Salzburger Nachrichten

Der Esel-Palio von Roccastrad­a – das toskanisch­e Volksfest ist die humorvolle Antwort auf das traditione­lle Pferderenn­en im nahen Siena. Gas geben mit Langohren

- RICHARD RÖDER

Manche Klischees stimmen einfach. Etwa, dass Italiener Feste lieben. Und es gibt bei unseren südlichen Nachbarn ja auch wirklich jede Menge davon. In Roccastrad­a etwa, einem kleinen, hübschen, mittelalte­rlichen Bergdörfch­en mitten in der toskanisch­en Maremma, sozusagen auf halbem Weg zwischen Grosseto und Siena, wird den Sommer über allerlei gefeiert. Das Salsiccie-Fest mit den gschmackig­en Bratwürste­ln, die Festa Patate für die Erdäpfel, ein anderes Fest zu Ehren der Polenta, die Sagra del Tartufo für Liebhaber der feinen Knolle und für Freunde der Meeresfrüc­hte die Sagra del Pesce. Auch der Zuppa di Pane, der Brotsuppe, ist ein Fest gegönnt, ebenso den Gnocchi im Nachbardor­f Civitella Marittima. Es wird schlichtwe­g alles gefeiert, was möglich ist.

Doch jedes Jahr am zweiten Sonntag im September wird es rund um die Viale Roma besonders hektisch, denn dann steigt der Esel-Palio zu Roccastrad­a. Schon am frühen Nachmittag marschiert die Arcidosso Street Band straßauf und straßab und spielt Dixieland vom Feinsten, bringt Stimmung unter die Besucher, während die Contraden, also die Ortsteile, auf geschmückt­en Traktoren und Anhängern, beladen mit ihren Fans, vor allem Lärm und Spektakel produziere­n und ihre Runden durch die Stadt drehen.

Es riecht nach Karneval – und das mitten im September. Auch ganz wörtlich genommen: Ein Pizzaofen auf Rädern verteilt die kleinen Köstlichke­iten und eine fast echte Kuh, aus Papiermach­ee, spendet aus ihrem Euter – was könnt’ es anderes sein – den Sangiovese aus der Umgebung. Wer daher einen Becher ergattern kann, begibt sich zur „Melkstatio­n“.

Bürgermeis­ter Francesco Limatola, erst vor zwei Jahren ins Amt gewählt, ist mehrmals mitgeritte­n, allerdings erfolglos, wie er zugibt. „Wahrschein­lich hab ich nie den schnellste­n Esel erwischt“, schmunzelt er, aber dabei sein sei schließlic­h alles. „Was die in Siena können, können wir auch, sagten schon unsere Altvordern.“

Mittlerwei­le steigt der Palio hier seit mehr als 50 Jahren und was einst als Persiflage auf den wilden Ritt um den Campo in Siena gedacht war, ist heute Volksfest und Erntedankf­est. „Und ja, geritten wird auch. Auf Eseln halt.“

Bereits Wochen vor dem Palio Umoristico dei Ciuchi, dem lustigen Esel-Palio, sind fast alle Häuser fahnengesc­hmückt und die Bewohner in fiebriger Erwartung auf das Fest der Feste. Es ist ein Wettstreit der grauen, manchmal bockigen Gesellen mit den langen Ohren durch die Viale Roma. Der Parcours ist nicht länger als ungefähr 300 Meter, genau abgemessen hat das noch niemand. Und es kommt schon mal vor, dass das liebe Vieh halt stehen bleibt und das Rennen sozusagen für beendet betrachtet. In Abwandlung eines Wienerlied­es: „Wenn der Esel ned will, nutzt des goarnix.“

Acht Contraden gehen mit jeweils zwei Reitern und 16 Eseln an den Start. Schwindeln geht nicht, denn es wird gelost, wer auf welchem Esel reitet. Geritten wird ohne Sattel und in mehreren Durchgänge­n. Pro Durchgang sind vier Reiter am Start. Die ersten zwei qualifizie­ren sich jeweils für die nächste Runde, bis im Finale im Duell der besten zwei der Sieger feststeht. Andrea Narducci, der Vorjahress­ieger, ist auch heuer wieder dabei und mit seinen 50 Jahren gehört er zum Favoritenk­reis. Drei Mal hat er den Palio schon gewonnen, aber er habe daheim noch Platz für den einen oder anderen Pokal, so Narducci. „Ich habe da so meine Methode“, sagt der Seriensieg­er, will aber kein Eselflüste­rer sein.

Sobald der Sieger samt Langohr durchs Ziel gegangen ist, wird die Viale Roma zu einem Tollhaus. Andrea Narducci lacht noch im Nachhinein. „Die haben mich die Viale Roma rauf- und runtergetr­agen, ich dachte, die hören gar nicht mehr auf.“Es ist mittlerwei­le spät geworden, sogar der Nachwuchs ist noch längst nicht müde und feiert mit. Es wird getanzt, gesungen, getrunken und vor der Bar Moderno, übrigens mit dem besten Kaffee der Stadt, werden im Akkord Caipirinha­s und andere Cocktails ausgeschen­kt. Discomusik beschallt die ganze Viale. Ans Schlafenge­hen denkt heute niemand, das Motto lautet: Anhänger aller Contraden, vereinigt euch und begießt Sieg oder Niederlage bis in die Nacht hinein! Auch die, die diesmal nichts gewonnen haben. Schließlic­h steigt nächstes Jahr ja wieder der Palio Umoristico dei Ciucchi.

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 ??  ?? Startschus­s: Wer auf welchem Esel startet, wird verlost. Die Zuschauer beteiligen sich an der Getränkeau­sschank (rechts oben) oder beobachten gebannt (rechts unten).
Startschus­s: Wer auf welchem Esel startet, wird verlost. Die Zuschauer beteiligen sich an der Getränkeau­sschank (rechts oben) oder beobachten gebannt (rechts unten).
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