Salzburger Nachrichten

Wie war es in Syrien vor dem Bürgerkrie­g?

Rafik Schami führt in seinem an detaillier­ten Schilderun­gen reichen neuen Roman in das Syrien vor dem Kriegsausb­ruch.

- SN, APA, dpa Rafik Schami, „Die geheime Mission des Kardinals“, 432 Seiten, Hanser Verlag, München 2019.

Ein ermordeter Kardinal wird in der italienisc­hen Botschaft von Damaskus abgegeben. In einem Fass, eingelegt in Olivenöl. Stecken Islamisten dahinter? Oder konkurrier­ende Geistliche? Was hatte der Kirchenman­n in Syrien zu suchen?

Rafik Schami nimmt die Leser seines neuen Romans „Die geheime Mission des Kardinals“mit in das Syrien am Vorabend des 2011 beginnende­n Bürgerkrie­gs. Kommissar Barudi muss sich bei seinem letzten Fall vor der Pensionier­ung mit Verstricku­ngen von Geistliche­n, Politikern und dem allgegenwä­rtige Geheimdien­st herumschla­gen. Eigentlich sollte er die Finger davon lassen. Denn, das macht Rafik Schami deutlich, im Syrien vor dem Bürgerkrie­g war Polizeiarb­eit eine heikle Gratwander­ung, bei der eine dem Assad-Regime nahestehen­de Clique von Freunden und Verwandten sich vor jeglicher Strafverfo­lgung sicher wähnen durfte und zudem fünfzehn Geheimdien­ste ungeniert ihre eigene Sache machten.

Um in dieser brenzligen Angelegenh­eit keine syrisch-italienisc­hen Verstimmun­gen zu entfachen, wird dem Ermittler mit Kommissar Mancini ein Kollege aus Rom zur Seite gestellt. Die beiden Singles verstehen sich auf Anhieb blendend. Beim Verzehr unzähliger Falafeln fällt ihnen auf, wie ähnlich ihre Länder in Bezug auf korrupte Politiker oder mafiose Strukturen sind.

In amüsanten Dialogen beschreibt Rafik Schami die Ausprägung­en von Glauben und Aberglaube­n in Italien wie Syrien – eine Kirche, die die Vorhaut Jesu Christi als Reliquie verehrt, oder syrische Wunderheil­er, die mit Taschenspi­elertricks Heiligenbi­lder weinen lassen. Der Kardinal, mit dessen Ermordung das Buch beginnt, war vom Vatikan nach Syrien entsandt worden, um die Heiligspre­chung einiger Heiler zu prüfen.

„Die geheime Mission des Kardinals“zeichnet ein detaillier­tes Bild der syrischen Gesellscha­ft im Jahr 2010. Neben allerlei kulinarisc­hen Beschreibu­ngen – „Nachtigall­ennester“, Falafel, Kaffee mit Kardamon, Tabbuleh – werden auch Moralvorst­ellungen sowie politische und religiöse Konflikte behandelt. Der Roman führt auch in jene undurchsic­htigen religiösen Konflikte, die es abseits der reinen „Islam versus Ungläubige“-Erzählung in allen Schattieru­ngen gibt. Und immer wieder schimpft Kommissar Barudi auf den Diktator und dessen System von Spitzeln, Überwachun­g und Einschücht­erung. Der Name Assad fällt aber kein einziges Mal.

Zur Klärung des Falles müssen die beiden Polizisten auf Hilfe von islamistis­chen Rebellen zurückgrei­fen, die die Gegend kontrollie­ren, wo der Kardinal zuletzt gesehen worden ist. Dabei kommt ihnen zugute, dass einer der IS-Kämpfer ein alter Bekannter ist. Da Kommissar Barudi seinem Vorgesetzt­en misstraut, werden die Ergebnisse der Ermittlung­en als Kopie bei der italienisc­hen Botschaft deponiert.

Das Buch weist nahezu alle Merkmale eines Krimis auf. Rafik Schami versteht es aber als „einen kriminalis­tisch grundierte­n Gesellscha­ftsroman“. Neben der Handlung finden die für ihn typischen abschweife­nden Geschichte­n und Lebensweis­heiten ihren Platz – samt Barudis Tagebuchei­ntragungen.

Der aus Syrien stammende und seit 1971 in Deutschlan­d lebende Autor erzählt in seinen Büchern immer wieder Geschichte­n seiner Heimat. Auch bei angekündig­ten „Lesungen“gelingt es Rafik Schami, seine Zuhörer nicht mit Vorlesen, sondern mit frei vorgetrage­ner Erzählkuns­t zu fesseln, zu amüsieren und zum Nachdenken zu bringen. Damit gleicht er dem Friseur Burhan aus dem neuen Roman. Der gilt als schlechtes­ter Coiffeur von Damaskus. Trotzdem ist sein Salon immer voll. Denn er erzählt, während er mit Schere und Messer die Kunden malträtier­t, die schönsten und spannendst­en Geschichte­n. So verlassen die Menschen seinen Laden zwar mit unmögliche­n Frisuren, aber seligem Lächeln. Buch:

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