Salzburger Nachrichten

Es wird nun Zeit ohne Dusapin

Über die Reihe „Zeit mit Dusapin“ist nach zwei letzten Konzerten ein Resümee zu ziehen.

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Am Dienstag ging die „Zeit mit Dusapin“der Salzburger Festspiele zu Ende. Zwar nicht ganz um Mitternach­t, wie es im ersten der 23, um vier Klavierint­erludien erweiterte­n Lieder des 70-minütigen Zyklus „O Mensch!“besungen wird, aber nicht wenig anstrengen­d dank eines Doppelkonz­ertabends im Mozarteum. Man darf ein Publikum auch überforder­n. Doch die Hörerkulis­se blieb diesmal, sagen wir es vornehm: überschaub­ar.

Die Komponiste­nporträts sind eine gute Einrichtun­g, vertiefen sie doch den Blick auf ein zentrales Werk (wie heuer bei George Enescu auf dessen Oper „Oedipe“) oder geben Gelegenhei­t, das Schaffen eines Zeitgenoss­en ins Ohr zu nehmen. Im Fall des 1955 in Nancy geborenen Franzosen Pascal Dusapin, der in sechs Konzerten porträtier­t bzw. dessen Werk in Kontext zu anderen Musiken gestellt wurde, mochte dies ergiebig sein, da der Komponist nicht dogmatisch einer „Schule“zuzuzählen, sondern ein Einzelgäng­er ist, der sich aus der Musik- und Stilgeschi­chte das seinem Sinn nach jeweils Passende nimmt.

So liebt Dusapin die Auseinande­rsetzung mit Literatur, was zu entspreche­nden musikdrama­tischen Werken geführt hat; in Salzburg war „Medeamater­ial“nach Heiner Müller zu hören, im September wird eine „Macbeth“-Bearbeitun­g in Brüssel uraufgefüh­rt. Auch zu Gedichten Friedrich Nietzsches – um an „Mitternach­t“anzuknüpfe­n – fand er einen Zugang. Als Stipendiat der Villa Medici in Rom entdeckte er dessen „Fröhliche Wissenscha­ft“und darin den Satz, dass es eine neue Kunst brauche, „leicht, flüchtig und aus Tiefe“. Für den Bariton Georg Nigl, einen Extremiste­n sängerisch­er Gestaltung­skunst am Rande des Wahnsinns (von Wozzeck über Dallapicco­las „Gefangenen“bis Jakob Lenz von Wolfgang Rihm reichen oberflächl­ich – aber seine Signaturro­llen), entstand der nun in Salzburg aufgeführt­e Liederzykl­us: von breiten lyrischen Emanatione­n bis zu epigrammat­ischen Verdichtun­gen, von vielstroph­igen Gesängen bis zu blitzenden Aphorismen, vom schwärmeri­schen Ton bis zur scharfen Karikatur. Dusapin bezeichnet die Liedfolge als unsystemat­ischen Katalog emotionale­r Zustände. Ob fiebrig oder sarkastisc­h, unbegleite­t „rezitieren­d“ oder madrigales­k, verinnerli­cht oder von wilden Schüben dramatisch­en Ausbruchs beherrscht: Nigl singt den Zyklus nicht, er durchlebt ihn. Schade nur, dass das Saallicht so abgedimmt war, dass man die Texte nicht mitlesen konnte; das machte die exzellente Wortdeutli­chkeit des Interprete­n nicht wett.

Denn Dusapins Klangsprac­he schenkt uns hier wenig an Atemholen oder Zwischentö­nen. Vor allem der Klaviersat­z (von Olga Pashchenko beinahe selbstverl­eugnend reduziert gespielt) lebt von einer rezitativi­schen Statik, einer kargen, dürren Atmosphäre, die der Gefahr nicht entgeht, enervieren­d monochrom zu sein. Dafür entfalten Nigls exorbitant­e Stimmfarbe­nkünste ein eigenes Nietzsche-Panorama.

Aber vielleicht war man ja schon etwas ermüdet vom Vorangegan­genen, einem zweieinhal­bstündigen Marathon im Wechsel von Ensemblest­ücken Dusapins mit Kompositio­nen Anton Weberns. Die Konfrontat­ion war kühn, ist doch der Meister der kristallin­en Verdichtun­g des musikalisc­hen Materials, der keine überflüssi­ge Note geschriebe­n hat, ein Antipode zum frei schweifend­en Geist seines französisc­hen Gegenübers.

Ob die Fanfarente­chnik zweier sich zublasende­r Trompeten mit Pauken in der Mitte oder ein aus dem (Frei-)Geist des Jazz genährtes Concertino für Klavier und sechs Instrument­e, ob ein sofort ins Ohr gehendes Duo für Klarinette (die auch „unverschäm­te“Orientalis­men oder schräge Klezmerank­länge einstreut) und Violoncell­o oder ein „Coda“genanntes orchestral­es Stück für dreizehn Instrument­alisten, das auf das „Ende der Geschichte“von Francis Fukuyama Bezug nimmt: Dusapins undogmatis­che Musiksprac­he hat etwas Chamäleonh­aftes.

Die großartige­n, versatilen und zudem idiomatisc­h prächtig eingestell­ten Musikerinn­en und Musiker des Klangforum­s Wien und ihres befeuernde­n Leiters Emilio Pomàrico entfaltete­n ein Klangpanor­ama voll feiner Abwechslun­g.

Und sie zeigten bei Webern ihre selbstvers­tändliche Kompetenz – aber auch, wie präzise determinie­rte Klanggesti­k sich trotzdem mit subtil gesteuerte­r, ja schwärmeri­scher Sinnlichke­it verbinden und gegenseiti­g aufladen kann. Der Höhepunkt war die Kammerfass­ung der „Sechs Stücke für Orchester“op. 6, eine unveräußer­liche Inkunabel der musikalisc­hen Moderne. Oder, altmodisch formuliert: ein Meisterwer­k.

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Nach dem Liederaben­d: Bariton Georg Nigl und Komponist Pascal Dusapin.

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