Ferenc Molnár LILIOM
Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó inszeniert auf der Perner-Insel in Hallein Ferenc Molnárs Liliom. Im Interview erläutert er seinen Blick auf das Melodram.
Ferenc Molnárs Liliom wurde 1909 in Budapest uraufgeführt und fiel beim Publikum und bei der Kritik durch. 1912 war das Stück erstmals in Deutschland zu sehen, aber erst in Wien kam es 1913 in der deutschen Übersetzung von Alfred Polgar zum großen Erfolg. Seitdem ist Liliom auf den europäischen Theaterbühnen vertreten. Wieso ist dieses Stück seit über einem Jahrhundert so populär?
Zunächst denke ich, dass es ein sehr berührendes Stück ist. In ihm vereint sich auf einzigartige Weise die unverfälschte Darstellung sozialer Härte mit dem reinsten und schönsten Melodram. Das erreicht ein breites Publikum, weil es einerseits befriedigend ist, wenn man die intellektuelle und sprachliche Qualität des Stücks begreifen will, man sich aber andererseits dem emotionalen Gehalt der Protagonisten und ihrer Verstrickungen nicht entziehen kann. Es regt das Hirn zum Denken an und bringt das Herz zum Weinen. Die Empathie, mit der Molnár allen seinen Figuren begegnet, ist unglaublich. Er schreibt nicht als Intellektueller, sondern als Beobachter des Milieus, dem er bei seiner journalistischen Tätigkeit begegnet.
In welcher Epoche ist Ihr Liliom heimisch?
Es ist schwer, sich Liliom radikal modernisiert vorzustellen, denn das Stück wurde in einer Zeit geschrieben, die sich sehr von heute unterscheidet. Es käme mir lächerlich vor, dieses Stück in Jeans spielen zu lassen. Das wäre unglaubwürdig und verdürbe seinen Charakter. Es war eine harte Entscheidung, aber wir behalten die historische Zeit bei, und die Szenen spielen definitiv vor über hundert Jahren.
Allein die Szenen des Jüngsten Gerichts treten heraus und sind in einem abstrakten Heute angesiedelt, in dem sich der historische Liliom durchzuschlagen versucht. Im Stück findet sich Liliom nach seinem Selbstmord in einer Art Purgatorium wieder, in dem er auf das himmlische Urteil wartet. Mit diesem Zwischenbereich beginnt unsere Inszenierung. Von hier aus blickt Liliom zurück auf Episoden und Wendepunkte seines Lebens. Es ist also der Blick des Erinnerns, wobei mich auch die selektierende Funktion des Gedächtnisses interessiert. Eine wichtige Rolle spielt hierbei auch der urteilende Blick der Heutigen auf die Vergangenheit. Natürlich verurteilen wir, wie Liliom sich Julie gegenüber verhält. Er ist egoistisch und brutal. Aber dass sich sein Leben in einer anderen Zeit abgespielt hat, kann man nicht außer Acht lassen.
Auf der Bühne befinden sich zwei riesige Sechsachsroboter, die das Setting der Szenen arrangieren, in die Liliom aus dem Himmel zurückblickt. Wofür stehen sie?
Ich habe mich mit dem Wesen der Erinnerung beschäftigt und mich gefragt, wie man diesen Vorgang auf der Bühne darstellen kann. Das Bild einer Erinnerung ist oft bruchstückhaft zusammengesetzt, unvollständig und in seiner Auswahl manipuliert. Diese beiden Roboterarme zeigen, wie eine Erinnerung Stück für Stück rekonstruiert wird und dennoch bruchstückhaft bleibt.
Die Liebe zwischen Liliom und Julie ist außergewöhnlich und problematisch zugleich. Wie ist Ihre Perspektive auf diese Beziehung?
Es ist eine überwältigende und unerwartete Liebe. Sie ist verboten und kommt für beide überraschend. Sie erkennen sich als Gleichgesinnte und sind in ihrer Verbindung dennoch explosiv. Wichtig war mir, den naiven Teil von Julie abzuschwächen. Ich wollte sie als starke Frau zeigen, die eine mutige Lebensentscheidung trifft, nicht als blauäugiges Mädchen, das in etwas hineingerät. Sie lernen gegenseitig voneinander.
Klar, die leidenschaftliche Liebe macht das Leben schwieriger, aber wer kann schon über die Liebe entscheiden? Das ist eine wirklich schöne Botschaft, vor allem, da wir dazu neigen, selbst in der Familie mehr Geschäftsbeziehungen zu führen als auf unser Herz zu hören. Es ist nicht in Mode, dem Herzen zu folgen.
Das Gespräch führten Bettina Hering und die Dramaturgin Christina Bellingen.
Ferenc Molnár Liliom Vorstadtlegende in sieben Bildern
Kornél Mundruczó Regie Monika Pormale Bühne Sophie Klenk-Wulff Kostüme Felice Ross Licht Martin Prinoth Live-Kamera Yohan Stegli Choreografie Xenia Wiener Musik
Jörg Pohl Liliom Maja Schöne Julie Oda Thormeyer Frau Muskat Yohanna Schwertfeger Marie Julian Greis Wolf Beifeld Tilo Werner Ficsur Sandra Flubacher Frau Hollunder Mila Zoé Meier, Paula Karolina Stolze Luise
Koproduktion mit dem Thalia Theater, Hamburg
Neuinszenierung Perner-Insel, Hallein • 17., 19., 21., 23., 24., 26., 27., 28. August