Wie war es in Syrien vor dem Bürgerkrieg?
Rafik Schami führt in seinem an detaillierten Schilderungen reichen neuen Roman in das Syrien vor dem Kriegsausbruch.
Ein ermordeter Kardinal wird in der italienischen Botschaft von Damaskus abgegeben. In einem Fass, eingelegt in Olivenöl. Stecken Islamisten dahinter? Oder konkurrierende Geistliche? Was hatte der Kirchenmann in Syrien zu suchen?
Rafik Schami nimmt die Leser seines neuen Romans „Die geheime Mission des Kardinals“mit in das Syrien am Vorabend des 2011 beginnenden Bürgerkriegs. Kommissar Barudi muss sich bei seinem letzten Fall vor der Pensionierung mit Verstrickungen von Geistlichen, Politikern und dem allgegenwärtige Geheimdienst herumschlagen. Eigentlich sollte er die Finger davon lassen. Denn, das macht Rafik Schami deutlich, im Syrien vor dem Bürgerkrieg war Polizeiarbeit eine heikle Gratwanderung, bei der eine dem Assad-Regime nahestehende Clique von Freunden und Verwandten sich vor jeglicher Strafverfolgung sicher wähnen durfte und zudem fünfzehn Geheimdienste ungeniert ihre eigene Sache machten.
Um in dieser brenzligen Angelegenheit keine syrisch-italienischen Verstimmungen zu entfachen, wird dem Ermittler mit Kommissar Mancini ein Kollege aus Rom zur Seite gestellt. Die beiden Singles verstehen sich auf Anhieb blendend. Beim Verzehr unzähliger Falafeln fällt ihnen auf, wie ähnlich ihre Länder in Bezug auf korrupte Politiker oder mafiose Strukturen sind.
In amüsanten Dialogen beschreibt Rafik Schami die Ausprägungen von Glauben und Aberglauben in Italien wie Syrien – eine Kirche, die die Vorhaut Jesu Christi als Reliquie verehrt, oder syrische Wunderheiler, die mit Taschenspielertricks Heiligenbilder weinen lassen. Der Kardinal, mit dessen Ermordung das Buch beginnt, war vom Vatikan nach Syrien entsandt worden, um die Heiligsprechung einiger Heiler zu prüfen.
„Die geheime Mission des Kardinals“zeichnet ein detailliertes Bild der syrischen Gesellschaft im Jahr 2010. Neben allerlei kulinarischen Beschreibungen – „Nachtigallennester“, Falafel, Kaffee mit Kardamon, Tabbuleh – werden auch Moralvorstellungen sowie politische und religiöse Konflikte behandelt. Der Roman führt auch in jene undurchsichtigen religiösen Konflikte, die es abseits der reinen „Islam versus Ungläubige“-Erzählung in allen Schattierungen gibt. Und immer wieder schimpft Kommissar Barudi auf den Diktator und dessen System von Spitzeln, Überwachung und Einschüchterung. Der Name Assad fällt aber kein einziges Mal.
Zur Klärung des Falles müssen die beiden Polizisten auf Hilfe von islamistischen Rebellen zurückgreifen, die die Gegend kontrollieren, wo der Kardinal zuletzt gesehen worden ist. Dabei kommt ihnen zugute, dass einer der IS-Kämpfer ein alter Bekannter ist. Da Kommissar Barudi seinem Vorgesetzten misstraut, werden die Ergebnisse der Ermittlungen als Kopie bei der italienischen Botschaft deponiert.
Das Buch weist nahezu alle Merkmale eines Krimis auf. Rafik Schami versteht es aber als „einen kriminalistisch grundierten Gesellschaftsroman“. Neben der Handlung finden die für ihn typischen abschweifenden Geschichten und Lebensweisheiten ihren Platz – samt Barudis Tagebucheintragungen.
Der aus Syrien stammende und seit 1971 in Deutschland lebende Autor erzählt in seinen Büchern immer wieder Geschichten seiner Heimat. Auch bei angekündigten „Lesungen“gelingt es Rafik Schami, seine Zuhörer nicht mit Vorlesen, sondern mit frei vorgetragener Erzählkunst zu fesseln, zu amüsieren und zum Nachdenken zu bringen. Damit gleicht er dem Friseur Burhan aus dem neuen Roman. Der gilt als schlechtester Coiffeur von Damaskus. Trotzdem ist sein Salon immer voll. Denn er erzählt, während er mit Schere und Messer die Kunden malträtiert, die schönsten und spannendsten Geschichten. So verlassen die Menschen seinen Laden zwar mit unmöglichen Frisuren, aber seligem Lächeln. Buch: