Salzburger Nachrichten

„Wir brauchen Eliten“

Die Spitzenkan­didaten zur Nationalra­tswahl kennt jeder. Aber wer sind eigentlich die Kandidaten dahinter? Die SN stellen einige davon vor. Heute: Helmut Brandstätt­er, Neos.

- ANDREAS KOLLER

SN: Sie waren bisher Herausgebe­r einer unabhängig­en Tageszeitu­ng. Was führt Sie zu den Neos?

Helmut Brandstätt­er: Ich bin gefragt worden.

SN: Das war aber sicher nicht alles.

Es handelte sich um einen längeren Prozess. Ich habe in meinem Leben unterschie­dliche berufliche Entscheidu­ngen treffen müssen. Keine ist mir so schwer gefallen wie diese. Das Schreiben meines Buchs „Kurz & Kickl“hat mich stark verändert. Bei vielen der Vorfälle, die ich in meinem Buch beschreibe, habe ich mir die Frage gestellt: Wer hat sich damals dagegen gewehrt? – Das waren immer die Neos! Vor allem in puncto Rechtsstaa­tlichkeit. Und als ich mich fragte: Wer hat Programme für die Zukunft?, lautete ebenfalls die Antwort: die Neos. Als sich nun die Möglichkei­t eröffnete, für diese Partei in die Politik zu wechseln, habe ich nach reiflicher Überlegung Ja gesagt. Weil ich in dieser neuen Funktion vielleicht mehr bewirken kann als als Publizist.

SN: In Ihrem Buch rechnen Sie kritisch mit Sebastian Kurz ab. Die Neos gelten aber als potenziell­er Koalitions­partner der ÖVP. Ist eine solche Koalition für Sie vorstellba­r?

Durchaus. Die klare Ansage der Neos lautet: Mit allen außer der FPÖ. Das kann ich so unterschre­iben. Mein Buch richtet sich im Übrigen nicht gegen Kurz. Und auch nicht gegen Kickl. Es soll vielmehr aufzeigen, was sich in diesem Land verändert hat. Beziehungs­weise was bewusst verändert wurde, und zwar von der FPÖ und von Kickl. Weggesehen beziehungs­weise zugesehen hat Sebastian Kurz. Das ist mein Vorwurf an ihn.

SN: Welche konkreten Vorwürfe haben Sie?

Kurz hat als Bundeskanz­ler nichts gegen die Zerstörung des BVT durch Kickl unternomme­n. Derlei wäre beispielsw­eise in Deutschlan­d undenkbar. Oder denken Sie an die zahlreiche­n Verbalausr­itte der FPÖ, die das Ziel hatten, Menschen auszugrenz­en, jeden, der ein bisschen anders aussieht, als Verbrecher darzustell­en und jegliche Diskussion zu zerstören. Da hätte ich von einer ehemals christlich-sozialen Partei erwartet, dass jemand dagegen aufsteht und „Stopp!“ruft.

SN: Die Freiheitli­chen sind für Sie also ein No-Go, die ÖVP hingegen ist ein möglicher Partner?

Ja. Im Prinzip sollten in einer Demokratie alle Parteien so miteinande­r reden, dass sie nötigenfal­ls auch mitsammen regieren können. Der letztlich gescheiter­te Ansatz des Herrn Kurz, fünf Jahre jeglichen Streit mit dem Koalitions­partner zu vermeiden, war absurd. Es geht darum, für eine bestimmte Zeit Gemeinsamk­eiten zu bestimmten Themen zu finden.

SN: Wer in die Politik geht, will wohl etwas verändern. Was wollen Sie verändern?

Ich würde bei den Schulen beginnen. Ich möchte, dass alle Kinder, die über ein Jahr alt sind, die Möglichkei­t einer Betreuung haben, sodass die Eltern beruflich weiterkomm­en können. Ich möchte, dass die Schulen so aufgesetzt sind, dass sich alle um die Kinder und deren Wohl kümmern und nicht um die Bürokratie. Ich möchte, dass die Schwachen so gefördert werden, dass sie mitkommen. Und ich möchte, dass die Besten elitär gefördert werden. Denn wir brauchen Eliten. Ich möchte, dass wir Spitzenuni­versitäten haben, die auch Spitzenkrä­fte aus dem Ausland anziehen. Wenn wir all das in fünf Jahren zustande brächten, würde unser Land perspektiv­isch für die kommenden Jahrzehnte viel besser aussehen. Leider ist in den vergangene­n 17 Monaten in diesem Bereich genau gar nichts passiert.

SN: Ihr zentrales Politikfel­d wird also die Bildungspo­litik?

Meine Generation hatte das Glück, eine gute Schulausbi­ldung, eine kostenfrei­e Universitä­tsausbildu­ng und einen halbwegs gesicherte­n Arbeitsmar­kt vorzufinde­n. Wir konnten im Ausland studieren und Erfahrunge­n sammeln und wussten: Wir kriegen hinterher mit relativer Sicherheit einen adäquaten Job. Ich würde mir wünschen, dass die kommenden Generation­en die gleichen Chancen vorfinden.

SN: Kritiker werfen den Neos vor, dass sie eine neoliberal­e Agenda haben. Was sagen Sie dazu?

Ich habe den Begriff „neoliberal“nie wirklich verstanden. Ich sehe mich in der Tradition der katholisch­en Soziallehr­e.

SN: Ist das kein Widerspruc­h zur Programmat­ik der Neos?

Die Trennung von Kirche und Staat steht für mich außer Zweifel. Für mich ist der Leistungsb­egriff wichtig – und der Begriff der Solidaritä­t.

SN: Die Neos werden wohl auch nach der nächsten Wahl einstellig bleiben. Kann eine solche Partei tatsächlic­h etwas durchsetze­n?

Die FDP hat jahrelang in Deutschlan­d mit knapp über fünf Prozent sehr viel bewegt. In einer Koalition kann jede Partei etwas bewegen. Man sollte sich nur von der Idee verabschie­den, dass man seine Forderunge­n zu hundert Prozent durchsetze­n kann.

SN: Ziel ist also: Regierungs­beteiligun­g?

Ziel ist es, so stark wie möglich zu werden und dann Dinge durchzuset­zen.

SN: Wie erleben Sie persönlich den Wechsel vom Journalism­us in die Politik?

Ich habe als Zeitungshe­rausgeber relativ wenig Tagesdruck gehabt, viel gelesen und konnte überlegt schreiben. Das Problem aller Politiker ist, dass sie sehr viel reden müssen, zu wenig zuhören, zu wenig nachdenken. Weil sie unter dem permanente­n Erfüllungs­druck stehen, schon wieder irgendetwa­s sagen zu müssen. Das Sich-Herausnehm­en, das Zurücknehm­en, das Nachdenken, zu sagen: „Darauf habe ich keine Antwort“, das ist etwas, das ich mir bewahren möchte.

 ?? BILD: SN/BARBARA GINDL / APA / PICTUREDES­K.COM ?? Jemand muss aufstehen und „Stopp!“rufen: Helmut Brandstätt­er wechselt vom Journalism­us in die Politik.
BILD: SN/BARBARA GINDL / APA / PICTUREDES­K.COM Jemand muss aufstehen und „Stopp!“rufen: Helmut Brandstätt­er wechselt vom Journalism­us in die Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Austria