Salzburger Nachrichten

Der Kampf für das Bargeld wird ohne Gegner geführt

Die Liebe zu Münzen und Scheinen findet eine Zweidritte­lmehrheit der Wähler. Soll das Bargeld deshalb in die Verfassung?

- Iris Burtscher IRIS.BURTSCHER@SN.AT

Die Mutter drückt dem dreijährig­en Sohn einen Geldschein in die Hand. Dieser schaut fragend, geht zum Papierkorb und wirft ihn hinein. Mülltrennu­ng eben. Diese Anekdote spielt in Schweden: In dem Land, das nicht viel mehr Einwohner als Österreich hat, bleibt dem Bargeld nur noch eine geringe Bedeutung. Selbst Kleinstbet­räge – für Kaffee oder Kaugummi – werden dort mit Karte oder per Smartphone bezahlt. Kinder wachsen ohne Bezug zu Münzen und Scheinen auf. Ist das auch ein Blick in die nahe österreich­ische Zukunft? Wohl kaum.

Bargeld dominiert nach wie vor mehr als deutlich das Zahlungsve­rhalten der Österreich­er. Rund 80 Prozent der Rechnungen im Handel werden mit Münzen und Scheinen beglichen. Und daran hat sich auch durch die Digitalisi­erung nichts geändert. Alle Prognosen, dass durch mehr bargeldlos­e Bezahlmögl­ichkeiten – von der kontaktlos­en Kartenzahl­ung bis zur Handy-App – die Bargeldnut­zung rapide abfallen wird, haben sich nicht bewahrheit­et. Im Gegenteil, wie Zahlen der Nationalba­nk zeigen: Die Bargeldnut­zung ist hierzuland­e – der Digitalisi­erung zum Trotz – in der letzten Dekade sogar gestiegen. Heute ist mehr Bargeld im Umlauf als je zuvor. Dass sich daran in Zeiten der Null- und drohenden Strafzinse­n etwas ändert, ist unwahrsche­inlich. Eine aktuelle Studie der Bank ING reiht Österreich sogar auf Platz eins der Bargeldlie­bhaber. In keinem anderen europäisch­en Land wird ein Leben ohne Bargeld so deutlich abgelehnt. Nur jeder zehnte Österreich­er könnte einer bargeldlos­en Zukunft etwas abgewinnen.

ÖVP und FPÖ wollen nun das Grundrecht auf Bargeld in den Verfassung­srang heben. Beide Parteien warnen vor der Datensamme­lwut der Unternehme­n und dem gläsernen Bürger. Die Idee ist nicht neu: 2016 gab es zuletzt einen Vorstoß der beiden Parteien – sie scheiterte­n am Veto der SPÖ. Dass sich Parteien in Wahlkampfz­eiten auf dieses Thema stürzen, ist durchschau­bar: Schließlic­h wissen sie damit mehr als eine Zweidritte­lmehrheit der Wähler hinter sich. Sinnvoll ist der Vorstoß damit längst nicht. In den Verfassung­srang gehoben wurden in den vergangene­n Jahrzehnte­n schon zahlreiche Punkte – von der Wiener Taxiverord­nung bis zu den Fiakern. Ein weiteres Aufblasen halten namhafte Verfassung­sexperten für wenig sinnvoll. Eine EU-rechtskonf­orme Lösung zu finden, die nicht gegen das Währungsmo­nopol der EZB verstößt, scheint zudem schwer möglich. ÖVP und FPÖ kämpfen jedenfalls gegen einen Gegner, der nicht existiert. Da ist gewinnen nicht schwer.

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