Salzburger Nachrichten

Ängste und Fakten

Die Energiewen­de hat es nicht leicht. Der Abschied von Kohle, Öl und Gas fällt schwer.

- HANNES KOCH

CO2-Steuer, höherer Benzinprei­s, teureres Heizöl. In weniger als zwei Monaten will die deutsche Bundesregi­erung entscheide­n, ob das nötig ist, um den Ausstoß klimaschäd­licher Treibhausg­ase zu verringern und die selbst gesetzten Klimaziele zu erreichen. Nicht nur dadurch, auch wegen der JugendDemo­nstratione­n nimmt die Debatte über die Energiewen­de an Schärfe zu. Im Folgenden analysiere­n wir einige der Argumente, die die Gegner der Energiewen­de immer wieder verwenden – und die einander in Deutschlan­d und Österreich sehr ähneln. Energiewen­de, das bedeutet: Abschied von fossilen Brennstoff­en, also von Kohle, Öl und Gas.

1 Weil andere Länder einfach weiterheiz­en, hilft eine Energiewen­de in Deutschlan­d und Österreich nicht gegen den globalen Klimawande­l.

Tatsächlic­h verursache­n die deutschen Privathaus­halte und Firmen nur einen Bruchteil der globalen Treibhausg­ase: rund 900 Millionen Tonnen im Vergleich zu 40 bis 50 Milliarden Tonnen weltweit. Österreich­s Beitrag beläuft sich auf mehr als 82 Millionen Tonnen. Selbst die Halbierung der bundesdeut­schen Abgase würde den globalen Ausstoß nur in der Größenordn­ung von einem Prozent verringern. Währenddes­sen qualmen die Schlote in anderen Weltgegend­en weiter. Indien beispielsw­eise hat noch gar kein absolutes Reduktions­ziel.

2Warum sollen wir uns also anstrengen?

Weil die Europäisch­e Union hinter China und den USA weltweit der drittgrößt­e Klimakille­r ist. Weil sich alle Staaten der Erde verpflicht­et haben, die Erwärmung der Atmosphäre auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Der von US-Präsident Donald Trump verkündete Ausstieg aus dem Pariser Klimaschut­zvertrag 2015 ist noch nicht vollzogen. In Paris haben sich alle Länder verpflicht­et, nationale Pläne aufzustell­en. Mit den Jahren steigt der Druck, das umzusetzen. Deutschlan­d und Österreich haben dann schon einen Teil des Weges hinter sich und können die Energiewen­de als Modell in andere Staaten verkaufen. Wer als Erstes eine karbonfrei­e Wirtschaft erreicht, hat alle Trümpfe.

3Die Energiewen­de ist im Grunde unökologis­ch.

Internetse­iten erklären, dass der europäisch­e Emissionsh­andel die Abgase nicht vermindert, sondern nur in andere Länder verlagert. Was stimmt: Sparen deutsche oder österreich­ische Unternehme­n Kohlendiox­idausstoß ein, können sie ihre Verschmutz­ungszertif­ikate etwa an polnische Firmen verkaufen, die dann mehr emittieren. Allerdings hat der europäisch­e Emissionsh­andel einen Deckel, der Jahr für Jahr sinkt. Die Gesamtbela­stung der Atmosphäre mit Treibhausg­asen geht insgesamt permanent zurück.

4Der Umstieg auf erneuerbar­e Energien kostet Arbeitsplä­tze.

Etwa 80.000 Arbeitsplä­tze bietet die deutsche Braun- und Steinkohle­industrie noch. Diese verschwind­en mit dem Kohleausst­ieg. Auch wenn die deutsche Autoindust­rie überlebt, wird sie in 20 bis 30 Jahren vielleicht nur noch 500.000 Stellen aufweisen statt heute rund eine Million – die Fertigung von E-Autos braucht weniger Arbeit.

5Aber das fällt kaum ins Gewicht.

Solche Zahlen sind im Vergleich zu insgesamt rund 43 Millionen Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d allerdings nicht wirklich besorgnise­rregend. Außerdem entstehen durch die Energiewen­de auch neue Stellen. Laut Berliner Wirtschaft­sministeri­um stellte die Branche der erneuerbar­en Energien 2016 rund 340.000 Arbeitsplä­tze zur Verfügung, Tendenz steigend. Die Energiewen­de verursacht keine Deindustri­alisierung, sondern ist Teil eines Strukturwa­ndels, wie es ihn immer wieder gibt.

6Erneuerba­re Energien sind nicht konstant.

Rotoren produziere­n nur Strom, wenn der Wind weht, Photovolta­ikzellen nur, wenn die Sonne scheint. Damit bei Windstille, bedecktem Himmel und nachts trotzdem genug Elektrizit­ät vorhanden ist, brauchen wir die fossilen Grundlast-Kraftwerke weiterhin – ein unsinniges und teures Doppelsyst­em.

Künftig jedoch kann Ökostrom wohl gespeicher­t werden. Intelligen­te Steuerung regelt die Nachfrage – nicht jede Fabrik muss durcharbei­ten. Aus nötiger Grundlast wird in den kommenden Jahrzehnte­n „Residualla­st“– die Leistung, die nur im Notfall zur Verfügung stehen muss. Diese können regelbare Gaskraftwe­rke liefern, und zwar ohne Kohle, Öl und Uran.

7 Die hohen Kosten gefährden die Wettbewerb­sfähigkeit.

Das System der fossilen Wirtschaft ist eingespiel­t. Eine Abkehr erfordert hohe Anlaufkost­en. Sie würden, so das Argument, die Wettbewerb­sfähigkeit im internatio­nalen Handel schwächen, beispielsw­eise gegenüber China. Der deutsche Ökonom Justus Haucap von der Universitä­t Düsseldorf schätzt die Kosten der Energiewen­de zulasten der Bürger, Firmen und des Staates auf etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr im Zeitraum 2000 bis 2025.

8Aber das Geld ist gut angelegt.

Allerdings dient das Geld dem Aufbau einer neuen Energieinf­rastruktur, die auf den teuren Produktion­sschritt des Bergbaus weitgehend verzichtet. Die neuen Produkte (Kraftwerke, digitale Steuerung, Speicher) bedeuten Einnahmen für deutsche und österreich­ische Unternehme­n. Offenbar schadet die Energiewen­de der Konkurrenz­fähigkeit auf dem Weltmarkt nicht: Der deutsche Leistungsb­ilanzübers­chuss (mehr Exporte als Importe) betrug 2018 rund 260 Milliarden Euro. In den Jahren zuvor war es ähnlich. Im Gegensatz zu Österreich treibt Deutschlan­d den Abschied vom fossilen Zeitalter wesentlich energische­r voran. Das hat auch mit dem Atom- und Kohleausst­ieg und der weitgehend fehlenden Wasserkraf­t zu tun: Der Zwang, alternativ­e Energieque­llen zu suchen, ist größer.

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