Indiens religiöse Stiftungen wollen in Kaschmir kaufen
Eine Hindu-Pilgerroute in die muslimische Gebirgsregion könnte den Auftakt liefern.
In Indiens sozialen Medien startete der Hype, kaum dass die hindu-nationalistische Regierung unter Premierminister Narendra Modi den speziellen Status von Kaschmir aufgehoben hatte. „Der Zeitpunkt ist gekommen. Registrieren Sie sich für ein Grundstück in Kaschmir“, lautete die eilige Nachricht einer Maklerfirma, deren Authentizität auf Nachfrage prompt bestritten wurde.
Tatsächlich mögen die Hoffnungen von Landspekulanten auf einen Goldrausch im malerischen Kaschmir-Tal etwas verfrüht sein. Seit Anfang der 1990er-Jahre fielen dort rund 47.000 Menschen dem Konflikt zum Opfer. Aber mit der Abschaffung von Kaschmirs 50 Jahre altem speziellen Status als halb autonomem Gebiet macht der indische Premierminister Narendra Modi nicht nur ein Wahlversprechen wahr. Religiöse hinduistische Stiftungen, die seit Jahrzehnten mit Spendengeld von Gläubigen in Indien große Ländereien erstanden, hoffen nun auf ihre Chance. Besonders betroffen sein dürfte die Pilgerroute zur Amarnath-Höhle in einer Höhe von etwa 3800 Metern in Kaschmirs Bergen. Von Mai bis August steht dort eine große Säule aus Eis, ein Lingam, der von gläubigen Hindus als Symbol ihres höchsten Gottes Schiwa betrachtet wird.
Die je nach Schwierigkeitsgrad 36 Kilometer bzw 15 Kilometer lange Strecke führt durch Geröll und Schneefelder. Hindu-Gläubige hoffen, dass sie dort bald ihre rosafarbenen Tempel und Unterkünfte auf Grundstücken bauen können, deren Kauf ihnen bislang verwehrt war. Die Zeit drängt. Die Eissäule fällt von Jahr zu Jahr kleiner aus, doch die hindu-nationalistische Polarisierung im multikulturellen Indien nimmt erschreckende Ausmaße an. Schon 1663 wurde die Säule erstmals von dem französischen Reiseschriftsteller François Bernier erwähnt. Eine muslimische Familie soll das Heiligtum später neu entdeckt und gemeinsam mit zwei Hindu-Organisationen verwaltet haben. Im Jahr 2000 wurde sie rausgeworfen. Ein Hindu-Aufsichtsgremium übernahm die Kontrolle.
Seither wurde die traditionelle Pilgerzeit von 15 Tagen auf 45 Tage ausgedehnt. Statt ein paar Hundert Pilgern strömt nun eine sprichwörtliche Menschenwalze zu der Höhle. Statt der von Experten empfohlenen 1000 bis 1500 Besucher kommen nun 18.000 Menschen pro Tag zum Eis-Lingam. Rund 40.000 Soldaten und Polizisten sind zu ihrem Schutz abgestellt. „Die AmarnathWallfahrt ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie Regierungen versuchen, mit Pilgern die politischen Verhältnisse zu manipulieren“, schrieben die Autoren einer in Kaschmir veröffentlichten Studie.
Kaschmir sei die Wiege des Hinduismus, so wird oft zur Rechtfertigung der Pilgerströme behauptet. Doch damals handelte es sich überwiegend um Fleisch essende Brahmanen, unter Angehörigen der obersten Hindu-Kasten heutzutage ein Unding. Im 14. Jahrhundert schon kamen muslimische Siedler und heute ist Kaschmir die einzige Region des 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Indien, in dem Muslime die Mehrheit stellen.
Das dürfte sich mit der Abschaffung des speziellen Status ändern. „Die Pilgermassen symbolisieren unsere Zukunft“, sagt Feroz Ahmad (56), ein Angestellter in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar. „Indien will uns in eine Minderheit verwandeln. So wie China es mit den Tibetern versucht.“