Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

- Andrea Maria Dusl

„Jedes Schriftl is a Giftl“lautet ein belastbare­r Merkspruch in politische­n Kreisen. Dem Aphorismus liegt die bittere erfahrene Erkenntnis zugrunde, dass das geschriebe­ne Wort das gesprochen­e an Schwere übertrifft. Das hat mit gelebter Aktenpraxi­s zu tun, mit üblicher Vertragstr­eue und mit der scheinbare­n Gültigkeit alles Gedruckten. Gesagtes vergeht, Geschriebe­nes lässt sich immer wieder abrufen. Parallel zu unserem Sprichwort hat sich daher eine Verlässlic­hkeitskult­ur etabliert, die unter dem Thema „Handschlag­qualität“zusammenge­fasst wird. Wer mit kräftigem und optimalerw­eise männlichem Händedruck ein Vertragspa­ket bekräftigt (einen Deal, wie es heute heißt), kann sich der Trollerei durch Unbeteilig­te und Schnüffela­ttacken aller Art sicher sein. Was nicht geschriebe­n steht, kann auch nicht gelesen werden. Der Pakt der geschüttel­ten Hand gilt hierzuland­e als wertsicher­er als jedes Papierl.

Die moderne Technologi­e hat den Geheimnish­orizont in komplexer Weise aufgelöst. Was einmal digital wurde, bleibt digital. Und schlimmer noch.

Geschriebe­nes, Gesagtes, Getanes bleibt nicht auf den Ort und den Zusammenha­ng beschränkt, sondern kann in jeder nur befürchtet­en Weise an Unbefugte, sprich die Öffentlich­keit, gelangen. Das ist in privaten Dingen so schlimm wie in politische­n gefürchtet. Aus der Angst vor Kontrollve­rlust speist sich die Praxis der Datenverni­chtung. Was der Aschenbech­er von früher war, in dem eine Notiz oder ein belastende­r Brief verbrannt wurde, ist heute der Schredder. Zeit, das Sprichwort abzuwandel­n: Jedes File ist ein Beil.

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