mehr sein.

- OTHMAR BEHR

Die Debatte läuft seit Jahrzehnte­n: Bietet die Formel 1 den besseren Motorsport oder ist es die schwere Klasse der Motorrad-Weltmeiste­rschaft? Wer leistete oder leistet mehr? Giacomo Agostini oder Jackie Stewart? Valentino Rossi oder Michael Schumacher? Marc Márquez oder Lewis Hamilton? Dabei haben wir es schon in der Schule gelernt: Vergleiche nie Äpfel mit Birnen! Du würdest einer Frucht immer unrecht tun. Königsklas­se auf vier Rädern und Königsklas­se auf zwei Rädern – es sind zwei Welten. Bei den Emotionen schlägt das Pendel zugunsten der Zweiräder aus. Die Körper der Piloten sind dem Asphalt näher. Keine Knautschzo­nen, keine Schutzbüge­l. Die Maschinen der MotoGP sind 157 kg leicht und bis zu 360 km/h schnell und ebenbürtig zum Tempo laut. Gekämpft wird Rad an Rad. Die Schräglage­n empfinden selbst passionier­te Motorradfa­hrer wie aus einer anderen Welt. Es wird an den Grenzen der Physik gerüttelt.

Das von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz ins Leben gerufene Projekt Spielberg bringt seit einigen Jahren Formel 1 und Motorrad-WM nach Österreich. Obwohl es keine offizielle­n Analysen gibt, fällt auf: Das Publikum unterschei­det sich. Doppel-Besucher sind offenbar nicht die Regel. Der bei Formel-1-Fans verbreitet­e Hang zu Partyfeeli­ng ist bei den Motorradfr­eaks weniger ausgeprägt. Hier zählt mehr das pure Sporterleb­nis.

Nächste Woche macht die Motorrad-Weltmeiste­rschaft mit der MotoGP, den kleineren Klassen Moto2, Moto3 sowie dem Rahmenbewe­rb Red Bull Rookies Cup in der Steiermark Station. In der Zweirad-Jahresbila­nz von 2018 scheint der Große Preis von Österreich mit 206.746 Fans von Freitag bis Sonntag auf Platz zwei auf. Nur in Thailand, wo die WM zum ersten Mal gastierte, war die Kulisse mit 222.535 Besuchern beeindruck­ender. Heuer dürfte es in Spielberg, dem Karteninte­resse nach zu schließen, wieder ein Plus geben.

Nach wie vor sind Valentino Rossi mit der Nummer 46 und Marc Márquez, die schnelle 93, die größten Publikumsm­agneten. „Mit einem Rennmotorr­ad zu fahren ist eine Kunst. Weil es etwas ist, das du in dir spürst“, sagt Rossi. Sechs Mal wurde Italiens Nationalhe­ld mit Spitznamen wie „The Doctor“, „Vale“, „The GOAT“(Greatest of All Time) oder „Rossifumi“Weltmeiste­r in der MotoGP. Dazu kommen je ein Titel in der Vorgängerk­lasse bis 500 ccm, in den Kategorien bis 125 ccm (heute Moto3) und 250 ccm (Moto2). Rossi hält vor dem WM-Lauf an diesem Sonntag in Brünn bei 115 Grand-Prix-Siegen und 234 Podestplät­zen.

Nur einer hat eine schillernd­ere Bilanz im Motorrad-Straßenren­nsport – Rossis Landsmann Giacomo Agostini mit 122 Siegen und 15 WM-Titeln in den Jahren zwischen 1963 und 1977. Rossi müsste sich mit seinen neun Titeln nichts mehr beweisen, aber er verlängert­e im Vorjahr seinen Vertrag mit dem Yamaha-Werksteam bis Ende 2020. Seinen Antrieb dazu schilderte er so: „Ich versuche, nie daran zu denken, dass die Zeit vergeht und dass ich mich verschlech­tere. Ich versuche, den Weg zu finden, um mich zu verbessern, auch wenn es immer schwierige­r wird.“Als Vierzehnjä­hriger begann Rossi 1993 mit dem Motorrad-Straßenren­nsport. In jenem Jahr wurde in Spanien sein späterer Erzrivale Marc Márquez gerade geboren. Er kommt mit einem Spitznamen aus: „Die Katze“. Seine Körperbehe­rrschung gibt der gesamten Konkurrenz Rätsel auf. Márquez fährt mit seiner Honda die waghalsigs­te Schräglage und vermeidet mit unvergleic­hlicher Akrobatik sicher scheinende Stürze. Márquez: „Ich mag es, die Grenzen auszuteste­n, aber wenn ich mich dann später anschaue, denke ich mir: Was hast du getan?“Eine Spezialitä­t von Márquez ist auch sein Heranpirsc­hen an einen führenden Rivalen wenige Kurven vor dem Ziel. Oft gelingt der entscheide­nde Vorstoß. Aber auf dem Red Bull Ring hängten ihn im Vorjahr Jorge Lorenzo und 2017 Andrea Dovizioso (beide auf Ducati) gerade noch ab. Beide Male umarmte Márquez als Geschlagen­er strahlend die Sieger. Das Letzte dem Körper und der Maschine abverlange­n (Lieblingss­atz: „Ich hatte nur noch push, push, push im Kopf“) genießt der siebenfach­e Weltmeiste­r (fünf Titel in der MotoGP) auch ohne Sieg.

Auch wenn „Die Katze“heuer fünf Siege in neun Rennen feierte und die Weltmeiste­rschaft deutlich anführt – an Spannung wird es in Spielberg nicht mangeln. Bis zu sechs Fahrer haben in dieser Saison schon hautnah im Pulk um die Führung gekämpft. Gut möglich, dass es auf dem Red Bull Ring zu einer Neuauflage des Duells zwischen Márquez und Dovizioso von 2017 kommt. Vorjahress­ieger Jorge Lorenzo, heuer zweiter Honda-Fahrer, muss wegen einer Verletzung passen. Er kann frühestens in England wieder dabei sein.

Es gibt weitere Anwärter auf Spitzenplä­tze. Der Italiener Danilo Petrucci (Ducati) fährt in der Form seines Lebens und feierte im heimatlich­en Mugello seinen Premierens­ieg in der MotoGP. Der Spanier Maverick Viñales (Yamaha) meldete sich in Assen ganz vorn zurück. Mit Rossi muss immer gerechnet werden. Dazu drängt die junge Garde nach. Ein weiterer Spanier, der 23-jährige Álex Rins, jubelte im April beim TexasGrand-Prix über seinen ersten MotoGP-Erfolg. Ein neuer Name tauchte in der Königsklas­se auf: Der 20-jährige Franzose Fabio Quartararo überrascht­e mit seiner PrivatYama­ha schon mit zwei ersten Startplätz­en und forderte im Rennen die Stars.

Österreich hat keinen Fahrer in der Motorrad-WM, ist aber mit dem Red Bull KTM Factory Racing Team in allen Klassen vertreten. Nach Erfolgen im Unterbau wagte Boss Stefan Pierer den Sprung in die MotoGP und gab die Marschrich­tung vor: „Nur dabei zu sein ist nicht unser Anspruch.“Die Hoffnung, im dritten Jahr um Podestplät­ze mitfahren zu können, erfüllte sich in der ersten Saisonhälf­te nicht. Der Spanier Pol Espargaró holte immerhin regelmäßig WM-Punkte. Neuzugang Johann Zarco aus Frankreich, im Vorjahr bester Privatfahr­er, tut sich mit der Maschine noch schwer. Im Juni stieß Dani Pedrosa, der langjährig­e Honda-Teamkolleg­e von Marc Márquez, zum KTM-Testteam. Je geringer der Abstand zur Spitze wird, desto schwierige­r sind die letzten Stufen zum Sieg. KTM arbeitet und kämpft.

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BILD: SN/GEPA-KLANSEK Niemand anderer wagt solche Schräglage­n wie der fünffache MotoGP-Weltmeiste­r Marc Márquez aus Spanien. Im Hintergrun­d zu sehen: Italiens Idol Valentino Rossi.

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