„Wir brauchen Eliten“
Die Spitzenkandidaten zur Nationalratswahl kennt jeder. Aber wer sind eigentlich die Kandidaten dahinter? Die SN stellen einige davon vor. Heute: Helmut Brandstätter, Neos.
SN: Sie waren bisher Herausgeber einer unabhängigen Tageszeitung. Was führt Sie zu den Neos?
Helmut Brandstätter: Ich bin gefragt worden.
SN: Das war aber sicher nicht alles.
Es handelte sich um einen längeren Prozess. Ich habe in meinem Leben unterschiedliche berufliche Entscheidungen treffen müssen. Keine ist mir so schwer gefallen wie diese. Das Schreiben meines Buchs „Kurz & Kickl“hat mich stark verändert. Bei vielen der Vorfälle, die ich in meinem Buch beschreibe, habe ich mir die Frage gestellt: Wer hat sich damals dagegen gewehrt? – Das waren immer die Neos! Vor allem in puncto Rechtsstaatlichkeit. Und als ich mich fragte: Wer hat Programme für die Zukunft?, lautete ebenfalls die Antwort: die Neos. Als sich nun die Möglichkeit eröffnete, für diese Partei in die Politik zu wechseln, habe ich nach reiflicher Überlegung Ja gesagt. Weil ich in dieser neuen Funktion vielleicht mehr bewirken kann als als Publizist.
SN: In Ihrem Buch rechnen Sie kritisch mit Sebastian Kurz ab. Die Neos gelten aber als potenzieller Koalitionspartner der ÖVP. Ist eine solche Koalition für Sie vorstellbar?
Durchaus. Die klare Ansage der Neos lautet: Mit allen außer der FPÖ. Das kann ich so unterschreiben. Mein Buch richtet sich im Übrigen nicht gegen Kurz. Und auch nicht gegen Kickl. Es soll vielmehr aufzeigen, was sich in diesem Land verändert hat. Beziehungsweise was bewusst verändert wurde, und zwar von der FPÖ und von Kickl. Weggesehen beziehungsweise zugesehen hat Sebastian Kurz. Das ist mein Vorwurf an ihn.
SN: Welche konkreten Vorwürfe haben Sie?
Kurz hat als Bundeskanzler nichts gegen die Zerstörung des BVT durch Kickl unternommen. Derlei wäre beispielsweise in Deutschland undenkbar. Oder denken Sie an die zahlreichen Verbalausritte der FPÖ, die das Ziel hatten, Menschen auszugrenzen, jeden, der ein bisschen anders aussieht, als Verbrecher darzustellen und jegliche Diskussion zu zerstören. Da hätte ich von einer ehemals christlich-sozialen Partei erwartet, dass jemand dagegen aufsteht und „Stopp!“ruft.
SN: Die Freiheitlichen sind für Sie also ein No-Go, die ÖVP hingegen ist ein möglicher Partner?
Ja. Im Prinzip sollten in einer Demokratie alle Parteien so miteinander reden, dass sie nötigenfalls auch mitsammen regieren können. Der letztlich gescheiterte Ansatz des Herrn Kurz, fünf Jahre jeglichen Streit mit dem Koalitionspartner zu vermeiden, war absurd. Es geht darum, für eine bestimmte Zeit Gemeinsamkeiten zu bestimmten Themen zu finden.
SN: Wer in die Politik geht, will wohl etwas verändern. Was wollen Sie verändern?
Ich würde bei den Schulen beginnen. Ich möchte, dass alle Kinder, die über ein Jahr alt sind, die Möglichkeit einer Betreuung haben, sodass die Eltern beruflich weiterkommen können. Ich möchte, dass die Schulen so aufgesetzt sind, dass sich alle um die Kinder und deren Wohl kümmern und nicht um die Bürokratie. Ich möchte, dass die Schwachen so gefördert werden, dass sie mitkommen. Und ich möchte, dass die Besten elitär gefördert werden. Denn wir brauchen Eliten. Ich möchte, dass wir Spitzenuniversitäten haben, die auch Spitzenkräfte aus dem Ausland anziehen. Wenn wir all das in fünf Jahren zustande brächten, würde unser Land perspektivisch für die kommenden Jahrzehnte viel besser aussehen. Leider ist in den vergangenen 17 Monaten in diesem Bereich genau gar nichts passiert.
SN: Ihr zentrales Politikfeld wird also die Bildungspolitik?
Meine Generation hatte das Glück, eine gute Schulausbildung, eine kostenfreie Universitätsausbildung und einen halbwegs gesicherten Arbeitsmarkt vorzufinden. Wir konnten im Ausland studieren und Erfahrungen sammeln und wussten: Wir kriegen hinterher mit relativer Sicherheit einen adäquaten Job. Ich würde mir wünschen, dass die kommenden Generationen die gleichen Chancen vorfinden.
SN: Kritiker werfen den Neos vor, dass sie eine neoliberale Agenda haben. Was sagen Sie dazu?
Ich habe den Begriff „neoliberal“nie wirklich verstanden. Ich sehe mich in der Tradition der katholischen Soziallehre.
SN: Ist das kein Widerspruch zur Programmatik der Neos?
Die Trennung von Kirche und Staat steht für mich außer Zweifel. Für mich ist der Leistungsbegriff wichtig – und der Begriff der Solidarität.
SN: Die Neos werden wohl auch nach der nächsten Wahl einstellig bleiben. Kann eine solche Partei tatsächlich etwas durchsetzen?
Die FDP hat jahrelang in Deutschland mit knapp über fünf Prozent sehr viel bewegt. In einer Koalition kann jede Partei etwas bewegen. Man sollte sich nur von der Idee verabschieden, dass man seine Forderungen zu hundert Prozent durchsetzen kann.
SN: Ziel ist also: Regierungsbeteiligung?
Ziel ist es, so stark wie möglich zu werden und dann Dinge durchzusetzen.
SN: Wie erleben Sie persönlich den Wechsel vom Journalismus in die Politik?
Ich habe als Zeitungsherausgeber relativ wenig Tagesdruck gehabt, viel gelesen und konnte überlegt schreiben. Das Problem aller Politiker ist, dass sie sehr viel reden müssen, zu wenig zuhören, zu wenig nachdenken. Weil sie unter dem permanenten Erfüllungsdruck stehen, schon wieder irgendetwas sagen zu müssen. Das Sich-Herausnehmen, das Zurücknehmen, das Nachdenken, zu sagen: „Darauf habe ich keine Antwort“, das ist etwas, das ich mir bewahren möchte.